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Diplomatie mit autokratischen RegimenVerlogene Menschenrechts­diskurse

Die Klimakonferenz in Ägypten ist vor allem gute Polit-PR. Und sie überdeckt etwa die brutale Inhaftierung des Menschenrechtlers Alaa Abdel Fattah.

Sanaa Seif, die Schwester des Hungerstreikenden Alaa Abdel Fattah, protesiert in Scharm el Scheich Foto: Gehad Hamdy/dpa

D eutsche Bundesregierungen reden gerne mit autokratischen Regimen über Menschenrechte: so ist das lange in Russland geschehen, neulich beim Besuch von Bundeskanzler Scholz in China, jetzt gerade in Katar wegen eines trivialen Spiels oder im Rahmen der Klimakonferenz in Ägypten.

Komischerweise kommen die Menschenrechte erst dann auf den Tisch, wenn die langjährigen Wirtschaftsverträge unterschrieben sind. So als Fußnote: Seht, ich habe Xi Jinping noch schnell gesagt, er soll die Uiguren netter behandeln in den brutalen Umerziehungslagern. Westliche Menschenrechtsdiskurse sind verlogen.

Schmerzvoll wird dies am Fall des ägyptischen Bloggers Alaa Abdel Fattah deutlich. Mit kurzen Unterbrechungen sitzt der bekannte Menschenrechtsaktivist seit fast zehn Jahren im Kerker des Regimes, bis Anfang dieser Woche war er mehrere Monate im Hungerstreik gewesen und hatte seit Beginn der Weltklimakonferenz nichts mehr getrunken, um auf die Lage von Zehntausenden inhaftierten Oppositionellen im Land aufmerksam zu machen.

Das Militärregime verhindert, dass ihn seine Familie oder seine Anwälte besuchen. Hauptsache, die Show mit dem Klima wird nicht gestört. Mittlerweile konnte er einen Brief an seine Familie schicken. Ein Lebenszeichen immerhin.“

Klimakatastrophe als Lösung

Die Familie von Alaa ist verzweifelt. Seine Schwester Mona Seif führt auf Twitter und Facebook mittlerweile Selbstgespräche, schwangt zwischen Zwangsoptimismus und Depressionen. Während sich das Regime im Badeort Scharm al-Scheich als Klimaretter inszeniert, kramte Mona Seif diese Woche alte Tweets ihres Bruders von 2013 hervor. Damals schrieb er: „Ich bin stolz auf dich, meine Schwester!“ Sie antwortete mit „und ich bin noch stolzer auf dich, Alaa!“

Es bricht mir das Herz, wie im Namen von Pragmatismus, Stabilität und Renditen über fundamentale Menschenrechte hinweggesehen wird. Eine Klimakonferenz bei einem Despoten, der Menschen töten, foltern, verschwinden und wegsperren lässt, macht keinen Sinn.

Da wird die Klimakatastrophe eher zur Lösung: Wenigstens würden wir dann alle sterben, irgendwie wäre das gerechter als die Shitshow am Roten Meer. Klimaschutz, Wirtschaftsbeziehungen oder diplomatische Gespräche müssen immer menschenrechtsbasiert sein, sonst ergeben sie keinen Sinn. Welche Welt wollen wir überhaupt retten?

In meiner Timeline mischen sich derweil die Klima-Tweets von Biden und Baerbock. Rishi Sunak schickte ein Bild in die Welt, wie er in Scharm al-Scheich aus einem Flugzeug steigt. Emmanuel Macron postete ein kurzes Video im TikTok-Style mit Musik und schnellen Schnitten. Der Sonnyboy Europas weiß sich zu inszenieren. Dazwischen las ich einen alten Tweet von Alaa Abdel Fatah, den seine Schwester Mona Seif zitiert: „Ich hoffe, dass wir aus dieser Sache irgendwie menschlich rauskommen.“

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Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
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10 Kommentare

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  • Haben sie sich jemals gefragt. warum tyrannische Regime die Menschenrechte einschränken und Menschenrechtsaktivisten, Kritiker und Journalisten in Gefängnisse stecken?

    Die Antwort ist: weil sie vom Regime als existenzielle Bedrohung wahrgenommen werden.

    Wenn man sich dessen erstmal bewusst wird, dann wird einem ziemlich schnell klar das dies die letzten Dinge sind, in denen diese Regime nachgeben werden.



    Das ist eine Art Gesetzmäßigkeit.

    Ermahnungen von noch so hochrangigen ausländischen Spitzenpolitikern, der Presse, Aktivisten bringen deshalb fast nie etwas.

    An der ganzen Verlogenheit ist deshalb auch jene Art von Journalismus mitschuldig, welche nur darauf fokussiert ist ob Politiker X das Thema anspricht oder nicht, und sich selbst und der Öffentlichkeit dabei vorgaukelt, davon würde etwas abhängen. Politiker X geht natürlich dann den Weg des geringeren Widerstandes und spricht der Form halber das Thema an, anstatt sich mit der Presse anzulegen und klar zu sagen: "Leute, dass bringt doch eh' nix!"

