EKD-Vorsitzender über Pegida: „Das Gegenteil von Christentum“
Mit den Pegida-Demos ist das Abendland wieder hoch im Diskurs. Heinrich Bedford-Strohm über christliche Werte, Rassismus und Strategien gegen Vorurteile.
taz: Herr Bischof, das christliche Abendland und sein Untergang ist mal wieder in aller Munde. Was ist das eigentlich, dieses christliche Abendland?
Heinrich Bedford-Strohm: Der Begriff christliches Abendland ist ein Kulturbegriff, der mit Religion an sich nur bedingt etwas zu tun hat. Er kann leicht dazu missbraucht werden, etwas als christlich auszugeben, was faktisch den christlichen Orientierungen entgegensteht. Der Begriff wird leider auch oft als Kampfbegriff missbraucht, um sich von anderen Menschen, anderen Religionen und anderen Kulturen abzugrenzen.
Sollte man als Christ dann nicht besser ganz darauf verzichten, überhaupt vom christlichen Abendland zu sprechen?
Ich benutze diesen Begriff tatsächlich nicht gern. Man darf nie vergessen, dass auf dem Boden des christlichen Abendlandes sechs Millionen Juden ermordet wurden und dass von diesem christlichen Abendland zwei schreckliche Weltkriege ausgingen. Sosehr christliche Orientierungen in das eingeflossen sind, was mit diesem Begriff bezeichnet wird – etwa in der zentralen Bedeutung der Menschenwürde –, so sehr sind diese Orientierungen in dem Kulturkreis, der mit dem Begriff „christliches Abendland“ bezeichnet wird, verletzt worden.
Was geht Ihnen denn durch den Kopf, wenn Sie Pegida-Anhänger hören, die „den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur“ fordern?
Wenn die sogenannte christliche Abendlandkultur benutzt wird, um ausländerfeindliche, rassistische und menschenverachtende Parolen zu unterfüttern, ist das das genaue Gegenteil von Christentum. Das Doppelgebot der Liebe steht im Mittelpunkt unseres Glaubens: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben vom ganzem Herzen. Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Das scheinen die Pegida-Christen aber anders zu sehen. Fehlt hier ein Machtwort der Kirchenführer?
Es ist wichtig, ganz klare Positionen zu vertreten. Es darf überhaupt kein Zweifel aufkommen können, dass das Recht auf freie Religionsausübung in Deutschland unantastbar ist und dass auch die christlichen Kirchen dieses Recht verteidigen. Und dass sich die Kirchen ganz grundsätzlich für eine pluralistische Religionskultur einsetzen. Aber auch wenn ich die menschenverachtenden Parolen ablehne, muss ich zu dem Versuch bereit sein, die Sorgen der einzelnen Menschen, die dort auf die Straße gehen, zu verstehen. Und je nachdem, was sich dahinter verbirgt, müssen sie vielleicht auch ernst genommen werden.
Der 54-jährige Theologe ist seit November Ratsvorsitzender und damit Inhaber des höchsten Amtes der Evangelischen Kirche in Deutschland. Schon 2011 war er zum Bischof und Leiter der evangelischen Landeskirche in Bayern gewählt worden.
Das wird ja gerade sehr kontrovers diskutiert: Wie weit sollte man sich auf die Argumente der Pegida-Leute einlassen?
Man muss schon hinhören und die Sorgen und Nöte wahrnehmen: Ist die Furcht vor Fremden getrieben von Abstiegsängsten, von der Angst vor der Armut im Alter oder drohendem Arbeitsplatzverlust? Angesichts der Demonstrationen in Dresden fehlt mir noch eine klare Analyse von Hintergründen und den Besonderheiten vor Ort. Bei allem muss aber jedenfalls klar sein, welche Ethik man vertritt, auf welchem Wertegerüst man steht und welche Werte unverrückbar sind. Verstehen kann nie heißen, irgendeinen Zweifel daran zu lassen, dass jegliche Menschenfeindlichkeit inakzeptabel und ganz bestimmt unvereinbar mit dem christlichen Glauben ist.
Sie selbst waren in Vorra nach dem Brandanschlag auf ein Asylheim. Sind die Pegida-Initiatoren die geistigen Brandstifter?
Man darf in der Debatte über diese Bewegung nicht das Maß verlieren. Manche Aussagen, die da zu hören sind, sind erschreckend. Aber umso wichtiger ist es zu verstehen, was diese Menschen wirklich bewegt. Es ist doch schon bemerkenswert, dass gerade in einer Region wie Dresden, in der es kaum Muslime gibt, die Proteste am größten sind.
Warum ist das so?
Es ist natürlich immer am einfachsten, Ängste auf etwas zu projizieren, was man nicht kennt. Ich erlebe umgekehrt in meinem eigenen Wirkungskreis, was es bedeutet, wenn Menschen sich kennen und zusammenarbeiten. Ich erlebe immer wieder, wie gut und selbstverständlich Christen und Muslime zusammenleben und sich gegenseitig zu ihren religiösen Festen einladen. Auch ich nehme immer gern Einladungen an zum Zuckerfest, zum Fastenbrechen. Und wenn ich bei Festgottesdiensten predige, kommen immer wieder auch Muslime in die Kirche, die an dem Fest der Gemeinde als Gäste teilnehmen.
Der interreligiöse Dialog ist der beste Schutz gegen Vorurteile, und da passiert ja auch schon jetzt sehr viel Positives. Nur darüber wird dann eben viel zu wenig berichtet, solche Bilder sieht man meist nicht, im Gegensatz zu den Bildern von fanatischen islamistischen Demonstranten oder gewalttätigen Extremisten.
Nun gibt es ja unstrittig Imame, die den Dschihad predigen, und Familienväter, die ihre Töchter nach der Scharia bestrafen.
Mit solchen falschen religiösen Auffassungen muss man sich auseinandersetzen. Das tun im Übrigen auch Muslime selbst. Deshalb ist es gut und wichtig, dass es jetzt Lehrstühle an deutschen Universitäten gibt, die sich wissenschaftlich mit dem Islam beschäftigen. Ich habe die Hoffnung, dass durch die wissenschaftliche Selbstreflexion des Islam an unseren öffentlichen Universitäten so etwas wie eine „öffentliche Theologie des Islam“ entsteht, die herausarbeitet, wie diese Religion ihren Beitrag zu einer Stärkung einer pluralistischen Gesellschaft leisten kann, die sich an den Menschenrechten orientiert.
Dann gehört der Islam auch Ihrer Meinung nach zu Deutschland?
Ja, der Islam gehört zu Deutschland. Hier leben Millionen Muslime, die wichtige Beiträge für unsere Gesellschaft leisten. Wenn die Menschen zu Deutschland gehören, dann muss man auch sagen, dass die Religion, die ihnen existenziell wichtig ist, zu Deutschland gehört.
Also keine Angst, dass der Islam die deutsche Leitkultur unterwandern wird?
Die Menschen, die sich ihrer eigenen Werte am wenigsten sicher sind, haben die größten Ängste. Ich fühle mich getragen von meinem christlichen Glauben. Aus ihm erwächst das Vertrauen, mit dem ich auf andere Menschen zugehen und auch das Fremde lieben kann. Die damit verbundene Botschaft ist so stark, dass man nicht Angst haben muss, dass sie verdrängt wird.
Wenn alle Menschen gleich wertvoll sind, könnten die christlichen Kirchen das Missionieren ja eigentlich einstellen?
Du bist als Gottes Ebenbild geschaffen. Diese wunderbare Zusage gilt für uns alle ohne unser Zutun – ganz gleich, welcher Religion oder Nationalität wir sind. Mission begründet nicht Wert und Würde von Menschen. Sie gibt aber Zeugnis von der Quelle, aus der unsere Überzeugung von der universal geltenden Würde des Menschen kommt. Diese Quelle ist für uns Christen der Glaube an Jesus Christus. Von der Kraft, die dieser Glaube gibt, erzählen wir natürlich gern auch anderen.
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