Dschihadisten in Afghanistan: In tiefer Feindschaft verbunden
Die erbitterte Feindschaft zwischen den afghanischen Taliban und dem lokalen Ableger des „Islamischen Staates“ fordert immer neue Opfer.
Als Reaktion auf den Anschlag zerstörten laut Mudschahid Taliban-Kämpfer am Sonntagabend ein IS-Zentrum im Norden von Kabul. „Alle IS-Mitglieder“ in dem Zentrum seien getötet worden, sagte Mudschahid der Nachrichtenagentur AFP. Weitere drei Menschen seien im Zusammenhang mit dem Anschlag festgenommen worden.
Am Dienstag sprach der Taliban-Sprecher Bilal Karimi auf Twitter von elf Festnahmen. Details nannte er nicht. Laut einem von AFP zitierten Augenzeugen waren unter den Opfern des Anschlags zwei Taliban-Mitglieder. Danach hätten zwei Taliban-Einheiten versehentlich aufeinander geschossen.
Die Taliban und der „Islamische Staat – Provinz Khorasan“, so die offizielle Eigenbezeichnung, sind trotz verwandter militant-islamistischer Ideologie verfeindet. Der IS-Ableger setzte sich ab 2014 in Afghanistan fest. Die östliche Provinz Nangarhar an der Grenze zu Pakistan gilt als seine Hochburg.
Mehrere Anschläge auf die Taliban in Dschalalabad
Erst kürzlich führte der IS, der in Afghanistan rund 2.000 Kämpfer zählen soll, in Nangarhars Provinzhauptstadt Dschalalabad einige Anschläge auf Taliban durch und tötete mehrere von ihnen. Die Taliban zählten zuletzt etwa 100.000 Kämpfer.
Der historische Name Khorasan bezeichnet eine zentralasiatische Region, die Afghanistan, Iran, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan ganz oder teilweise umfasst. Der Name unterstreicht den regionalen und globalen Anspruch des IS, was ihn zu einer globalen Terrorgefahr macht.
Demgegenüber sind die afghanischen Taliban trotz Verbindungen zu al-Qaida immer eine nationale Bewegung geblieben und dass, obwohl sie vom pakistanischen Militärgeheimdienst ISI beeinflusst werden. Zugleich blieben sie stets von den pakistanischen Taliban (TPP) getrennt und haben nie außerhalb ihrer Region Anschläge verübt.
Der afghanische IS wurde stärker, nachdem die realpolitischeren Taliban Verhandlungen mit der US-Regierung aufgenommen hatten, was in IS-Augen einen Verrat am Dschihad darstellt.
Kampf um die Deutungshoheit
Der IS zerstört jetzt mit seinen Anschlägen das Narrativ der Taliban, sie würden dem Land endlich Frieden bringen. Der IS zeigt darüber hinaus auch mit seinen Terrormethoden, welche die Taliban selbst angewendet haben, dass Letztere das Land eben nicht wie behauptet vollständig kontrollieren.
Beim größten Anschlag des IS in Afghanistan auf Kabuls Flughafen am 26. August wurden rund 170 Personen getötet, darunter 13 US-Soldaten. Damals hatten die Taliban eine informelle Absprache mit den USA, demnach die Massenevakuierung von Afghanen durch das US-Militär bis Ende August geduldet würde.
Schon zuvor hatten beide Seiten gelegentlich bei der Bekämpfung des IS informell kooperiert. So bombardierte die US-Luftwaffe mutmaßliche IS-Stellungen, die dann von den Taliban eingenommen wurden. Als diese schließlich am 15. August in Kabul einmarschierten, befreiten sie ihre Leute aus den Gefängnissen, während sie IS-Gefangene Berichten zufolge kurzerhand erschossen.
Erschießungen warf die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) am Dienstag auch den Taliban vor. Die sollen laut AI Ende August 13 Sicherheitskräfte der bisherigen Regierung, die sich ergeben hatten, standrechtlich erschossen haben. Die Opfer seien ethnische Hasara gewesen, eine schiitische Minderheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht