Drogenpolitik in Berlin: Es bleibt nur der Zaun
Zwei Jahre nach dem Berliner „Sicherheitsgipfel“ stehen die sozialen Maßnahmen rund um den Görlitzer Park vor dem Aus. Dabei sind sie ein voller Erfolg.
Einen Tag später sind die Spritzen weg. „Wir haben den Baum gestern abgeräumt“, sagt Raphael Schubert, Geschäftsführer der Drogenhilfe Fixpunkt gGmbH, am Mittwoch zur taz. Im Rahmen des „Peer-Projekts“ seien Menschen aus der Drogenszene losgezogen, um den Baum aus seiner infektiösen Umklammerung zu befreien.
Und nicht nur ihn: Viermal pro Woche laufen die Projektteilnehmer*innen, ausgestattet mit gelben Westen, Eimern und Greifarmen in Begleitung von Sozialarbeiter*innnen durch den Kiez, um Spritzen und Nadeln einzusammeln und fachgerecht zu entsorgen. Manchmal werden sie aufgrund von Beschwerden aktiv, aber da sie selbst aus der Szene kommen, wissen sie auch sonst, wo sie fündig werden.
Ganze 4.900 Konsumutensilien haben sie laut Fixpunkt allein im vergangenen Monat eingesammelt. Ganz normal in Kreuzberg mit seinen Drogenhotspots Kottbusser Tor, Wassertorplatz und Görlitzer Park: Der Schnitt liegt laut Schubert pro Monat zwischen 4.500 und 5.000. 13 Euro bekommen die Teilnehmer*innen pro Stunde, und noch wichtiger: Struktur und Beschäftigung. Eine Win-win-Situation: „Es wird sauberer, und die Menschen sind nicht auf der Straße und betreut“, sagt Raphael Schubert.
Keine Gelder im Haushalt eingeplant
Schon bald könnten die Spritzen wieder liegen bleiben: Das Peer-Projekt ist eine der sozialen Maßnahmen, die im Rahmen des Berliner „Sicherheitsgipfels“ vor rund zwei Jahren beschlossen wurden. Allerdings auf zwei Jahre befristet, Ende dieses Jahres läuft das niedrigschwellige Projekt ebenso wie viele andere aus. Neue Gelder sind bislang nicht vorgesehen.
Dabei sind es vor allem solche Projekte, die wirken. Im Gegensatz zu vielen anderen der insgesamt 30 Millionen Euro teuren Maßnahmen, auf die sich im September 2023 der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), die Senator*innen für Inneres, Justiz und Gesundheit, die Bürgermeisterinnen von Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte sowie Polizei und Feuerwehr geeinigt hatten.
Denn um die Sicherheitslage insbesondere an den Kriminalitäts- und Drogenhotspots Görlitzer Park und Leopoldplatz zu verbessern, setzte Schwarz-Rot vor allem auf Repression. Videoüberwachung, Polizeipräsenz und natürlich: der Zaun um den Görli, der zwei Jahre später, sehr zur Erleichterung vieler Anwohner*innen, immer noch nicht steht.
Dass es für soziale Probleme soziale Lösungen braucht und keine Law-and-Order-Symbolpolitik, hatten beim Gipfel vor allem die betroffenen Bezirke betont. Getragen von Protesten der Anwohnenden, die eine Verlagerung der Kriminalität in die umliegenden Straßen fürchten.
Anwohner*innen werden darunter leiden
Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann (Grüne), sitzt am Mittwoch im Büro von Fixpunkt, wo viele der Projekte zusammenlaufen, und zählt die einzelnen Maßnahmen auf, die der Bezirk seitdem gestartet hat: aufsuchende Sozialarbeit, längere Öffnungszeiten der Drogenkonsumräume, Kiezhausmeister*innen, Parkläufer*innen, öffentliche Toiletten – und natürlich das Peer-Projekt. Rund zwei Millionen Euro bekommt der Bezirk dafür – bei Weitem nicht genug, findet Herrmann. „Wir sind an einem Punkt, an dem wir die Projekte eigentlich ausweiten müssten.“
Doch stattdessen stehen sie vor dem Aus. „Es sieht so aus, dass von den Maßnahmen nur noch der Zaun bleibt“, sagt Clara Herrmann. „Alles Soziale wird abgesägt und begraben.“ Und das in einer Zeit, in der Berlin unter einer regelrechten Crack-Schwemme leidet und Obdachlosigkeit rapide zunimmt. „Das ist eine Vollkatastrophe und ein nachhaltiger Schaden, nicht nur für Kreuzberg.“
Vor allem Kai Wegner macht Herrmann Vorwürfe: „Der Regierende hat sein Versprechen aus dem Sicherheitsgipfel gebrochen.“ Kein Geld für die sozialen Maßnahmen in Mitte und Kreuzberg vorzusehen, statt diese auszubauen und eine gesamtstädtische Strategie zu erarbeiten, zeige, „welche Prioritäten der Senat hat“.
Auch Raphael Schubert von Fixpunkt kann es nicht fassen: Jetzt, wo endlich die Mitarbeiter*innen gefunden und eingearbeitet sind und sich erste Erfolge zeigen, soll schon wieder Schluss sein? „Das ist ein großer Schaden, auf vielen Ebenen hätte das eine Verschlechterung zur Folge“, sagt er.
Und zwar für alle: Ohne das Peer-Projekt liegen wieder mehr Spritzen und Nadeln herum, ohne die erweiterten Öffnungszeiten der Konsumräume gibt es wieder mehr Junkies, die auf offener Straße Crack rauchen oder Heroin spritzen, ohne Schlafmöglichkeiten tagsüber liegen die Menschen in den Hausfluren. „Wenn das wegfällt, haben alle verloren“, sagt Schubert.
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