Dilemma des katalanischen FC Barcelona: Eigener Staat, aber spanische Liga
Der FC Barcelona ist ein global ausgerichteter Verein, stützt aber die Unabhängigkeitsbewegung Kataloniens. Das könnte zum Problem werden.
Am Donnerstag genehmigte das Tribunal schließlich schon die Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen gegen Kataloniens Parlamentspräsidentin Carme Forcadell, weil sie verfassungswidrige Unabhängigkeitsvoten der Kammer toleriert habe. Wie zum Beweis ihrer Unbeugsamkeit stützte eine Abgeordnetenmehrheit indes am selben Tag den Regionalpräsidenten Carles Puigdemont in seinem Plan, 2017 ein bindendes Referendum über eine Loslösung von Spanien abzuhalten.
Die „katalanische Frage“ – ein enervierendes Spiel von Aktion, Reaktion und Provokation. Eines, das längst auch Kataloniens berühmteste Institution erreicht hat: den Futbol Club Barcelona.
Vor Beginn des nächsten Champions-League-Heimspiels in anderthalb Wochen gegen Manchester City wird es im Camp Nou ein Pfeifkonzert aus fast 100.000 Kehlen geben. Der Protest wird sich gegen den europäischen Fußball-Verband Uefa richten. Und es geht dabei um die eigene Nationalbewegung und um ihre Fahne: die „Estelada“. Das Tuch mit den gelb-roten Streifen (die Flagge Kataloniens), ergänzt um den Stern (Symbol der Unabhängigkeitsbewegung), gehört seit jeher zum Inventar mancher Fans.
Independència“-Rufe nach 17 Minuten
Mit dem Erstarken des Sezessionismus hat es an Präsenz zugenommen. Bis zu einem Punkt, an dem sich die Uefa nach dem Champions-League-Finale 2015 in Berlin zum Einschreiten genötigt sah. Wegen „Verbreitung sportfremder Botschaften“ verhängte sie eine Geldstrafe von 30.000 Euro. Nicht mal ein Tagessatz von Lionel Messi. Aber, so verstand man es in Barcelona, ein Anschlag auf das Selbstwertgefühl.
So wie Madrid mit jeder Zurechtweisung neue Separatisten züchtet, so hat auch die Uefa mit ihrem Einschreiten eine Partie eröffnet, bei der sie kaum etwas gewinnen kann. Schon letzte Saison gab es als Reaktion nur Pfiffe, noch mehr Estaladas und noch lautere „Independència“-Rufe nach 17 Minuten und 14 Sekunden jedes Heimspiels (im Jahr 1714 wurde Barcelona unterworfen und Katalonien fest in Spanien eingegliedert; nach sezessionistischem Geschichtsverständnis begann damit sein Martyrium).
Der Verband erhöhte die Sanktion daraufhin auf 150.000 Euro, wovon 50.000 zur Bewährung ausgesetzt wurden. Das Ergebnis? Vor dem ersten Spiel dieser Saison gegen Celtic Glasgow verteilten die wichtigsten Unabhängigkeitsplattformen vor dem Camp Nou rund 30.000 Esteladas.
Die Antwort des Verbandes auf diesen Abend steht noch aus. Sie dürfte noch härter ausfallen und könnte etwa in einer (Teil-)Sperre des Camp Nou bestehen. Barças Argumentation, der Klub verhalte sich neutral und toleriere lediglich eine „freie Meinungsäußerung“, die zudem Ausdruck eines „populären Sentiments, nicht einer politischen Botschaft“ sei, wird dadurch nicht erleichtert, dass die Fahnenverteilung wohlwollend geduldet wurde – und die Präsidenten von drei der vier Unabhängigkeitsplattformen auf die Ehrentribüne des Camp Nou eingeladen waren.
Das Referendum beeinflusst Barça
Im erhitzten Klima der letzten Jahre hat sich der Klub in der katalanischen Sache zunehmend positioniert. Beziehungsweise: positionieren müssen. Für ein global operierendes Unternehmen, dessen wirtschaftsaffiner Präsident Josep Maria Bartomeu für das Jahr 2021 das Ziel von einer Milliarde Euro Umsatz ausgibt, empfiehlt sich eher, politisch nicht greifbar zu sein. Die zahlreichen Barça-Fans aus anderen Teilen Spaniens etwa finden die Unabhängigkeitsbestrebungen in der Regel so überflüssig wie einen neuen Torrekord von Real-Heros Cristiano Ronaldo.
Auch manche Dauerkartenbesitzer stört die Politisierung des Camp Nou. Andererseits ist sie so neu ja nicht. Während der Franco-Diktatur war es ein Akt der Rebellion, im Stadion das offiziell verbotene Katalanisch zu sprechen; und Barça ist das „unbewaffnete Heer Kataloniens“, wie der Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán formulierte.
