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Diskurs nach Hanau und HamburgZu früh gefreut

Volkan Ağar
Kommentar von Volkan Ağar

Kurz nach dem Anschlag in Hanau hat Hamburg gewählt. Die Vorfreude über einen möglichen Misserfolg der AfD verrät viel über die Gesellschaft.

Rassismus beginnt nicht erst wehzutun, wenn Menschen ermordet werden Foto: ap

G roße Freude. Vier Tage nach dem rassistischen Terroranschlag jubelte die linksliberale Twitter-Blase am Sonntagabend darüber, dass die AfD bei den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft nach ersten Hochrechnungen nur auf 4,7 Prozent komme und möglicherweise aus dieser herausfliegen würde. Am Ende kam es doch anders: Die AfD zog mit 5,3 Prozent ein.

Es wäre natürlich erfreulich gewesen, wenn die AfD aus dem ersten westdeutschen Landesparlament rausgeflogen wäre, in das sie 2015 eingezogen ist. Auch wenn dies nur einen kleinen Etappensieg gegen den parlamentarischen Rechtsextremismus bedeutet hätte. Einen kleinen Vorgeschmack.

Die frühzeitige Freude, die dann enttäuscht wurde, zeigt aber nur, wie wichtig es jetzt ist, über die Ursachen von und die Konsequenzen nach Hanau zu diskutieren. Was muss geändert werden? Reicht es, an ordnungspolitischen Stellschrauben zu drehen? Reicht es, wenn die AfD irgendwann vielleicht in der Bedeutungslosigkeit versinkt? So berechtigt und notwendig auch die Frage danach ist, was die Behörden doch hätten tun können, um Hanau zu verhindern, und so verständlich die Freude über jeden Reinfall der AfD ist: Weder ein rein technischer Diskurs noch erfreuliche Ergebnisse aus Landesparlamenten werden der gegenwärtigen Situation gerecht.

In einer Analyse auf Zeit Online, in der sich der Kulturkritiker Georg Seeßlen auch mit der Pathologisierung des Hanauer Täters beschäftigt, schreibt er, dass der Terror „aus dem ‚Unauffälligen‘ und ‚Angepassten‘, aus der Normalität und aus dem Gewöhnlichen“ komme. Man könne über die Täter des rechten Terrorismus nichts sagen, ohne von der Gesellschaft zu sprechen, die diese hervorgebracht hat. Und er schreibt: „Psychose wie politische Radikalisierung entfalten das terroristische Potential ganz offensichtlich auf der Grundlage von Formalitäten und Gewohnheiten.“ Mit Blick auf die Empathielosigkeit in unserer Gesellschaft, die Enthemmung der Sprache und die Sexualisierung der Diskurse fordert er eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, die Hanau möglich gemacht haben.

Rassismus wird technisch diskutiert

Die Mehrheitsgesellschaft neigt dazu, Rassismus rein technisch zu diskutieren oder auf eine Partei, die AfD, zu beschränken – und so das große Ganze aus den Augen zu verlieren

Leider hat Seeßlen wenig Hoffnung, dass das alles geschehen wird. Er schreibt, dass die Gesellschaft und der deutsche Staat, wie sie heute existierten, kaum mehr erwarten ließen „als eine rein oberflächliche, das heißt einerseits polizeiliche und andererseits rhetorische Abwehr der rechtsextremen Gewalt“. Auch wenn die Geschichte rechtsextremer Gewalt in Deutschland und der zweifelhafte Umgang mit ihm genug Anlass zu Pessimismus geben: es wäre schön, wenn Seeßlen damit nicht recht behalten würde. Es wäre schön, wenn diese Gesellschaft die gewohnten Rituale nach rassistischem Terror durchbrechen würde. Eigentlich hat sie keine andere Wahl, will sie nicht ihre eigenen Existenzgrundlagen verlieren.

Die Vorfreude von Sonntagabend, die dann enttäuscht wurde, offenbart viel über diese Mehrheitsgesellschaft: dass sie dazu neigt, das Problem mit Rassismus und Rechtsterrorismus rein technisch zu diskutieren oder auf eine Partei, die AfD, zu beschränken – und so das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Und dass sie dazu neigt, die Ursachen für Schreckliches, Unmenschliches möglichst von sich wegzuschieben.

