Drohbriefe von der Berliner Polizei?: Linke im Visier
Autonome haben Briefe mit der Drohung erhalten, ihre Adressen und Fotos an Nazis weiterzureichen. Sie vermuten Polizisten hinter der Aktion.
![Hausprojekt Rigaer94 Hausprojekt Rigaer94](https://taz.de/picture/2477587/14/92361282.jpeg)
Versuchen Berliner Polizisten, Mitglieder der linken Szene zu bedrohen und zu erpressen? So lautet der Vorwurf, den mehrere anonyme Autoren auf dem Internetportal Indymedia veröffentlicht haben. Hintergrund sind Briefe, in denen laut dem Indymedia-Text die Namen sowie teilweise Adressen und Fotos von 42 vermeintlichen Autonomen in Berlin genannt werden – verbunden mit der Drohung, diese an die Polizei oder Rechtsextreme weiter zu leiten.
Die neunseitigen Briefe seien kurz vor Weihnachten „in verschiedenen Lokalitäten, die in Veröffentlichungen von Behörden als ‚linksextremistische Treffpunkte‘ bezeichnet werden“, eingegangen, schreiben die Autoren, die sich selbst als „einige Betroffene des Drohbriefs“ bezeichnen.
Von 18 Personen seien Fotos beigefügt aus erkennungsdienstlichen Behandlungen des Berliner Landeskriminalamts (LKA) oder aus Personalausweisen. Die Schlussfolgerung der Autoren: „Wir sind sicher, dass das Schreiben von der Berliner Polizei erstellt und verschickt wurde, da niemand sonst Zugang zu entsprechenden Fotos […] haben dürfte.“
Die Briefe werden kommenden Montag Thema im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses sein. Die Linksfraktion hat das Thema als besonderes Vorkommnis auf die Tagesordnung setzen lassen, sagte deren innenpolitischer Sprecher Hakan Taş am Dienstag der taz. „Wir müssen klären, wie diese Daten in die Öffentlichkeit hineingetragen werden konnten und wer davon Kenntnis hat.“ Er forderte die Behörden auf zu ermitteln. „Ein solches Vorgehen darf nicht hingenommen werden“, betonte Taş.
Benedikt Lux, Grüne
Bisher ist allerdings nicht viel passiert. „Die Thematik ist bekannt. Derzeit werden die Umstände dazu geprüft“, heißt es knapp aus der Verwaltung von Innensenator Andreas Geisel (SPD). Noch zurückhaltender äußert sich die Berliner Polizei. Von dem Vorfall wisse man nur durch die Darstellung auf Indymedia, teilte ein Sprecher mit. „Uns liegen keine Originale des Briefs vor, deswegen können wir den Inhalt auch nicht bewerten“, so der Sprecher weiter. Niemand habe bisher Anzeige erstattet.
Zumindest die Autoren des Indymedia-Beitrags wollen das auch nicht tun: „Wir protestieren ausdrücklich nicht gegen diese Form der staatlichen Repression, weil Protest eine Instanz voraussetzt, die als Korrektiv von uns anerkannt würde.“
Sie sehen in dem Schreiben, versandt von einem „Zentrum für politische Korrektheit“ mit einer falschen Berliner Adresse, eine Revanche der Polizei für die Veröffentlichung eines Fahndungsaufrufs des linken Hausprojekts Rigaer94 im Dezember. Dabei wurden Fotos von rund 50 PolizistInnen veröffentlicht, die am Einsatz in dem Hausprojekt im Sommer 2016 beteiligt gewesen waren.
Darauf weisen Inhalte des Briefs hin, dessen Original in Teilen auf der Indymedia-Seite zu sehen ist: „Wir haben Euren Fahndungsaufruf sehr Aufmerksam verfolgt“ [Fehler im Original]. Und weiter: „Also machen wir auch einfach einen Fahndungsaufruf, den wir an beliebige Stellen verschicken wollen.“ An anderer Stelle heißt es: „Ihr nervt einen ganzen Kiez mit Eurer Anwesenheit“, was sich offenbar auf die Gegend rund um die Rigaer Straße bezieht. Die Drohung, die Daten und Adressen an die Polizei weiterzuleiten, halten die Autoren für einen Bluff, um von den tatsächlichen Urhebern abzulenken.
Ob es sich dabei tatsächlich um Berliner Polizisten handelt, darüber könne man „momentan nur spekulieren“, sagte Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, zur taz. Er könne eigentlich garantieren, dass die Briefe nicht von „der“ Polizei kommen“, so Lux weiter. „Ich kann aber nicht ausschließen, dass es ein Leck bei der Polizei gibt.“ Es sei nun auch Aufgabe der Politik, das aufzuklären. Würde es sich aber wirklich um eine Revanche handeln, wäre das ein „brisanter Vorgang“, der eine „Eskalationsspirale“ in Gang setzen könnte.
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