Dobrindt will mit Taliban sprechen: Deutschlands „Migrationswende“ wird am Hindukusch verhandelt
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will direkt mit den Taliban über Abschiebungen verhandeln. Daran gibt es deutliche Kritik.
Nun will Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) trotzdem mit den fundamentalistischen Islamisten über Abschiebungen verhandeln. Das sagte der „christsoziale“ Politiker dem Focus. Die Taliban sind bekannt für Massaker, Menschenhandel und die Unterdrückung von Frauenrechten. Dobrindt sagte dazu unter anderem: „Mir schwebt vor, dass wir direkt mit Afghanistan Vereinbarungen treffen, um Rückführungen zu ermöglichen.“ Derzeit brauche es Dritte, um Gespräche mit Afghanistan zu führen. Das dürfe keine Dauerlösung bleiben, so Dobrindt.
Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger kritisierte den Vorstoß auf taz-Anfrage scharf: „Dass Dobrindt jetzt direkt mit den Taliban verhandeln will, ist eine völlig falsche und gefährliche Entscheidung.“ Das stehe in klarem Widerspruch zu Werten wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – „schon die Gespräche über Dritte waren ein Skandal, doch nun die direkte Verhandlung mit einem Terrorregime ist unverzeihlich.“ Dem Innenminister gehe es nur darum, Menschen um jeden Preis abzuschieben, sagte Bünger: „Sicherheit und Schutz der Betroffenen sind ihm völlig egal. Dabei vergisst er: Mit Terroristen verhandelt man nicht.“
Auch der grüne Innenpolitiker Marcel Emmerich sagte auf taz-Anfrage: „Union und SPD hofieren ein Zentrum des islamistischen Terrors, nur um Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen.“ Während die UNHCR und EU-Staaten vor den Taliban warnten, bräche Dobrindt im Alleingang ein diplomatisches Tabu, so Emmerich: „Er beginnt Beziehungen zu einem Regime, das foltert, steinigt, Frauen unterdrückt und die Menschenrechte mit Füßen tritt.“
Seit Sieg der Taliban nur ein Abschiebeflug
Die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, sagte mit Blick auf das Taliban-Regime: „Gender-Apartheid, Auspeitschungen und Todesstrafe – all das wischt Bundesinnenminister Dobrindt beiseite, wenn er den direkten Kontakt zu den Taliban sucht, um Abschiebungen zu ermöglichen.“
Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Taliban wäre eine außen- und menschenrechtspolitische Katastrophe, so Judith. Dobrindt würde so dazu beitragen, „das Terrorregime der Taliban international salonfähig zu machen“. Damit schwäche er jene, „die sich in- und außerhalb des Landes für ein Ende der Taliban-Herrschaft einsetzen“. Hinzu käme: „Abschiebungen nach Afghanistan sind angesichts der menschenrechtlichen und humanitären Krisensituation im Land klar völkerrechtswidrig“, so Judith.
Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 gab es mit einer Ausnahme keine Abschiebungen nach Afghanistan, Dobrindt will nun wohl weitere folgen lassen.
Leise Kritik kam auch aus der SPD: Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Bundestag, Sonja Eichwede, verwies zwar auf den Koalitionsvertrag, in dem festgehalten sei, dass Abschiebungen nach Afghanistan „zunächst bei Straftätern und Gefährdern grundsätzlich möglich sein sollen“, sagte aber auch: „Unter keinen Umständen dürfen Gespräche aber den Umgang mit dem Taliban-Regime normalisieren.“ Sie favorisierte für Abschiebungen ins islamistische Regime offenbar den Weg, den auch Nancy Faeser (SPD) bei ihrem Abschiebeflug in der letzten Legislatur verfolgt hatte: „In der Vergangenheit waren Gespräche über Dritte erfolgreich und es ist gelungen, Flüge zu organisieren. Hieran sehr sensibel anzuknüpfen und Kanäle auszubauen, ist richtig.“
Erst vor wenigen Tagen hatten CDU und SPD beschlossen, dass der Familiennachzug zwei Jahre lang für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt wird, und damit ebenfalls viel Kritik auf sich gezogen – auch, weil insbesondere Familiennachzug für eine bessere Integration sorgen kann und jetzt viele Frauen und Kinder in Krisen- und Kriegsregionen verbleiben müssten.
Vor wenigen Tagen kritisierte auch Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel die rechtswidrigen Zurückweisungen an der Grenze: „Wenn jemand an der deutschen Grenze ‚Asyl‘‚ sagt, dann muss er erst mal ein Verfahren bekommen – meinetwegen direkt an der Grenze, aber ein Verfahren“, sagte Merkel. Sie warnte davor, sich in der Migrationspolitik von der AfD treiben zu lassen.
Dobrindt und Merz sehen das offensichtlich anders: Im Interview sprach Dobrindt zudem davon, Abschiebungen nach Syrien voranzutreiben. Dorthin gebe es bislang noch ergebnislose Kontakte, so Dobrindt. Nebenbei kassierte er die einst von seinem CSU-Vorgänger Horst Seehofer definierte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen jährlich. Das sei Dobrindt „deutlich zu viel“.
Tatsächlich regiert das Kabinett Merz vor allem bei der Migrationspolitik derzeit in vorauseilendem Autoritarismus: Die Bundesregierung von Kanzler Merz ignoriert derzeit sogar ein Berliner Verwaltungsgerichtsurteil zu rechtswidrigen Zurückweisungen an der Grenze und hat zudem unübliche und deutliche Kritik des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichtes Andreas Korbmacher auf sich gezogen. Und Polen hat unterdessen seinerseits die Grenzkontrollen zu Deutschland ab dem 7. Juli angekündigt.
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