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Digitale GesundheitsakteDie Pa­ti­en­t:in­nen werden gläsern

Die elektronische Patientenakte wurde so lange verschleppt, dass auch Ärz­t:innen den Glauben verloren. Nun kommt sie wirklich, sagt Karl Lauterbach.

Rechnet nicht mit größerem Widerspruch der Patient:innen: Karl Lauterbach will die E-Patientenakte Foto: Stefanie Loos

Berlin taz | Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Verbreitung der elektronischen Patientenakte (ePA) in Deutschland forcieren. Bis Ende 2025 sollen 80 Prozent der Pa­ti­en­t:in­nen die digitale Akte haben. Der Weg dahin: „Jeder ist automatisch Träger einer ePA, es sei denn, er widerspricht ausdrücklich“, so Lauterbach am Donnerstag bei der Vorstellung seiner Pläne.

Die elektronische Patientenakte ist seit Jahren in Planung. Doch die Einführung verläuft schleppend. Zwar müssen die gesetzlichen Krankenkassen sie bereits seit 2021 anbieten. Doch bislang nutzt weniger als ein Prozent der Versicherten diese Option. Lauterbach sieht daher die medizinische Versorgung und den Forschungsstandort Deutschland in Gefahr. Institutionen und Unternehmen würden sich anderen Ländern zuwenden, in denen sie einfacher an die Daten herankommen.

Mit der ePA sollen Ärz­t:in­nen die Daten ihrer Pa­ti­en­t:in­nen an einem zentralen Ort digital ablegen. Das betrifft etwa Befunde, Röntgenbilder oder eingenommene Medikamente. Be­hand­le­r:in­nen und auch die Versicherten selbst könnten dann darauf zugreifen. Zudem sollen auch Forschungsinstitutionen und Industrie diese Daten pseudonymisiert nutzen können.

Lauterbach hofft, dass sich die medizinische Versorgung damit verbessert: einerseits durch eine bessere Forschung. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege, der Krebsforscher Michael Hallek, erinnerte bei der Vorstellung der Pläne, dass Deutschland sich in der Pandemie an Daten und Studien aus dem Ausland habe orientieren müssen. Auch in der Krebsforschung sei man aufgrund des Mangels an Gesundheitsdaten weit zurückgefallen.

Alle Daten sofort verfügbar

Auf immer wieder geäußerte Datenschutzbedenken erwiderte Lauterbach, dass die pseudonymisierten Daten nur auf Antrag und nur für gemeinwohlorientierte Forschungszwecke freigegeben würden – Kriterien würden noch festgelegt, die Pa­ti­en­t:in­nen könnten dem auch widersprechen. Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Ulrich Kelber, wollte sich aktuell nicht äußern.

Andererseits soll mit der ePA die Pa­ti­en­t:in­nen­ver­sor­gung auch im Alltag effektiver werden, indem sämtliche Daten eines Patienten, etwa beim Besuch einer neuen Fachärztin, sofort verfügbar sind. „Wir nehmen bislang täglich Fehlmedikationen und Doppelbehandlungen in Kauf, weil Patientendaten nicht verfügbar sind“, so der Arzt und Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen (Grüne) zur taz. Daher sei die Einführung der ePA absolut im Interesse der Pa­ti­en­t:in­nen.

Auch für die Versicherten soll die Transparenz steigen, da sie selbst auf die Daten zugreifen können. Doch das Prinzip, nach dem sie ohne aktive Zustimmung direkt eine ePA eingerichtet bekommen, stößt auch auf Kritik – etwa bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz. „Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darf nicht torpediert werden“, so Vorstand Eugen Brysch. „Es gilt zu akzeptieren, dass nicht jeder ein Tablet besitzt oder das Internet nutzt.“

Derzeit ist vorgesehen, dass die Versicherten vorrangig per App auf ihre Daten zugreifen sollen. Bei einem Teil der Versicherungen ist auch ein Zugriff via PC möglich, allerdings bietet der nicht den vollen Nutzungsumfang. Versicherte könnten zudem Zugänge für Angehörige ermöglichen, die die Datenverwaltung übernehmen.

Ärz­t:in­nen machen Druck

Laut dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat die ePA „das Potenzial, zum Herzstück eines digital modernisierten Gesundheitswesens zu werden“. Allerdings müssten Ärz­t:in­nen verpflichtet werden, die ePA auch zu befüllen.

Die Vorsitzende des größten Ärz­t:in­nen­ver­bands Marburger Bund, Susanne Johna, betonte, wie dringend nötig die Einführung sei. Sie müsse aber so gestaltet sein, dass sie die Arbeit der Ärz­t:in­nen erleichtere und nicht erschwere. Auch bei der kassenärztlichen Bundesvereinigung warnt man vor einer unausgereiften Umsetzung. Tatsächlich ist vor allem die Frage, wie bereits vorhandene Befunde in die ePA gelangen sollen, noch nicht abschließend geklärt, wie Lauterbach einräumte.

Nach dem Willen des Gesundheitsministers soll es jetzt dennoch schnell gehen mit den Neuerungen, die auch den breiten Einsatz elektronischer Rezepte ab dem 1. Januar 2024 vorsehen. Er plane die beiden nötigen Gesetzesvorhaben „in den nächsten Wochen“ vorzustellen, so Lauterbach. Mit größerem Widerstand aus der Pa­ti­en­t:in­nen­schaft rechnet er nicht: In Österreich hätten bei einem entsprechenden Vorhaben gerade mal 3 Prozent der Menschen der elektronischen Akte widersprochen.

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16 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das grundlegende Problem ist, dass es zwischen den Ärzten keinen Informationsaustausch gibt. Gerade nicht im Notfall.

    Ob die Lösung jetzt diese Form der elektronischen Patientenakte sein muss sei dahingestellt.

    Auf jeden Fall tut es Not, dass Ärzte schnell ein umfassendes Bild von den Patienten und Patientinnen bekommen.

  • Welch ein tendenzieller Artikel! Sorry- aber mit der Meinung von Heim kann ich gar nichts anfangen!

    Ist Deutschland, seine Ärzte und die Menschen im Gesundheitswesen etwa schlechter in ihrer Arbeit als die in den umgebenden Ländern? Dort dürfen die Bürger von verbessertem und billigerem Gesundheitssystem profitieren.

    Und da gehen keinerlei Daten an Polizei, Versicherungen, Arbeitgeber, Schulen usw! Auch ich hätte Angst, wenn solche Institutionen meine Daten in die Finger bekämen. Kriegen die aber nicht!

    Aber dort hat bei einem Arztbesucht der Arzt sofort die Geschichte meiner Behandlungen im Blick.

    Vielleicht hat der Patient in Deutschland sogar manche wesentlichen Dinge vergessen und bekommt eine falsche Behandlung. Das macht vielleicht einmal keinen großen Schaden, das gibt es aber doch hin und wieder. Hier dauert die Anamnese länger und die fehlt dann wieder in der Zeit für individuelle Zuwendung. Und bessere Behandlung wollen wir doch alle.

    Vielleicht ist die zentrale Datenbank noch nicht ganz ausgereift, aber das lässt sich verbessern. Da komme ich wieder auf meine Frage am Anfang zurück: Kriegen wir das Positive nicht so hin wie andere Länder?

  • Joar, ich verzichte auch. Ich will nicht, dass diese Daten irgendwo zentral beim Staat liegen, "gut" geschützt durch hunderte Zeilen Rechtstext und den guten Willen unserer Obrigkeit.

  • Wird denn die Freiwilligkeit der digitalen Akte immer erhalten bleiben? Kann sie später auch gelöscht werden?

    Nach aktueller Sicht wollen diese 99 % diese E-Akte nicht oder finden keinen ausreichenden Nutzen für die Herausgabe der persönlichen Gesundheitsdaten.

    Wenn erst 80 % eine solche Akte haben, weil Ihnen der Widerstand nicht wichtig genug erschien, ist es doch ein leichtes zu sagen, die übrigen 20 % müssen eben auch eine haben.

    NIEMANDEN gehen die gesundheitlichen Daten von mir und meinen Landsleuten etwas an! Und ganz besonders keinem kapitalgetriebenen Gentechnik- und Pharmariesen!

    Alleine den Versuch PFOA (oder andere PFAS) im Boden zu legitimieren stelle ich mir ungefähr so vor: "Aufgrund der Behandlungsdaten der Bevölkerung kann kein höheres Risiko festgestellt werden, in verseuchten Gebieten zu leben".

  • „Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darf nicht torpediert werden“



    Wurde es das nicht längst? Was würde denn schon heute ohne ePA passieren wenn man bei Anmeldung in der Praxis der elektronischen Verarbeitung seiner Daten widerspricht? Wäre eine Untersuchung oder Behandlung dennoch möglich oder würde einem wohl die Tür gewiesen?



    Der Vastaamo-Hack bei dem die elektronischen Protokolle von Psychotherapiesitzung zur Erpressung genutzt und teilweise auch ins Netz gestellt wurden ist inzwischen schon einige Jahre her und vor ein paar Tagen stellten Hacker erbeutete Nacktaufnahmen Brustkrebspatientinnen. Zweifel daran ob 'Digitalisierung' wirklich immer und überall der richtige Weg ist oder ob die sichersten Daten nicht jene sind die nicht existieren kommen dennoch nicht auf. Bei der Erfolgshistorie bisheriger bundesdeutscher IT-Großprojekte muss man wohl damit rechnen, dass hier ein Datenschutz-GAU mit Ansage fabriziert wird.

    • @Ingo Bernable:

      Anders als in Frankreich oder Kroatien, wo die Menschen ihre Krankheitsdaten in ihrer App auf ihrem Smartphone haben, werden in Deutschland die Daten zentral gespeichert. Und diese Datenbank ist bereits zweimal gehackt worden. So wird es keine Datensicherheit geben. Und in Deutschland sind bisher 2,8 Milliarden Euro dafür ausgegeben worden und noch nichts funktioniert so richtig. In Frankreich lagen die Kosten bei 450t Euro und es läuft bereits seit Jahren.

      • @Troll:

        Frankreich nutzt offenbar Linux.

        Dennoch ist die Benutzung von digitalen Akten, auch als App auf einem Smartphone bedenklich. Weil über eine App kann man sich nicht sicher sein, ob deine Daten über eine Backdoor nicht doch weitergeleitet werden.

        Es benötigt schon mindestens einen CCC und andere seriöse Datenschützer, um überhaupt eine sichere App per F-Droid(!), nicht dem Appstore, auf ein Smartphone zu bringen. Und die App muss so sicher sein, dass Google's Android keine Möglichkeit hat, deine geschützten Daten zu lesen.

        • @Troll Eulenspiegel:

          "Und die App muss so sicher sein, dass Google's Android keine Möglichkeit hat, deine geschützten Daten zu lesen."



          Das ist schlicht nicht möglich weil ein Betriebssystem im Kernel Mode/Ring 0 grundsätzlich alles(!) darf, also natürlich auch jeglichen Speicher jeglicher Anwendung auslesen.

  • Das Problem ist, dass es datenschutzkonform nicht geht. Das heißt, es geht natürlich schon, aber leider nur auf dem Papier.

    Und das ist der Trick dabei: Es wird gesetzlich festgelegt, wer wann Zugriff auf die Daten haben darf, blabla, alles super, wer will da noch Nein sagen. In der Praxis ist es aber unmöglich, die Daten vor dem Zugriff von den Bereitstellern von App und Betriebssystem wirksam zu schützen.

    Und gehackt werden kann prinzipiell auch alles, das ist immer nur eine Frage der Zeit. Gelingt es irgendwann, sind all die wohlklingenden Regelungen, wer wann was mit den Daten machen darf, wie stark sie für wen anonymisiert sein müssen, usw., für die Katz. Wobei man auch bedenken muss, dass Gesundheitsdaten extrem sensibel und ein entsprechend lohnenswertes Ziel darstellen.

    Geht schon bei der App-Verpflichtung los. Die App wird sicher nicht auf meinem Smartphone mit GrapheneOS laufen. Dafür braucht's dann schon Google oder Apple. Im besten Fall sind meine Gesundheitsdaten damit tatsächlich irgendwie "sicher", viele andere dann aber nicht mehr.

    Die Demokratie braucht Persönlichkeiten, keine Ameisen. Datenschutz ist wichtig, um die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu schützen. Das scheint dem aufrechten Demokraten Karl Lauterbach nicht bewusst zu sein.

  • Meine Bedenke sind "nur" der Datenschutz.

    Und schon deshalb werde ich es garantiert ablehnen, dass meine Daten gespeichert werden. Ich traue diesem Staat echten Datenschutz nicht zu.

