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Diskussion um Cannabis und HeroinKeine Heroin-Krise in Sicht

Der scheidende Leiter der Jugendpsychiatrie der Hamburger Uniklinik beschwört ein Heroin-Revival herauf. Sucht­for­sche­r:in­nen widersprechen.

Sorgt die Cannabis-Legalisierung für eine Zunahme an Heroinsüchtigen? Wohl eher nicht Foto: Georg Wendt/dpa

Hamburg taz | Weil Kiffen jetzt legal ist, erlebe Hamburg ein „Heroin-Revival“, das an die Drogenkrise der 1980er erinnere: Es ist eine steile These, die Rainer Thomasius im Hamburger Abendblatt aufgestellt hat, anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand. Thomasius war unter anderem ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Und er ist entschiedener Gegner der Legalisierung. Bereits vor dem Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes im April 2024 warnte er vor mehr Konsum und infolgedessen vor einer Zunahme von Psychosen bei Jugendlichen.

Mit einer gemeinsamen Stellungnahme widersprechen die Fachstelle für Suchtfragen „Sucht.Hamburg“, das Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) Hamburg und das Frankfurter Institut für Suchtforschung Thomasius’ Darstellung jetzt. Die verfügbaren Daten zeigen nämlich: Hamburg ist weit entfernt von einer neuen Drogenkrise.

Der Abendblatt-Text zeichnet ein düsteres Bild: Die Legalisierung von Cannabis für Erwachsene habe eine „Allverfügbarkeit“ der Droge geschaffen, die Jugendliche dazu treibe, ihren „Kick“ in gefährlicheren Substanzen wie Heroin zu suchen. Thomasius spricht von einer gesellschaftlichen Akzeptanz von Cannabis, vergleichbar mit Alkohol, und beschwört Bilder von Dea­le­r:in­nen herauf, die Minderjährigen kostenlos Heroin anbieten, um sie abhängig zu machen – ein Szenario, das an „Christiane F.“ erinnert. „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ beschreibt die Geschichte einer Jugendlichen, die in den 1970ern in Berlin in die Heroinsucht abrutscht. Ihr Schicksal prägte damals das Bild der Drogenkrise und wurde zum Symbol für die Gefahren harter Drogen.

Keine Anzeichen für einen Anstieg

Doch die Stellungnahme der Sucht­for­sche­r:in­nen macht klar: Diese Behauptungen sind übertrieben und empirisch unhaltbar. Es gebe „derzeit keine belastbaren Hinweise auf einen Anstieg des Heroinkonsums unter Jugendlichen seit der Legalisierung von Cannabis für Erwachsene“, schreiben sie. Man müsse deshalb bei Thomasius’ Aussagen „eher von anekdotischer Evidenz als von epidemiologisch relevanten Entwicklungen ausgehen“, das heißt: Thomasius mag das so erleben, die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache.

Es sei zwar richtig, dass das UKE aktuell von jugendlichen Heroin-Konsument:innen vermehrt in Anspruch genommen werde, und auch aus anderen Suchthilfeeinrichtungen gebe es Berichte, dass diese etwas häufiger von jungen Menschen aufgesucht werden, die Opioide konsumieren – allerdings nur selten Heroin. Ein kausaler Zusammenhang mit der Cannabis-Legalisierung sei aber „zu weit hergeholt“, heißt es in der Stellungnahme. Die These sei durch keine Daten gestützt.

Cannabis ist für Jugendliche so unattraktiv wie seit mindestens 20 Jahren nicht mehr

Aus der gemeinsamen Stellungnahme mehrerer Suchtberatungen

Obwohl zwei Studien, die 2024/25 repräsentativ unter Hamburger Jugendlichen und Lehrkräften erhobene „Schulbus“-Umfrage zum Umgang mit Suchtmitteln und die mit Frankfurter Jugendlichen durchgeführte Studie „Monitoring-Systems Drogentrends“, noch ausgewertet werden müssten, ließen sich aus ersten Sichtungen keine Anzeichen dafür erkennen, dass der Umgang von Jugendlichen mit Cannabisprodukten und anderen Drogen gegenüber den Vorjahren angestiegen wäre.

Heroin nehmen nur sehr wenige

Vieles deute darauf hin, so die Suchtforscher:innen, dass „der erfreulich rückläufige Trend auch in der Verbreitung des Kiffens unter den Jugendlichen – trotz der Legalisierung – weiterhin anhält“. Auch der Konsum von Ecstasy sei gesunken, die Verbreitung von Heroin bleibe „im Promillebereich gleichbleibend niedrig“.

Daten der Polizei decken sich mit dieser Einschätzung. Aus Hamburgs Polizeilicher Kriminalstatistik 2024 geht hervor, dass die Zahl der erfassten Rauschgiftdelikte 2024 insgesamt um etwa ein Drittel auf 11.313 Fälle gesunken ist – was auf das Konsumcannabisgesetz zurückzuführen sei. Heroinkonsumdelikte sind um 242 Fälle (–16,9 Prozent) zurückgegangen.

Auch Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter sieht laut NDR keine Anzeichen für einen massiven Anstieg des Heroinkonsums unter Jugendlichen. Heroin spiele in Hamburg nur eine untergeordnete Rolle, Hinweise auf eine gezielte Strategie von Dealer:innen, Jugendliche mit Heroin süchtig zu machen, gebe es nicht.

Von einem Heroin-Revival und einer Neuauflage der Drogenkrise der 1980er kann in Hamburg also keine Rede sein. Mit der “‚Wiederbelebung‘ der Geschichte von „Christiane F.“, vermuten die Sucht­for­sche­r:in­nen deshalb, solle „öffentlichkeitswirksam das vor gut einem Jahr in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz als gescheitert erklärt werden“, noch bevor die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation dieser Gesetzesänderung, an der das ISD beteiligt ist, vorliegen. Vorläufige Daten zur Folgen der Legalisierung deuten laut der For­sche­r*in­nen auf etwas anderes hin: „Cannabis ist für Jugendliche so unattraktiv wie seit mindestens 20 Jahren nicht mehr.“

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1 Kommentar

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  • Er wird wohl nie los lassen können.

    Wenn es nach dem geht müsste ich wohl schon längst wie Barny Gummble in der Gosse liegen, am Hungertuch nagen oder mich zumindest Prostituierten, im Leben überhaupt nicht klar kommen und ständig Gläubiger im Nacken sitzen haben. Ich kiff nämlich mehr als die Hälfte meines Lebens.



    Seltsamerweise trifft aber keiner der genannten Punkte zu. Eher im Gegenteil.



    Ich will keine Werbung für Drogen machen, aber da so ziemlich alles was mein Leben zum besseren gelenkt hat mit nachdenken zu tun hatte und ich das in einem bestimmten Zustand ganz besonders gut (und ruhig) kann, bin ich mir sogar recht sicher das es in meinem Fall eher positiven Einfluss hatte.

    Dafür verzichte ich auf schlimme Dinge, wie beispielsweise Alkohol oder nervige Einwände von Scheuklappen Denkern die im falschen Jahrhundert leben xD.