Mit Blick auf die Freude über die Hamburger Wahlergebnisse, die trotz des Doch-Einzugs der AfD andauert, ist es doch bezeichnend, dass Hamburg das einzige Bundesland ist, in dem ein NSU-Mord geschehen ist und in dem es bis heute keinen NSU-Untersuchungsausschuss gibt – trotz vieler offener Fragen. Im Sommer 2001 wurde Süleyman Taşköprü in seinem Lebensmittelladen von den NSU-Terroristen erschossen.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Das Problem an diesen bequemen Schuldzuweisungen ist doch, dass ein Boomerangeffekt besteht. Ich unterstelle mal, dass Volkmarsen bei den lautesten Trompetern die Sorge geweckt hat, nun die eigene Medizin schlucken zu müssen. Also, Vorsicht ist geboten!

  • Soso, also jede irgendwie geartete "rechte" Losung, jedes Wort, jeder Satz, jeder Artikel, der nur irgendwie rechts ist, jedes AfD-Treffen, hat also mitgeschossen, mitgeattentätert und ist deshalb irgendwie mitschuldig und mitursächlich? Sorry, aber das ist, auch wenn es noch so verführerisch klingt, nicht verifizierbar. Korrelationen sind keine Kausalitäten und einfach so zu behaupten, daß "das Rechte" in seiner "Gesamtheit" irgendwie dazu "führen mußte" sind nichts weiter als Behauptungen. Genausogut könnte man analog behaupten, daß die sozialliberale Koalition damals an der RAF mitschuldig gewesen wäre. Oder sind aktuell etwa die Rot-Grünen mitschuldig an jeder Prügelattacke in der Rigaer? Das wäre eine künstliche Herstellung von Ursache-Wirkung, die nicht beweisbar ist. Und, sorry, was für den Einen gilt, gilt auch für den Anderen. Das, was hier ins Kraut schießt, sind wirre Phantasien. Es ist eine Seite zu sagen, daß es "ein Klima" gäbe, das etwas begünstigen könnte, Das stimmt. Aber begünstigen ist etwas anderes als verursachen. So verführerisch es ist, hier jemanden anklagen zu wollen, es erwiese sich als Schuß nach hinten, denn jede noch so leise in Zukunft vorgetragene Kritik wird dann als "Klima" eingetütet werden können und mit dem Verdacht des Mitschießens belegt. Holla, die Waldfee. Da kommt die Diktatur über die Hintertür ins Haus.

    • @Thomas Schöffel:

      "Die Vorfreude von Sonntagabend, die dann enttäuscht wurde, offenbart viel über diese Mehrheitsgesellschaft"

      Hier macht der Autor schon den ersten, leider unter Journalisten ausgesprochen gängigen Fehler: die "linksliberale Twitterblase" mit der Mehrheitsmeinung oder gar der Mehrheitsgesellschaft gleichzusetzen.

  • Der Täter war schon vor 20 Jahren durchgeknallt. Aber wenn man der Meinung ist, daß "die Existenz gewisser Volksparteien an sich



    ein grundsätzlicher Fehler ist," ist natürlich die AfD schuld.

  • Sehr guter Artikel.



    Der Rassismus nährt sich ziemlich sicher auch von den vielen Ressentiments gegen Zugewanderte, die es quer durch die Gesellschaft gibt. Da wird auch viel gedacht und geschwiegen um nicht aufzufallen.



    Relativ leicht feststellbar ist zudem daß die meisten Ressentiments bei denen vorhanden sind, die kaum Menschen aus anderen Ländern und Kulturen kennen.



    Warum war die AfD in Hamburg so schwach? Ja, weil die Hamburger Bevölkerung eine Mischung aus allen möglichen Kulturen ist.



    Das beste Mittel gegen Rassismus ist das gemeinsame Wohnen, das gemeinsame arbeiten, das gemeinsame Zusammenleben und die gemeinsame Freundschaften, die daraus entstehen.



    Dann sieht frau/man schnell daß alle Menschen gleich sind. Mit allen Stärken und Schwächen.

    • @Traverso:

      ganz so gut ist der Artikel dann doch nicht, denn ich habe ihn ganz anders verstanden. Dass es um strukturelle Probleme geht, die weit über das Thema "Rassismus" hinausgehen, nämlich "Abspaltung", "Umgang mit Fehlerhaftigkeit" "Diskussionskultur" "Ehrlichkeit zu sich selbst" und "Heuchelei".

      So kann man ihn auch verstehen....(dass Rassimus nur ein "Unterpunkt" eines größeren Problems ist)

  • Ich wusste doch, das etwas faul ist, wenn ein ganzer Saal voller Sozis "Nazis raus" brüllt.

    • @Jim Hawkins:

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      Die Moderation

      • @Rudolf Fissner:

        Scheint, dass wir wieder quitt sind.

      • @Rudolf Fissner:

        Herr Fissner, meine Bitte wäre den Artikel zu lesen und mit Ihrem Statement abzugleichen.

      • @Rudolf Fissner:

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        Die Moderation