Drei Jahre Taliban-Regime in Afghanistan: Es gibt nicht viel zu feiern
Die Taliban wollen seit ihrer erneuten Machtübernahmen einen „wahrhaft islamischen Staat“ errichten. Jetzt vermelden sie angebliche Wirtschaftserfolge.
Vom „stolzesten Tag in der Geschichte der ganzen islamischen Weltgemeinschaft, besonders der Afghanen“ sprach ihr Premierminister, Mullah Muhammad Hassan Akhund, am Dienstag in einer Grußbotschaft – einem „deutlichen Beispiel von Gottes Hilfe“.
Seit drei Jahren arbeiten die Taliban daran, einen „wahrhaft islamischen Staat“ zu errichten. In einer Art Erziehungsdiktatur wollen sie alle westlichen Einflüsse in der Gesellschaft ausradieren. Wer sich nicht freiwillig fügt, gegen den wird Gewalt angewendet.
Die Lage Menschenrechte verschlechtert sich weiter
Die exilafghanische Menschenrechtsorganisation Rawadari berichtete Anfang der Woche, die Zahl der Fälle von „erzwungenem Verschwinden, Folter, die in Mord endet, willkürlicher Inhaftierung und grausamer und unmenschlicher Behandlung“ durch die Taliban habe sich im ersten Halbjahr verdoppelt, teils sogar verdreifacht.
Muhammad Hassan Akhund, Taliban-Premier
Der Taliban-Feiertag findet wegen unterschiedlicher Schaltjahre in unserem und dem in Afghanistan gebräuchlichen persischen Kalender für uns übrigens einen Tag früher statt, schon am 14. August. In Afghanistan ist das Datum der 24. Assad, im Monat des Sternbilds Löwe. Doch außer kleineren offiziellen Meetings wird nicht viel los sein.
Wie viele Menschen im Land mitfeiern, ist unklar. Sie haben sich dieses Regime nicht ausgesucht. Viele lehnen dessen strikte Politik ab, die Frauen und Mädchen von Bildung jenseits der sechsten Klasse und weitgehend aus dem außerhäuslichen Arbeitsleben ausschließt. Oder sie teilen die Taliban-Auslegung der Scharia nicht. Abweichende Meinungen können sie öffentlich nicht äußern. Viele sind aber auch einfach froh, dass vierzig Jahre Krieg vorbei sind, und arrangieren sich.
Das vergangene Jahr verbrachten die Radikalislamisten vor allem damit, Lücken in ihrem System zu schließen. In seiner wohl einschneidendsten Maßnahme ordnete Taliban-Chef Hebatullah Achundsada an, all jenen Frauen im Regierungsapparat, die nicht mehr zur Arbeit kommen dürfen, aber formal nicht entlassen wurden und weiterhin Gehalt beziehen, einheitlich nur noch 5.000 Afghani im Monat zu zahlen, kaum 70 Euro.
Vor allem Alleinverdienenden reicht das nicht zum Leben. Zudem betreiben die Taliban gerade eine neue Kampagne zur strikten Verschleierung. Ihre Moralpolizei kontrolliert Schulen und Büros, es drohen „Bestrafung und Gefängnis“.
Taliban kontrollieren NGOs und wollen an ihre Budgets
Die Taliban bemühen sich, die als westliche Einflussagenten beargwöhnten lokalen wie internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und vor allem deren Budgets unter Kontrolle zu bringen. Sie verlangen Mitsprache bei Einstellungen und Beschaffungen sowie Genehmigungen für Veranstaltungen. Afghaninnen sollen solche NGOs möglichst überhaupt nicht mehr leiten.
Machen sie das weiter, verwehren die Behörden ihnen Treffen zur verlangten Projektkoordinierung. Und doch berichteten lokale NGOs, auch solche mit Frauen an der Spitze, dass sie punktuell mit gutwilligen Regimevertretern arbeiten können. Aber sie sprechen nicht gern darüber, damit sich diese Nischen nicht auch noch schließen.
Zur Zeit verbreiten die Taliban Erfolgsmeldungen, um ihre Regierung als ökonomisch kompetent zu präsentieren. Am Montag verkündete ihr Vizepremier für Wirtschaft, Mullah Abdul Ghani Baradar, er habe mit iranischen Investoren Industriezonen an der gemeinsamen Grenze vereinbart. Dort soll unter anderem Solarenergie generiert werden.
Kürzlich eröffnete Chinas Botschafter den Bau einer Straße nach Mes-e Ainak südöstlich von Kabul, dem wohl zweitgrößten Kupfervorkommen der Welt. Seit 40 Jahren wollten Sowjets wie westliche Berater dies erschließen, um den von ihnen gestützten Regierungen eine Mega-Einkommensquelle zu verschaffen, scheiterten aber am Krieg.
Das Taliban-Regime profitieret politisch vom Ukraine-Krieg
Im Mai vereinbarten die Taliban mit Kasachstan und Turkmenistan an der Grenze zu Iran im Nordwesten des Landes ein Logistikzentrum zu errichten, über das auch russisches Öl nach Südasien fließen soll.
Politisch profitieren die Taliban bereits vom Ukrainekrieg. Moskau erklärte offiziell, sie seien keine Feinde Russlands und keine Gefahr mehr und bindet sie so in sein antiwestliches Bündnis ein. Gemeinsam mit China, dessen Präsident Xi Jinping im Januar als erster Staatschef einen Taliban-Botschafter empfing.
Doch bekommen auch die Taliban das Terrorproblem nicht in den Griff. Am Sonntag verübte der sogenannte Islamische Staat (IS) im schiitischen Westkabul seinen dritten Anschlag des Jahres. Es gab einen Toten und 13 Verletzte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen