Diskussion um Reform von Hartz IV: Wo Sanktionen wirken
Funktioniert Hartz IV ohne Druck? Eine Studie zeigt, dass bestrafte Arbeitslose eher einen Job annehmen. Doch es gibt auch andere Erkenntnisse.
![Eine Person steht einsam vor einem Fenster. Den Rücken hat sie dem Betrachter zugewandt Eine Person steht einsam vor einem Fenster. Den Rücken hat sie dem Betrachter zugewandt](https://taz.de/picture/3076680/14/Hartz-IV-allein.jpeg)
Die Grünen wollen mit ihrer Idee einer neuen „Garantiesicherung“ für die Leistungsempfänger jede Verpflichtung abschaffen, sich eine Arbeit zu suchen, um den Leistungsbezug zu beenden. „Die Menschen sollen nicht gezwungen werden, Termine mit dem Jobcenter zu machen oder Arbeit zu suchen.“ Beratung und Weiterbildung sollen „freiwillig“ sein, heißt es in dem Papier.
Aber kann das überhaupt funktionieren, oder führt das nur dazu, dass die „Garantieleistung“ dann in Anspruch genommen wird ohne jeden Versuch, aus dem Bezug herauszukommen? Eine Antwort darauf kann man den diversen Studien entnehmen, die sich mit der Wirkung der durch die Jobcenter verhängten Sanktionen beschäftigen.
Bisher sehen die Sanktionen vor, dass bei Ablehnung einer zumutbaren Arbeit 30 Prozent des Regelsatzes gekürzt werden können, zunächst für drei Monate. Den Hartz-IV-Empfängern unter 25 Jahren kann sogar beim ersten Mal schon der gesamte Regelsatz gestrichen werden, die Unterstützung für die Miete ausgenommen. Wer nicht zum Termin erscheint und auch nach einem Mahnbrief nicht kommt, dem können zehn Prozent des Regelsatzes für drei Monate gestrichen werden. Diese sogenannten Meldeversäumnisse machen etwa drei Viertel der Sanktionen aus, heißt es bei der Bundesagentur für Arbeit.
Gefahr der Vereinsamung
Ein in diesem Jahr veröffentlichter Überblick des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit über mehrere Studien ergab, dass die Sanktionierung „erhöhte Eingliederungschancen“ bewirkte. Die bestraften Hartz-IV-EmpfängerInnen nahmen also danach eher einen Job an. „Es konnte ein schnellerer Übergang in Beschäftigung aufgrund der Sanktionierung nachgewiesen werden“, heißt es in der Metastudie. Das galt jedoch nur für einen Teil der Sanktionierten.
Die Metastudie ergab nämlich auch, dass sich manche Hartz-IV-Empfänger vom Jobcenter zurückziehen, wenn ihnen die Leistung gekürzt wird, dass sie erst recht vereinsamen und sich schlechter ernähren, wenn das Jobcenter ihnen das Geld streicht oder damit droht. Es kam „auch zu einem verstärkten Abgang aus Arbeitslosigkeit durch einen Rückzug vom Arbeitsmarkt“, heißt es in dem IAB-Papier. Sogar Kleinkriminalität und Schwarzarbeit könnten durch die Sanktionen der Jobcenter zunehmen.
Eine von der Linkspartei in Auftrag gegebene Zusammenstellung der Studien über Sanktionierungswirkungen ergab, dass Betroffene durch die Leistungskürzungen oder deren Androhung eher gelähmt werden und sich eben nicht stärker an die Anforderungen des Jobcenters anpassen.
Als vor einigen Jahren die verschärften Sanktionen für junge Leute unter 25 Jahren eingeführt wurden, stellte man zum Beispiel im Jobcenter Berlin-Neukölln fest, dass viele der Betroffenen Sucht- und Drogenprobleme hatten und die verschärften Sanktionierungen oder deren Androhung nur dazu führten, dass sie überhaupt nicht mehr beim Jobcenter auftauchten, sondern an den U-Bahn-Stationen oder anderswo anfingen zu betteln.
Keine Modelle für neuen Vorschlag
Was allerdings passiert, wenn kein Hartz-IV-Empfänger überhaupt noch dazu verpflichtet wird, eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben und sich um einen Job zu bemühen – dafür gibt es keine Modelle. Möglicherweise könnten die alten Ressentiments der erwerbstätigen Steuerzahler, Hartz-IV-Empfänger lägen ja nur in einer „sozialen Hängematte“, rasant zunehmen.
Eine Befragung des IAB unter allerdings nicht repräsentativ ausgewählten Personen ergab, dass die Mehrheit der Befragten Sanktionierungen als grundsätzlich sinnvoll erachtete, allerdings die schärferen Sanktionierungen für jüngere Leistungsbezieher eher ablehnte. In der Hälfte der Fälle würden die Befragten um nicht mehr als 20 Prozent kürzen.
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