Die Wochenvorschau für Berlin: Expedition in die preußische Hölle
Ist der nagelneue Gendarmenmarkt eine No-Go-Area, wie KlimaaktivistInnen behaupten? Oder einfach nur ein mittelmäßiger Großstadtplatz?
B erlin steht eine sonnige Woche bevor – was läge da näher als eine Runde über den Gendarmenmarkt? Vor wenigen Tagen wurde die Fläche zwischen Deutschem und Französischem Dom nach zwei Jahren Baustelle wiedereröffnet. Unter dem frischen Pflaster liegt zwar kein Strand, dafür aber das Gewirr aus Versorgungsleitungen für Open-Air-Veranstaltungen. Außerdem hat die Grün Berlin GmbH unterirdische Regenauffangbecken angelegt, damit Niederschlagswasser nicht mehr verloren geht.
Und was ist der Dank? Hohn und Spott. In den sozialen Medien überschlagen sich vor allem Menschen mit Klimaschutzhintergrund, die nur menschenfeindliche Steinwüste erkennen wollen, auf die sich in kommenden Sommern nur noch Wüstenexpeditionen wagen werden. Berlin habe sich für gut 20 Millionen eine „No-go-Area“ geschaffen, während andere Städte ihre Freiflächen eifrig aufforsteten.
Unpopular opinion: Man kann es auch übertreiben. Zuerst mal zeigt ein Blick ins viel heißere Ausland, dass große Plätze auch ohne Bewuchs populär sein können. Die Praça do Comércio in Lissabon, 30.000 Quadratmeter Leere, zieht irgendwie immer noch Menschen an. Die Plaza Mayor in Madrid, komplett kahl. Und hat irgendwer jemals ein Bäumchen auf der Piazza Navona in Rom entdeckt?
Jetzt mag man einwenden, dass manche dieser Höllenorte von Arkaden umgeben sind, unter die man an heißen Sommertagen fliehen kann. Mag sein – aber auch der Gendarmenmarkt durfte die meisten seiner Kugelahorne hinter dem Französischen Dom behalten, und auf der Südseite wurden ein paar zusätzliche Japanische Schnurbäume gepflanzt, zusätzlich zu den vorhandenen, stattlichen Exemplaren. Nur die Mitte des Platzes vor dem Schauspielhaus ist kahl, und dort sollen ja auch wieder Events stattfinden, bei denen Bäume im Weg wären.
Bäume braucht es eher anderswo
Außerdem wird es bis auf Weiteres so bleiben, dass die höllenheißen Tage nur einen Bruchteil des Jahres ausmachen. Und niemand ist gezwungen, sich ausgerechnet in den wärmsten Stunden auf den Gendarmenmarkt zu begeben. Parks mit dichtem Baumbestand gibt es in Berlin so manche, und zusätzlicher Schatten ist wichtiger auf den Wegen, die viele Menschen notgedrungen zurücklegen müssen.
Das Problem ist ja ein anderes: Mag Kai Wegner noch so oft vom „schönsten Platz Europas“ schwadronieren, es bleibt eine Lüge. Mit oder ohne Bäume ist der Gendarmenmarkt ein preußisches Karree mit mediokrem Flair. Aber schauen Sie’s sich doch selber mal an in dieser sonnigen Woche.
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