  • Das könnte alles schon laufen - die Verantwortlichen müssten sich nur die Beispiele im europäischen Ausland anschauen, wo es schon praktiziert wird und das dann einfach übernehmen.

    Oder:



    Wir alle hantieren mit Geldkarten, haben Konten, tätigen Überweisungen. Hantieren also täglich mit sensiblen Daten.



    Abgesichert mit Karte, NFC, Pin/Tan, 2FA, FaceID, Fingerabdruck usw.



    Dieses System funktionbiert ja auch, also kann man es doch ähnlich realisieren.

    Und:



    Die Karte (Gesundheitskarte) hat sowieso jeder in der Tasche...

    Wo hängts??

    • @Juhmandra:

      „Ja, wo hängts?“ Falsch verstandener Datenschutz. Die Direktorin des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie: „Irgendwann einmal wird jeder krank, und dann braucht man die optimale Versorgung. Und für die optimale Versorgung braucht man Information.“ (www.laborjournal.d...g/hg_22_10_03.php).



      Beispiel Diabetes: (pharma-fakten.de/n...tenbank-brauchen/).



      An diesem Beispiel erkennt man das Ausmaß des Problems, denn man muss sich vergegenwärtigen, wie viele Daten man benötigt, um die Wirksamkeit eines Medikaments zu beweisen.



      Covid: Die Pandemie hätte zu Beginn weitaus schlimmer ausfallen können, hätten nicht zwei britische Wissenschaftler erkannt, dass sie den NHS für die Durchführung ihrer Studie nutzen konnten. Das Ergebnis war eine einzige Studie, RECOVERY, die mehr als jede andere Studie darüber Aufschluss gab, welche Arzneimittel Covid-Patienten helfen könnten. (D hat hier komplett versagt)



      Eine beeindruckende Leistung, wenn man bedenkt, dass andere, ähnliche Studien nicht zustande gekommen sind.



      Beispiel Studienkosten: Wenn sich diese rasant steigenden Kosten nicht durch intelligentere Studieninfrastruktur senken lassen, dann fokussieren die Arzneimittelhersteller sich auf seltenere Krankheiten (mit eindeutigem genetischen Background), was es ihnen ermöglicht, kleinere Studien durchzuführen und dann viel höhere Preise zu verlangen. Lösungsvorschläge für dieses Dilemma gibt es genug. Allen gemeinsam ist, dass sie mehr Informationen über den Patienten fordern, ansonsten werden wohl weiterhin Milliarden zum Fenster herausgeworfen. "All diese anderen Studien sind für mich einfach nur anstößig, weil sie scheitern werden"( www.mdanderson.org...on-institute.html)



      Politiker, Versicherer und Regulierungsbehörden beginnen endlich, sich darüber Gedanken zu machen.

    • @Juhmandra:

      "Die Karte (Gesundheitskarte) hat sowieso jeder in der Tasche...

      Wo hängts??"

      Wenn das alles so toll, sicher und unproblematisch ist, warum dann nur für die gesetzlich Versicherten? Warum gilt die Datenfreigabe nicht auch für die Privaten?

    • @Juhmandra:

      Wird denn die Freiwilligkeit der digitalen Akte immer erhalten bleiben? Kann sie später auch gelöscht werden?

      Nach aktueller Sicht wollen diese 99 % diese E-Akte nicht oder finden keinen ausreichenden Nutzen für die Herausgabe der persönlichen Gesundheitsdaten.

      Wenn erst 80 % eine solche Akte haben, weil Ihnen der Widerstand nicht wichtig genug erschien, ist es doch ein leichtes zu sagen, die übrigen 20 % müssen eben auch eine haben.

      NIEMANDEN gehen die gesundheitlichen Daten von mir und meinen Landsleuten etwas an! Und ganz besonders keinem kapitalgetriebenen Gentechnik- und Pharmariesen!

      Alleine den Versuch PFOA (oder andere PFAS) im Boden zu legitimieren stelle ich mir ungefähr so vor: "Aufgrund der Behandlungsdaten der Bevölkerung kann kein höheres Risiko festgestellt werden, in verseuchten Gebieten zu leben".

      • @-Zottel-:

        Entschuldige, dies sollte ein eigenständiger Kommentar sein.

        ("Wird denn die Freiwilligkeit"...)

    • @Juhmandra:

      Am Zugriff durch (beliebige) Firmen und Forschungseinrichtungen...

      Nein danke.