    Ich denke es würde viel Verlogenheit aus der Welt genommen wenn die Presse gegenüber der Öffentlichkeit ehrlich wäre und die oben skizzierte Gesetzmäßigkeit schonungslos darlegen würde, anstatt den politiker X noch zu bejubeln wie mutig der ist, dass er das Thema Menschenrechte anspricht. Aber dazu bräuchte es Mut - von den Journalisten.

  • Die Kritik, dass "im Namen von Pragmatismus, Stabilität und Renditen über fundamentale Menschenrechte hinweggesehen wird", hätte M. Amjahid auch ohne Zynismus und Misanthropie vorbringen können.



    Die angesprochenen Probleme sind nicht von existentiellem Charakter, sondern Symptome der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Wir können den Planeten retten und zugleich eine Gesellschaftsform erschaffen, in der es nicht mehr primär um die Verwertung des Werts geht. Das ist möglich, auch beides zusammen. Da muss man nicht gleich zynisch werden.

  • Point taken.



    Alles wirklich nicht gerade toll. Nur nach dem Lesen des Artikels bleibe ich in einer Sackgasse der Trostlosigkeit.



    Am Ende kommt der Artikel wie eine zerreißende Kritik eines Theaterstücks. Beim Theaterkritik erwarte ich nicht vom Author:Inn, dass er oder sie auch skizziert wie das Stück hätte besser sein müssen.



    Bei einer Zeitung, die sich politisch klug und scharfsinnig gibt, wünsche ich dagegen schon, dass eine Haltung zu erkennen ist.



    Auch deswegen, weil es mir helfen würde meine Gegenwart vielleicht besser zu verstehen und begegnen. Dass die Welt schlecht und unfassbar ungerecht ist, das weiss ich schon und muss dafür nicht einmal TAZ lesen.



    Mir interessiert deswegen wirklich sehr, wie kluge Mitmenschen darüber denken, wie die Möglichkeiten aussehen, wo könnte es den langgehen wenn Diplomatie, Verhandlung, Demokratie, Autokratie und Krieg alles gleichzeitig falsch ist oder nicht funktionieren kann? Eine Ahnung davon mitgeben, wie wir menschlich rauskommen.



    Wo wäre "die Lücke, die der Teufel lässt"? (A. Kluge)

    • @Nilsson Samuelsson:

      Auch wenn es alles derzeit trostlos zu sein scheint und jede/r in seinem Stübchen der Verzweiflung nah ist: Bei mir lichtet sich das Dunkel in der Erkenntnis, dass 'wir' gerade wegen des so großen Luxus-Protzangebotes (das sich immer weniger leisten können) im falschen System leben und den Kapitalismus verstehen und überwinden müssen. Es ist doch total verrückt, wie viele Menschen manchmal nach 30 Jahren 'aus Wirtschaftlichkeitsgründen' aus ihrem Job gedrängt werden, nur weil die Arbeit von Automaten oder in China (wo beides stattfindet und selbst dort der entfesselte Kapitalismus nicht jede/n mitnehmen kann, wo Arbeit teilweise wie im Mittelalter aufgezwungen wird) irgendwie noch billiger getan werden kann. JEDE Arbeit ist wertvoll, wenn sie Menschen ausfüllt und irgendwie zum Bruttosozialprodukt der Gesellschaft beiträgt und ausreicht, um uns zu ernähren und nicht frieren lassen zu können. Spekulanten und 'Märkte' , die menschlichen Einsatz abwerten und jeden überflüssigen Luxus (des Klima wegens auch Fliegen und privates Autofahren, solange es CO² verbrennt) müssen wir infrage stellen und uns neu aufstellen ohne große Industrieprojekte, Autobahnen und und und. Wozu hat jede/r von uns ein Oberstübchen und damit die Chance, solidarisch zu überleben.

      • @Dietmar Rauter:

        Ja! Genau!



        Im "Oberstübchen" sollten wir auch noch den solidarischen Pfad ausdenken, wie die sozial ökologische Transformation noch beschleunigt werden kann - wenn die Lösung der Klimakatastrophe nicht sein soll, dass wir alle sterben - wie es im Artikel oben steht.

  • Was für eine show, reines Alibi, jede/r will man da gewesen sein und zu Hause wird wieder aufgerüstet 200 Milliarden fürs Militär (wie groß ist der CO²-Abdruch allein bei der Herstellung eines Panzers) und 200 Milliarden ohne Einsparverlangen (pro Wohnung/Schloß/Villa/Haus sollte nur ein Zimmer beheizt werden, in Reihenhaussiedlungen gemeinsames TV-Erlebnis abwechselnd, beim heute Journal wird besprochen, wer das gemeinsame E-Auto nutzen darf) , alles nur, damit die FDP mitmacht, sonst geht die Verbotslitanei wieder los. Alles nur peinlich: Wer sich wirklich einschränken muss, sind die Industrie-Länder, man sollte die Treffen mitten in Garzweiler machen. Hier mal 17 Millionen wie von Baerbock mal eben rausgehauen, nachdem Scholz 5 Millionen für einen 'Schirm' spendieren wollte, nur damit sie dann -wenn sie zufällig mal nicht in Bali, Sinagapore oder Peking sind, zu Hause den Film 'the big spender' präsentieren können. Wenn sie wenigstens eine Schauspielausbildung gemacht hätten, bevor sie sich so unvorbereitet (?) auf die Bühnen begeben.

  • "Da wird die Klimakatastrophe eher zur Lösung: Wenigstens würden wir dann alle sterben, irgendwie wäre das gerechter als die Shitshow am Roten Meer. "

    Menschenrechte stehen politisch seit eh und je zur Disposition und werden je nach (geopolitischer) Interessenlage ein und ausgeblendet. Analoges gilt zum Völkerrecht.

    Aber dafür den Untergang der Menschheit als gerecht kennzeichnen? Ziemlich viel an Selbstgerechtigkeit.

  • Diplomatie ist kein Panzer.



    Derzeit scheinen ja Viele auf Panzer zu setzen.



    Mir scheint, nach wie vor, Diplomatie der menschlichere Weg, Ziele zu erreichen.



    Der Autor des Artikels bezeichnet die diplomatischen Bemühungen der jüngsten Vergangenheit als



    " verlogen".



    Ich möchte das in aller Deutlichkeit zurückweisen.



    Maximalforderungen vor laufender Kamera stellen, ist vielleicht provokant, aber das Gegenteil von diplomatisch. Niemand wird gern in aller Öffentlichkeit an den Pranger gestellt.



    Die Wahrscheinlichkeit, dass öffentlich Kritisierte in der Folge den Wünschen des Kritikers oder der Kritikerin nachkommen, ist eher unwahrscheinlich.



    Dass wird Jedem spätestens dann klar, wenn er oder Sie sich in die dementsprechende Lage versetzt.



    Wir werden im Rahmen der Globalisierung nicht umhin kommen, auch mit Staaten zusammen zu arbeiten, die keine Demokratien sind.



    Es ist jedoch möglich politische Forderungen an evtl. Verträge zu knüpfen.



    Das hat in der Vergangenheit gut funktioniert und wird es auch in Zukunft.



    Wer sich gern in den Panzer setzt, kann ja mal schauen, wie weit er/sie damit kommt.



    Die Geschichte der USA als Weltpolizei nach dem 2. Weltkrieg ist in den Erfolgen sehr überschaubar geblieben.

  • Ich fände es auch toll, wenn die Themen Menschenrechte und Klimawandel positiv miteinander gekoppelt werden könnten. Nur wie soll das gehen (s.a. Beitrag von DEEP SOUTH) ???

    Ich frage mich auch, wem denn die Kompensation für den angerichteten Schaden in die Hand gegeben werden soll? Den "gewählten" Regierungsvertretern die keine Wahlbeobachter zugelassen haben? Den bekannten Autokraten und korrupten Regimen?

    Auf der anderen Seite: wer legt das Mass für vertrauenswürdig und nicht vertrauenswürdig fest? Wir mit unseren "westlichen" Werten sind doch in der Minderheit. Oder wie es mal ein afrikanischer Politiker ausdrückte: wir brauchen keine drei Parteien, wir brauchen drei Mahlzeiten!

    Ich kann die Verzweiflung von Mohamed Amjahid verstehen und hoffe auch, dass wir "aus der Sache menschlich rauskommen".

  • "Klimaschutz, Wirtschaftsbeziehungen oder diplomatische Gespräche müssen immer menschenrechtsbasiert sein, sonst ergeben sie keinen Sinn"

    Klar. Wir reden erst wieder, wenn bei euch alles paletti ist. Dumm nur, dass mehr als 2/3 der Weltbevölkerung in Staaten mit prekärer Menschenrechtssituation leben. Dumm auch, dass es ohne diese Staaten kein Rettung des Klimas geben wird. Dumm ebenfalls, dass der Klimawandel gerade Menschen in Regionen trifft, die nicht in demokratischen Staaten leben. Absolut Niemandem ist mit dieser These geholfen, auch Alaa Abdel Fattah nicht.

    "Da wird die Klimakatastrophe eher zur Lösung: Wenigstens würden wir dann alle sterben, irgendwie wäre das gerechter als die Shitshow am Roten Meer."

    Das dürften wohl die allermeisten Menschen auf dem Planeten anders sehen. In einigen misanthropischen Communities gibts bestimmt Applaus dafür. Aber wenns um Menschenrechte geht, frag ich lieber woanders nach.