Diskussion um Kriegsbeteiligung: Selbstvergewisserung durch Streit
Die Linie zwischen Kriegsteilnahme und Nichtteilnahme ist nicht so klar, wie es viele gern hätten. Das zeigt die Diskussion um die Nato-Spezialkräfte.
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W as für wen ein Krieg ist, wie und womit eine Kriegsbeteiligung beginnt, darüber streitet man in Deutschland eigentlich besonders gern. Im Fall des Ukrainekriegs ist dies anders. Hier gilt bislang weithin das Motto: Nur weil wir, also Deutschland und die Nato, die Ukraine mit Waffen unterstützen, sind wir, also Deutschland und die Nato, noch keine Kriegspartei. Viele VölkerrechtlerInnen unterstützen diese Lesart. Als Außenministerin Annalena Baerbock in einem Wortgefecht rief, „wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“, war die Empörung groß. Nichts soll der Behauptung Russlands Nahrung geben, es befinde sich nicht mit der Ukraine, sondern mit der Nato im Krieg.
Aus den Pentagon Leaks, also den öffentlich gewordenen Geheimdokumenten aus dem US-Verteidigungsministerium, geht nun hervor, dass mehrere Nato-Staaten zuletzt Spezialkräfte in der Ukraine eingesetzt hatten, und wenig spricht dafür, dass sich das inzwischen geändert hat. An dieser Stelle muss unbedingt betont werden, dass aktuell unklar ist, ob diese Dokumente echt sind – und was an ihnen gefälscht oder nachträglich verändert worden sein könnte.
Doch hat das britische Verteidigungsministerium es jedenfalls nicht hart dementiert, dass ausweislich der Liste, über die BBC und Guardian berichteten, Großbritannien im März 50 Spezialkräfte vor Ort hatte, Litauen 17, Frankreich 15, die USA 14 und die Niederlande eine einzelne, hoffentlich nicht einsame Spezialkraft. Nein, von Deutschland ist dort keine Rede. Und es ist auch nicht bekannt, was die Nato-Soldaten dort tun und wo sie eingesetzt sind: An der polnischen Grenze, zur Übergabe der Waffen, schießend an der Front? Weiß man nicht.
Bundestag diskutierte über Spezialkräfte in Afghanistan
Manche mögen es selbstverständlich finden, dass Nato-Staaten Spezialeinheiten in der Ukraine einsetzen. Wie selbstverständlich aber ist es dann zu behaupten, die Nato sei gar nicht im Krieg? Es ist noch nicht lange her, da beschäftigte der Bundestag einen ganzen Untersuchungsausschuss mit der Frage, was zwei BND-Agenten während des Irakkriegs in Bagdad verloren hatten. Viele Jahre hat der Bundestag darüber diskutiert, was genau die deutschen Spezialkräfte in Afghanistan machten und was daran unter „Kämpfen“ lief.
Eine Lehre aus all solchen Debatten könnte doch sein, dass die Linien zwischen Kriegsteilnahme und Nichtkriegsteilnahme jedenfalls nicht so klar und straff zu ziehen sind, wie es viele gern hätten. Angesichts der vielen Unklarheiten ist es jedenfalls unangebracht, sich öffentlich gegenseitig über den Mund zu fahren.
Wladimir Putin bestimmt die Regeln seines Handelns ohnehin selbst. Nur um ihm keine diskursiven Zugeständnisse zu machen, braucht die demokratische Öffentlichkeit doch nicht aufzuhören, über die Natur des Krieges in der Ukraine zu streiten. Die Ukraine wird noch lange Hilfe brauchen. Um die Zustimmung dafür hierzulande aufrechtzuerhalten, kommen wir am Streit, also der Selbstaufklärung darüber, welcher Art die Hilfe ist, nicht vorbei.
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