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Hamburg nach der WahlDie Heuchler

Die AfD ist eine Partei, die zu dem System gehören will, das sie abzuschaffen vorhat. In Hamburg hat sie 5,3 Prozent der Stimmen bekommen.

Zurück ins Vorgestern: Bierflasche der Marke „Preußens“ auf der Wahlparty der AfD Foto: dpa

H amburg hat gewählt, heißt es überall. Ich habe auch gewählt, ich bin auch Hamburg. Hamburg hat uns Sonntagabend fast sehr glücklich gemacht. Denn fast ist die AfD nicht in die Bürgerschaft gekommen. Aber sie ist es eben doch, und darum sind wir nun nicht mehr so glücklich. Schon wurde triumphiert, hier sei es eben doch besser als anderswo, die Leute seien besser, klüger, Menschen, die nicht die AfD wählen.

Ich gebe zu, auch ich habe so empfunden. Ein Glück, dachte ich, lebe ich in Hamburg und nicht in Chemnitz oder Dresden. Ich kenne eine junge Frau, die in Chemnitz studiert, sie kann es kaum ertragen, die Rechten seien überall, sagt sie. Wird sie nach dem Studium nach Hamburg kommen? Wird sie irgendwohin gehen, wo nicht so viele Rechte herumlaufen? Wird sie sich ihr Leben danach einrichten? Würde ich das tun? Als ich 1994 nach Hamburg gekommen bin, habe ich darüber nicht nachgedacht, es ist mir gar nicht bewusst gewesen, dass ich in eine Stadt gekommen war, in der Rechte so wenig zu melden haben.

Am 23. September 2001 allerdings wählten 19,4 Prozent der Hamburger*innen die Schill-Partei, die damit drittstärkste Kraft in der Hamburger Bürgerschaft wurde. Woher kamen diese Wähler*innen 2001 plötzlich, und wo waren sie vorher, wo sind sie jetzt? Nachträglich wurde dieses Wahlergebnis der Unzufriedenheit mit der SPD zugeschrieben. Und der Angst nach dem 11. September. Aber es waren fast 20 Prozent, ein Fünftel der Hamburger Bürger*innen hatte eine Schill-Partei gewählt!

Wenn wir jetzt glauben, dass wir hier, in dieser Stadt, auf der sicheren und richtigen Seite stehen, müssen wir uns nur an 2001 erinnern. Glücklicherweise wählen die 19,4 Prozent Schill-Partei-Wähler*innen jetzt nicht die AfD. Vielleicht hat die katastrophale Erfahrung mit einer rechtspopulistischen Partei die Hamburger*innen aber auch klüger gemacht? Das ist es ja, was wir hoffen, dass wir klüger sind. Dass wir wissen.

Ein Glück, dachte ich, lebe ich in Hamburg und nicht in Chemnitz oder Dresden
Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Dirk Nockemann glaubt, das schlechte Abschneiden seiner Partei sei „Ergebnis einer maximalen Ausgrenzungskampagne“. „Die Anti-AfD-Kampagne hat uns nicht ausgeknockt“, triumphierte die AfD gleich auf Twitter, nachdem es klar geworden war, dass sie nun doch in der Bürgerschaft vertreten sein wird.

Die AfD beschwert sich wie keine andere Partei über die Presse, die Medien, die öffentliche Meinung. „Üble GEZ-Propaganda“ (Jörg Meuthen) werde gegen sie aufgefahren, die Morde in Hanau würden ihnen ungerechterweise angerechnet etc. Aufgrund der „falschen Wahlprognosen“ sei ihr Spitzenkandidat, Dirk Nockemann, nicht ins Fernsehen eingeladen worden. In die „Systemmedien“ möchte die AfD nämlich schon gerne, und mit den anderen spielen, sie möchte dazu gehören, zu dem System, das sie abzuschaffen vorhat.

Und wenn ich mir das überlege, dann ist es ja tatsächlich so, dass die AfD vor der Wahl und auch aufgrund der Morde in Hanau viel Gegenwind in Hamburg erhalten hat. Demons­trationen, Statements von öffentlichen Personen. So ist sie nämlich, die kleine AfD, das arme Schmuddelkind, will nicht, dass schlecht über sie geredet wird, findet das Spiel, das sie alle spielen, scheiße, will aber trotzdem mitspielen, sieht sich ausgegrenzt und ungerecht behandelt, wenngleich sie aber nur zu diesem Zweck mit einbezogen werden will, um irgendwann im ganz großen Stil ausgrenzen zu können.

Hamburg hat gewählt, heißt es so schön und doppeldeutig und eigentlich doch eindeutig. Die Wahl ist unsere Wahl. Wir haben sie ja noch. Wir können noch Parteien, wie die AfD, ausgrenzen, denn sie sind nicht Teil unserer Demokratie, sondern ihre Krankheit, wären ihr Tod. Die AfD ist sich zu gar nichts zu schade, auch nicht dazu, auf ihrem Recht zu pochen, mit demokratischen Mitteln an der Abschaffung der Demokratie zu feilen.

Hamburg hat gewählt. 5,3 Prozent hat sich für die AfD entschieden. Das ist falsch. Keine Zeit, zu feiern, keine Zeit, zu triumphieren.

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14 Kommentare

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  • Die Demokratie kann nur von oben, durch die Regierung, abgeschafft werden. Da sitzt in Hamburg Rot-Grün, nicht die AfD.



    Eine Oppositionspartei ist per definitionem nicht an der Macht und kann positiv wie negativ nicht vorführen, was sie tun wird. Sie ist daher unvermeidlich eine Projektionsfläche, in die man hineinprojizieren kann, was immer man will. Die Regierung kann also immer einen Grund finden, die Opposition zu verbieten, und so haben die früheren Bolschewisten es ja auch gemacht - genau das sollte durch die fdGO verhindert werden.

  • Gut, dass Frau Seddig noch mal an Schill erinnert. Diese knapp 20% seinerzeit machen mir heute noch Angst, für den Fall, dass die wirtschaftliche Lage mal kritisch bzw. schlechter sein wird. Zur Erinnerung, Schill hatte die Halbierung der Kriminalität versprochen und Olaf Scholz als Innensenator Brechmitteleinsätze angeordnet. Beides, weil sich seinerzeit einige Drogenabhängige am Hbf. rumgetrieben haben und der Politik in ihrer Einfältigkeit nichts Besseres einfiel damit umzugehen.

  • 1. Hamburg hatte immer auch eine rechtsradikale Klientel - Hitler fühlte sich hier wohl - Hamburg galt als 'Führer-Stadt' - ganz entgegen den nach 1945 gepflegten Mythen. 2. Jahrzehntelang kämpfte man erfolglos gegen das kriegsverherrlichende Denkmal am Stephansplatz "Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen". 3.Michael Kühnen konnte hier seinen Auschwitz-Leugner-Aufmarsch mit Eselsmasken aufführen. 4. Seine Nachfolger (Worch und Co) haben immer wieder provokative Auftritte in Hamburg durchführen können - manchmal unter Polizeischutz. 5. Mit ihrem Anti-Links-Kurs von Brokdorf bis Elbvertiefung und Hafenstrasse (Voscherau), konnte die SPD lange Zeit auch ein eher konservativ- bis rechtes Wählerpotential binden. 6. All denen, die hier in Kommentaren die AfD als Teil unseres Pluralismus das Wort reden, sei die Lektüre der Äußerungen von Herrn Höcke und seinem rechtsradikalen Flügel empfohlen.

    • @Philippe Ressing:

      Ja nee, is klar. Weil Hitler sich in Hamburg wohlfühlte, ist jetzt die AfD da. Völlig logisch.

  • Ich glaube nicht, daß die AfD die Demokratie abschaffen will. Weder das Parteiprogramm noch die Reden irgendwelcher ihrer Leute belegen das. Ok, das es irgendwelche Idioten gibt, die allen anderen sowieso immer nur einen auf´s Maul hauen wollen, gibt es, stimmt. Aber die gibt es ja auch bei den Linken. Wenn irgendwelche Antifanten Leute verprügeln oder Geschäfte zerlegen, ist das ja auch keine Vorfeldorganisation der Linken oder Grünen, oder? Ich glaube eher, daß das Narrativ der undemokratischen Nazipartei AfD aufrechterhalten werden muß, damit die Leute nicht merken, daß die AfD eigentlich sowas ist wie die CDU vor zwanzig Jahren.

    • @Thomas Schöffel:

      Welche Linken wollen denn immer Leuten was aufs Maul hauen? Können Sie das bitte konkretisieren, bitte auch mit Belegen/Beispielen.