Die Klubfunktionäre scheuen klare Äußerungen, aber manche Handlungen sprechen für sich. Vor der letzten Präsidentschaftswahl verpflichteten sich alle Kandidaten, den „Procés“ zu unterstützen, wie der Weg zur Selbstbestimmung – also mindestens einem bindenden Referendum – in Katalonien genannt wird. Bereits 2013 öffnete man das vereinseigene Stadion Camp Nou für ein „Konzert für die Freiheit“ sowie eine Menschenkette, die am Nationalfeiertag von Nord bis Süd die Unabhängigkeit einforderte.
Und selbst der normalerweise eher diplomatische Bartomeu begründet die Gerichtsverfahren des Vereins, etwa um die Verpflichtung des Brasilianers Neymar, schon mal mit einer politischen Strafkampagne aus Madrid. „Barça beeinflusst nicht den Procés, aber der Procés beeinflusst Barça“: So hat es Bartomeu mal formuliert – und so könnte es sich erweisen, wenn es wirklich zur Unabhängigkeit kommen sollte.
El Clásico in Gefahr
Denn dann will Katalonien mit eigenen Nationalmannschaften antreten, mithin als eigener Verband der Fifa und Uefa beitreten, und ein solcher muss normalerweise auch seine eigene Liga spielen. Girona, Reus und Llagostera als Gegner statt Real Madrid, Atlético oder Valencia: Mit internationalen Stars, hohen Fernseheinnahmen und damit auch europäischer Konkurrenzfähigkeit wäre es dann schnell vorbei.
Die Frage ist im Fußball- und Barça-verrückten Katalonien so bedeutend, dass sie als potenzieller Wahlkampftrumpf der Unabhängigkeitsgegner gilt. Schon bei den letzten Regionalwahlen wurden spanische Sportpolitiker nicht müde, zu betonen, es werde keine Ausnahmegenehmigung geben.
Kornfelder und ein Kaff: In der Einöde Minnesotas wünschen sich viele Jugendliche Trump als Präsidenten. Unsere Autorin hat ein Jahr dort gelebt und ihre Eindrücke aufgeschrieben. Die Geschichte lesen Sie in der taz.am wochenende vom 08./09. Oktober. Außerdem: Christine Nöstlinger spricht über Feminismus, Ehe und wie die Figur der feuerroten Friederike geboren wurde. Und unser Hauspsychologe Christian Schneider hat AfD-Chefin Frauke Petry besucht. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
In Katalonien mag man solchen Drohungen nicht recht glauben: Spanien würde damit ja auch viel verlieren, den Clásico etwa zwischen Barça und Real. Und ansonsten würde man sich eben der französischen Ligue 1 anschließen. Diese Vision kann allerdings getrost als Hirngespinst bezeichnet werden. Der oft bemühte AS Monaco taugt insofern nicht als Vorbild, als die Monegassen weder über eine eigene Liga noch über die Uefa-Mitgliedschaft verfügen.
Derzeit akzeptieren die internationalen Verbände ein Gastrecht nur in historisch gewachsenen Konstellationen wie den walisischen Vereinen im englischen Championat oder denen aus Liechtenstein in der Schweiz.
Der Klub hält sich zurück
Bliebe nur ein Ausweg: das Projekt einer europäischen Superliga. Auch hier hält sich der Klub mit offiziellen Statements zurück, aber natürlich stößt die Idee nirgendwo sonst auf solche Sympathien. Geht es für andere Vereine wie etwa den FC Bayern vor allem um Geldvermehrung oder ein Gegengewicht zur englischen Premier League, könnte eine „NBA des Fußballs“ in Barcelona die Zukunftsfrage lösen. Alle Vorsicht wäre hinfällig, der Verein könnte mit all seiner Strahlkraft offensiv die katalanische Sache vertreten und trotzdem weiter große Titel gewinnen.
Unter den aktuellen Bedingungen bleibt der Fußball jedoch eine Spielwiese der für die nächsten Jahre wohl entscheidenden Frage: Wie viele Opfer würden die Katalanen für eine eventuelle Unabhängigkeit wirklich bringen? Eigener Staat, aber spanische Liga – solchen Illusionen anzuhängen, das Beste beider Welten zu wollen, darf bisher als typisch für den katalanischen Sezessionismus gelten, der sich auch deshalb nie wirklich radikalisiert.
Am Nationalfeiertag, dem 11. September, ziehen die Leute zu Hunderttausenden mit ihren Fahnen auf die Straße, aber nach ein paar Stunden sitzen sie längst in der Bar, und spätestens um Mitternacht sind sie zu Hause. So wie auch im Camp Nou ritualisiert die Unabhängigkeit gefordert wird, um sich wenige Sekunden später und mit noch mehr Verve dann doch wieder über den Schiedsrichter aufzuregen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja