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Diskussion über nukleare TeilhabeDie SPD-Debatte ist heuchlerisch

Kommentar von omid nouripour

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich fordert den Abzug der US-Atomwaffen. Er erntet Widerspruch in der Partei.

Damit könnte die Bundeswehr Atombomben transportieren und abwerfen: Kampfjet vom Typ Tornado Foto: imago images

I n 18 der letzten 22 Jahre war die SPD Teil der Regierung. In dieser Zeit hat sie stets die nukleare Teilhabe Deutschlands und die damit verbundene Sta­tio­nierung von US-Atombomben in der Stadt Büchel verteidigt. Nun hat ihr Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich plötzlich den Abzug dieser Atomwaffen gefordert. Als Begründung für seinen Sinneswandel führte er die „neue“ Nuklearstrategie Trumps ins Feld, aber auch die Notwendigkeit der Beschaffung neuer Kampfflugzeuge für die Bundeswehr zur Nachfolge des völlig veralteten Tornados.

Prompt handelte er sich Widerspruch ein. Der SPD-Verteidigungspolitiker Fritz Felgentreu nannte den Vorstoß seines eigenen Chefs „eine nicht recht schlüssige Argumentation“. Er hat damit recht. Der Abzug der Atomwaffen aus Büchel ist dringend notwendig, das Ende der nuklearen Teilhabe überfällig. Aber Trumps Ansatz, Atomwaffen nicht nur zur Abschreckung, sondern auch präemptiv einzusetzen, ist so alt wie seine drei Jahre alte Präsidentschaft. Und die Frage der nuklearen Teilhabe ist eine grundsätzliche politische Entscheidung, keine technische über die Trägersysteme.

Genau dieser politische Wille ist aber bei den Zuständigen in der SPD schlicht nicht vorhanden. Im Gegenteil hat Heiko Maas (SPD) nicht nur Mützenich offensiv widersprochen. Er verweigert auch der SPD-geführten Regierung von Rheinland-Pfalz, dort liegt Büchel, seit Jahren jede Akteneinsicht über die Atomwaffen. Das war unter seinem Vorgänger (SPD) auch nicht anders. Und Kanzler Schröder (SPD) war nicht einmal ernsthaft bereit, in seiner Amtszeit dieses Thema mit seinem grünen Partner zu diskutieren.

Warum also tut Mützenich das? Man könnte meinen, die SPD schalte in den Wahlkampfmodus. Das ist angesichts der Pandemie, die die Politik in den Krisenmodus versetzt, schlicht bizarr. Es erinnert auch an die richtige Forderung der SPD-Parteiführung nach der Einführung von Coronabonds, die vom Finanzminister Olaf Scholz (SPD) abgebügelt wurde. Auch diese Debatte war schlicht heuchlerisch.

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16 Kommentare

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  • Ich sach's mal so: US-Atomwaffen im Land zu haben und gleichzeitig einen amerikanischen Präsidenten, der seinen Leuten vorschlägt, sich Desinfektionsmittel gegen Viren zu injizieren, das bedeutet selbst für die SPD inzwischen ein bis dato gar nicht vorstellbares, gravierendes Sicherheitsrisiko für dieses Land.

  • "Warum also tut Mützenich das?"

    Vielleicht ist er ja klug geworden. Übrigens ist er auch erst seit 2019 Fraktionsvorsitzender und seine Meinung fällt jetzt eben mehr auf.

  • Ich denke "heuchlerisch" (vortäuschend) ist das falsche Wort.



    Mützenich ist durchaus glaubhaft und das Eintreten für den Abzug sämtlicher Atomsprengköpfe seit 2007 Teil des SPD-Parteiprogramms.



    Aber im Wissen, daß die SPD-Schaltstellen gut mit Transatlantikern und kalten Kriegern besetzt sind, war absehbar, daß eine solche Initiative im Sand verläuft und damit folgenlos bleibt.



    "Wohlfeil" wäre wohl das bessere Wort gewesen.

    • @jhwh:

      "... das Eintreten für den Abzug sämtlicher Atomsprengköpfe seit 2007 Teil des SPD-Parteiprogramms."

      Eigentlich müssten dann diverse SPD Politiker wegen fortdauernden Verstoßes gegen das Parteiprogramm aus der Partei fliegen :-)

  • Das Mützenich die ihm aktuell und jetzt vorliegenden Möglichkeiten nutzt, um das Thema anzuschieben ist heuchlerisch?

    Wenn wir Atomwaffen abschaffen wollen, ist es immer an der Zeit, diese Debatte zu führen. Und Mützenich hat eben genau jetzt die Chance, diese Debatte ans Licht zu holen. Die neuen Trägersysteme sind ein guter Anlass.

    Außerdem, dass in der SPD mehrere Meinungen dazu herrschen ist normal. Bei den Grünen ist es auch nicht anders.

    Nur diejenigen die schon immer die reine Lehre vertreten haben sind glaubwürdig? Na, viel Spass bei den Jesuiten.

  • "Und Kanzler Schröder (SPD) war nicht einmal ernsthaft bereit, in seiner Amtszeit dieses Thema mit seinem grünen Partner zu diskutieren"

    Das heisst, wir machen langsam Fortschritte? Das wäre ja gut.

    Es wäre naiv anzunehmen, die SPD hätte in dieser Sache eine homogene Meinung. Wenn jetzt kritischere Stimmen abseits der Betonfraktion gehört werden kann ich es nur begrüssen.

  • Debatten sind nie heuchlerisch, es gibt halt verschiedenen Meinungen. Und es gibt langfristige Verträge, aus denen auch nicht so leicht ausgestiegen werden kann. Und es gibt Koalitionsregierungen, in denen nicht eine Partei entscheidet.



    Einem Menschen wie Trump die Möglichkeit zu entziehen, Atomwaffen präventiv einzusetzen ist gut und richtig. Trum hat sich aktuell die Möglichkeit gesichert, im Krisenfall OHNE Zustimmung des Kongresses handeln zu können. Das ist neu!

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Peter Hansen:

      " Einem Menschen wie Trump die Möglichkeit zu entziehen, Atomwaffen präventiv einzusetzen ist gut und richtig. Trum hat sich aktuell die Möglichkeit gesichert, im Krisenfall OHNE Zustimmung des Kongresses handeln zu können. Das ist neu!" das tun wir nicht mit dieser Maßnahme.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Der Präsident der USA hat schon immer das Recht, Atomwaffen ohne Zustimmung des Kongresses einzusetzen. Er muss nur behaupten, dass ein Angriff unmittelbar bevor stand und keine Zeit zum Fragen war...

    • @Peter Hansen:

      Ich sehe das ähnlich, auch wenn die SPD die nukleare Teilhabe seit Schmitds, eigentlich schon seit Brandts Zeiten mitträgt ist eine Diskussion nie per se heuchlerisch.



      Es ist immer legitim zu überlegen wie man aus einer ungeliebten Nummer herauskommen könnte.

      Eine echte Alternative wären aber wohl nur eine Teilhabe am britischen und oder französischen Atomschirm oder eben eigene Atomwaffen. Eine nationale Lösung war übrigens schon Kurt Schuhmachers Präferenz.

      Die Diskussion gab es also schon so lange es die BRD gibt und Ergebnis einer erneuten und notwendigen Diskussion könnte also sein, dass der jetzige Status Quo gar nicht so verkehrt ist... und somit als Konsequenz nach Starfighter und Tornado die dritte für diesen Zweck taugliche Flugzeuggeneration angeschafft werden muss.

      Letztlich mit Zustimmung der SPD. Die Grünen dürfen im Moment mal wieder froh sein, nicht an der Regierung zu sein.

      • @Waage69:

        """



        Eine echte Alternative wären aber wohl nur eine Teilhabe am britischen und oder französischen Atomschirm oder eben eigene Atomwaffen. Eine nationale Lösung war übrigens schon Kurt Schuhmachers Präferenz.



        """

        So ist es. Entweder man leiht sich eine, man kauft sich eine, man baut sich selbst eine oder man schlüpft unter einen Schutzschirm.

        Ansonsten wird man bestenfalls an Abrüstungsverhandlungen nicht beteiligt oder schlechtestenfalls geprüft, welchen Preis man bereit ist, konventionell zu bezahlen.

      • @Waage69:

        Wiebitte? Die Alternative zu Atomwaffen sind Atomwaffen? Sie scheinen den Kern dieser Diskussion noch nicht begriffen zuhaben.

        • 8G
          83379 (Profil gelöscht)
          @Francois Bourgeois:

          Solange es Staaten gibt wird es Atomwaffen geben, und darüber hinaus um Asteroiden abzuschießen. Die Idee einer atomwaffenfreien Welt ist nicht nur weltfremd sie ist gefährlich. Atomwaffen verhindern Kriege zwischen den Großmächten.

          • @83379 (Profil gelöscht):

            Es ist wohl so.

            Ein weiterer Aspekt: Schröder tritt immer für gute Beziehungen zu Russland und (möglichstes) Verständnis für dessen Interessen ein.







            Das finde ich persönlich richtig auch vor dem Hintergrund der unvorstellbaren Opfer, welche die UdSSR im zweiten Weltkrieg bringen mussten. Trotzdem war Schröder immer für die nukleare Teilhabe.

            Ich denke, mangelnde Berechenbarkeit wäre für Russland viel schlimmer und stünde auch Vereinbarungen über Rüstungskontrolle und beidseitiger atomarer Abrüstung mehr im Wege als die nukleare Teilhabe Deutschlands selber.

            • 8G
              83379 (Profil gelöscht)
              @Waage69:

              "Ein weiterer Aspekt: Schröder tritt immer für gute Beziehungen zu Russland und (möglichstes) Verständnis für dessen Interessen ein. Das finde ich persönlich richtig auch vor dem Hintergrund der unvorstellbaren Opfer, welche die UdSSR im zweiten Weltkrieg bringen mussten. " Nun ja aber das musste die Ukraine auch, noch mehr sogar wenn man es auf die Bevölkerung hochrechnet. Diese einseitige Vereinnahmung des 2. Weltkrieges durch Russland ist hochproblematisch. Ich habe großen Respekt vor dem Heldenmut der Soldaten aber die Sowjetische Führung war selbst einen Genozid-verübende Bande an Verbrechern , das jetzt Stalin so in Russland gelobt wird muss im Baltikum und der Ukraine berechtigte Angst auslösen und diese Ländern müssen ihre Interessen nicht Russland unterordnen, auch wenn sich das einige in Deutschland aus falschem pseudo- pazifistischem Instinkt heraus so wünschen.

        • @Francois Bourgeois:

          "Sie scheinen den Kern dieser Diskussion noch nicht begriffen zuhaben.

          Hm... - Gegenfrage: sind Sie sicher, ihn selber begriffen zu haben?