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Drogenpolitik in BerlinEs bleibt nur der Zaun

Zwei Jahre nach dem Berliner „Sicherheitsgipfel“ stehen die sozialen Maßnahmen rund um den Görlitzer Park vor dem Aus. Dabei sind sie ein voller Erfolg.

Nicht „der“ Zaun, aber ein Zaun im Görlitzer Park Foto: Foto: Jens Gyarmaty/laif

Berlin taz | Der „Spritzenbaum von Kreuzberg“ geistert noch durch die Medien, da gibt es ihn schon gar nicht mehr. Rund 50 Einwegspritzen steckten am Montag in einem Baum auf dem Mittelstreifen der Gneisenaustraße. Das Boulevardblatt BILD berichtete umgehend, andere Medien folgten. „Hier zeigt sich das Drogenelend von Berlin“, titelte der Tagesspiegel, beim Welt-Sender aus dem Hause Springer schaffte es der „Junkie-Baum“ sogar in die Top News. Die Kommentarspalten darunter liefen heiß, dem Bezirksamt wurde Untätigkeit vorgeworfen und Maßnahmen gegen das „Drogen-Elend“ gefordert.

Einen Tag später sind die Spritzen weg. „Wir haben den Baum gestern abgeräumt“, sagt Raphael Schubert, Geschäftsführer der Drogenhilfe Fixpunkt gGmbH, am Mittwoch zur taz. Im Rahmen des „Peer-Projekts“ seien Menschen aus der Drogenszene losgezogen, um den Baum aus seiner infektiösen Umklammerung zu befreien.

Und nicht nur ihn: Viermal pro Woche laufen die Projektteil­neh­me­r*in­nen, ausgestattet mit gelben Westen, Eimern und Greifarmen in Begleitung von So­zi­al­ar­bei­te­r*inn­nen durch den Kiez, um Spritzen und Nadeln einzusammeln und fachgerecht zu entsorgen. Manchmal werden sie aufgrund von Beschwerden aktiv, aber da sie selbst aus der Szene kommen, wissen sie auch sonst, wo sie fündig werden.

Ganze 4.900 Konsumutensilien haben sie laut Fixpunkt allein im vergangenen Monat eingesammelt. Ganz normal in Kreuzberg mit seinen Drogenhotspots Kottbusser Tor, Wassertorplatz und Görlitzer Park: Der Schnitt liegt laut Schubert pro Monat zwischen 4.500 und 5.000. 13 Euro bekommen die Teil­neh­me­r*in­nen pro Stunde, und noch wichtiger: Struktur und Beschäftigung. Eine Win-win-Situation: „Es wird sauberer, und die Menschen sind nicht auf der Straße und betreut“, sagt Raphael Schubert.

Keine Gelder im Haushalt eingeplant

Schon bald könnten die Spritzen wieder liegen bleiben: Das Peer-Projekt ist eine der sozialen Maßnahmen, die im Rahmen des Berliner „Sicherheitsgipfels“ vor rund zwei Jahren beschlossen wurden. Allerdings auf zwei Jahre befristet, Ende dieses Jahres läuft das niedrigschwellige Projekt ebenso wie viele andere aus. Neue Gelder sind bislang nicht vorgesehen.

Dabei sind es vor allem solche Projekte, die wirken. Im Gegensatz zu vielen anderen der insgesamt 30 Millionen Euro teuren Maßnahmen, auf die sich im September 2023 der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), die Se­na­to­r*in­nen für Inneres, Justiz und Gesundheit, die Bürgermeisterinnen von Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte sowie Polizei und Feuerwehr geeinigt hatten.

Denn um die Sicherheitslage insbesondere an den Kriminalitäts- und Drogenhotspots Görlitzer Park und Leopoldplatz zu verbessern, setzte Schwarz-Rot vor allem auf Repression. Videoüberwachung, Polizeipräsenz und natürlich: der Zaun um den Görli, der zwei Jahre später, sehr zur Erleichterung vieler An­woh­ne­r*in­nen, immer noch nicht steht.

Dass es für soziale Probleme soziale Lösungen braucht und keine Law-and-Order-Symbolpolitik, hatten beim Gipfel vor allem die betroffenen Bezirke betont. Getragen von Protesten der Anwohnenden, die eine Verlagerung der Kriminalität in die umliegenden Straßen fürchten.