      • @Senza Parole:

        Also, die "Aktivitäten" der sog. Antifa bei x Veranstaltungen können Sie sich gern auch selber raussuchen. Oder wollen Sie mich jetzt zu überzeugen versuchen, daß die ein gewaltloser Friedens- oder Häkelverein sind?

  • Die von der AfD vertretene Ideologie ist eben ein Teil des Pluralismus - und damit ein Teil der Demokratie.



    Man muß diese Ideologie nicht mögen, man muß sie nicht teilen - aber sie gehört eben zu Pluralsimus und Demokratie so zwingend denknotwendig dazu wie der Tod zum Leben.



    Was ist daran so schwer zu verstehen?

    • @Denkender_Buerger:

      Ideologien sind solange Teil des Pluralismus, solange sie sich auf dem Boden der FDGO der BRD bewegen. Das tut der Faschismus nicht, und Höcke, der die Mitte der AfD repräsentiert (so Gauland), ist, nun ja, Faschist. (Nicht der einzige, nur der lauteste und einflussreichste in der Partei.) Eine pluralistische Demokratie muss nicht alles dulden. Die Grenze ist da, wo die Gefahr besteht, dass demokratische Mittel genutzt werden, um sie abzuschaffen. Hat's schon mal gegeben, deshalb darf sie sich selbst schützen. Siehe dazu auch Poppers Toleranz-Paradox und das GG. Was ist daran so schwer zu verstehen? (Ok, im Kontext ist die letzte Frage provokativ, das geb ich zu. Ich konnt's trotzdem nicht lassen. Entschuldigung.)

      • @Kaipiranha:

        Und im Übrigen haben Sie genau das gemacht, was ich gesagt habe:



        Widersprochen.



        Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen - wäre ja schizzophren, wenn ich erkläre, was Widerspruch bedeutet und weswegen er nötig ist, dann aber selbst keinen Widerspruch dulde ...

      • @Kaipiranha:

        Sie haen nicht verstanden, was ich gesagt habe:



        Es wird immer Leute geben, die gegen irgend etwas sind - warum auch immer.



        Das liegt nun mal in der Natur des Menschen.



        Keine Revolution ohne Konter-Revolutionäre!



        Und nur der Widerspruch hilft in der Entwicklung weiter.



        Gäbe es keinen Widerspruch mehr, würde das gesellschaftlichen Stillstand bedeuten.



        Man muß den Widerspruch ja nicht mögen und man kann ja zusehen, wie man ihn möglichst klein halten kann oder am besten entkräftet - aber zur gesellschaftlichen Entwicklung gehört er nun mal denknotwendig dazu wie der Tod zum Leben.



        Was ist daran so schwer zu verstehen?!

        • @Denkender_Buerger:

          Natürlich ist Widerspruch wichtig. Da möchte ich gar nicht widersprechen. :-) (Die Entschuldigung galt auch nicht für meinen Widerspruch an sich, sondern nur für das Wiederholen Ihrer Frage am Ende. Das kann als passiv-agressiv interpretiert werden...) Wir reden ein bisschen aneinander vorbei, glaube ich. Wenn "klein halten" mit einschließt, dass extremistische, verfassungsfeindliche Formen des Widerspruchs juristisch verfolgt und im Zweifelsfall bestraft/verboten werden dürfen, sind wir uns einig.

          • @Kaipiranha:

            Im Übrigen betrachte ich das ganze weder von rechts noch von links noch aus der Mitte heraus - sondern aus der neutralen Sicht eines Außenstehenden.



            Sich bei verschiedenen Dingen mal in die Sicht eines Außenstehenden zu begeben würde die Betrachtung und das Verständnis vieler Dinge erheblich erleichtern und die Findung eines Lösungsweges nicht unerheblich fördern.



            Leider können oder wollen das viele nicht, sondern begeben sich vielmehr in de Gefangenschaft ihrer Sicht der Dinge und fahren sich dort fest. Und dann ist der Konflikt und seine Eskakation schon vorprogrammiert.

          • @Kaipiranha:

            Der Sinn von Gesetzen besteht darin, daß diese eingehalten werden.



            Man kann zwar fordern, diese zu ändern - was dann eine Form von Widerspruch ist. Aber dieser Widerspruch muß sich eben innerhalb dessen bewegen, was die bestehenden Gesetze erlauben.



            Alles andere ist ungesetzlich und gehört verfolgt und bestraft.