An­woh­ne­r*in­nen werden darunter leiden

Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann (Grüne), sitzt am Mittwoch im Büro von Fixpunkt, wo viele der Projekte zusammenlaufen, und zählt die einzelnen Maßnahmen auf, die der Bezirk seitdem gestartet hat: aufsuchende Sozialarbeit, längere Öffnungszeiten der Drogenkonsumräume, Kiezhausmeister*innen, Par­k­läu­fe­r*in­nen, öffentliche Toiletten – und natürlich das Peer-Projekt. Rund zwei Millionen Euro bekommt der Bezirk dafür – bei Weitem nicht genug, findet Herrmann. „Wir sind an einem Punkt, an dem wir die Projekte eigentlich ausweiten müssten.“

Doch stattdessen stehen sie vor dem Aus. „Es sieht so aus, dass von den Maßnahmen nur noch der Zaun bleibt“, sagt Clara Herrmann. „Alles Soziale wird abgesägt und begraben.“ Und das in einer Zeit, in der Berlin unter einer regelrechten Crack-Schwemme leidet und Obdachlosigkeit rapide zunimmt. „Das ist eine Vollkatastrophe und ein nachhaltiger Schaden, nicht nur für Kreuzberg.“

Vor allem Kai Wegner macht Herrmann Vorwürfe: „Der Regierende hat sein Versprechen aus dem Sicherheitsgipfel gebrochen.“ Kein Geld für die sozialen Maßnahmen in Mitte und Kreuzberg vorzusehen, statt diese auszubauen und eine gesamtstädtische Strategie zu erarbeiten, zeige, „welche Prioritäten der Senat hat“.

Auch Raphael Schubert von Fixpunkt kann es nicht fassen: Jetzt, wo endlich die Mit­ar­bei­te­r*in­nen gefunden und eingearbeitet sind und sich erste Erfolge zeigen, soll schon wieder Schluss sein? „Das ist ein großer Schaden, auf vielen Ebenen hätte das eine Verschlechterung zur Folge“, sagt er.

Und zwar für alle: Ohne das Peer-Projekt liegen wieder mehr Spritzen und Nadeln herum, ohne die erweiterten Öffnungszeiten der Konsumräume gibt es wieder mehr Junkies, die auf offener Straße Crack rauchen oder Heroin spritzen, ohne Schlafmöglichkeiten tagsüber liegen die Menschen in den Hausfluren. „Wenn das wegfällt, haben alle verloren“, sagt Schubert.

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5 Kommentare

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  • Berlin wurde über 20 Jahre von R2G oder von SPD/Linke regiert. Das wird völlig ignoriert. Woher kommen denn die völlig verwahrlosten Zustände?



    Ja, der Zaun ist eine Bankrotterklärung. Er signalisiert, alles andere hilft nicht. Aber das ist ja leider anscheinend die traurige Wahrheit.



    Denn, beispielsweise dieses Peer-Projekt ist ja nur ein Verschleierungsprogramm. Da wird der entstandene Dreck durch den uferlosen Drogenkomsum entfernt. Das ist wie die Idee der CO2-Abscheider - lasst uns hemmungslos fossil weiterleben, wir können ja das CO2 aus der Luft Fischen. Erfolg? Null. Zurecht wird dieser Humbug scharf kritisiert von links. Beim Drogenkonsum soll aber ausgerechnet so ein Programm ein Erfolg sein?Konsum egal, Hauptsache die Spritzen werden hinterher eingesammelt...



    Das kann es echt nicht sein. Das Problem ist, dass überhaupt 5.000 Spritzen monatlich auf der Straße landen, das hemmungslos konsumiert und gedealt wird.



    Es ist nicht eine Frage der Müllbeseitigung, es ist eine Frage der Sicherheit, eine Frage der Wohnqualität für Anwohner, eine Frage für Kinder, die sich selbst nicht schützen können.



    Der Park ist den Bürgern gewidmet, nicht den Dealern und Junkies. Darum geht es.

  • "Dabei sind sie ein voller Erfolg." - Man muss schon sehr weit weg wohnen oder eben harte Drogen nehmen um das so zu sehen. Katastrophales Scheitern als Erfolg....

  • Das Laisser-Faire im Bezirk über Jahre und Jahre... hat doch gerade mit dazu beigetragen, dass die Situation jetzt so eskaliert ist.



    Bisherige klägliche Versuche "niedrigschwelliger Sozialarbeit" ebenso. Diese kann zwar für einzelne Personen hilfreich sein, da es jedoch offenbar ein systemisches Problem ist, braucht es auch andere Versuche.



    Heißt: Jetzt nun mal verschiedene Aspekte von "Law and Order" mit Augenmaß, das geht, aber natürlich mit begleitender Expertise!

  • Da wird Fortschritt abgeräumt, weil Dino-Wegner lieber dumpfe Gefühle und die Springeriten bedient, auch hier. Schade, denn die Ideen klingen gut.

  • "Dabei sind es vor allem solche Projekte, die wirken."

    " ... die einzelnen Maßnahmen auf, die der Bezirk seitdem gestartet hat: aufsuchende Sozialarbeit, längere Öffnungszeiten der Drogenkonsumräume, Kiezhausmeister*innen, Par­k­läu­fe­r*in­nen, öffentliche Toiletten – und natürlich das Peer-Projekt."

    Sind größtenteils ältere Maßnahmen.

    Teilweise schon unter RGR angeleiert.

    Und wo hat da jetzt was von gewirkt?

    Was soll sich verbessert haben?

    Gerade der erste Satz wirkt wie Ironie.