Die Wahrheit: Doppelwumms im Ehebett
Unklare Familienverhältnisse und die Nachwehen einer liberalen Hochzeit belasten Finanzminister Christian Lindner.
Als hätte der Bundesfinanzminister nicht schon Ärger genug in der Koalition mit seinen Partnern Grüne (Wärmepumpe) und Sozialdemokraten (Kindersicherung), droht Christian Lindner nun auch privat Ungemach. Im Sommer des vergangenen Jahres hatte der Chefliberale spektakulär auf Sylt geheiratet, knapp ein Jahr später holen ihn diese Hochzeit und ihre Folgen nun ein. Denn die Öffentlichkeit stellt sich die Frage: Ist Christian Lindner ein Bigamist?
Das legen zumindest aktuelle Recherchen der New York Times nahe. Die US-Zeitung enthüllte jetzt, dass der FDP-Politiker offenbar zwei Ehen gleichzeitig führt – eine mit der Journalistin Dagmar Rosenfeld, die er 2011 heiratete, und eine weitere mit der „Welt TV“-Moderatorin Franca Lehfeldt, der er im vergangenen Juli das Ja-Wort gab. Laut New York Times ist die Ehe mit Rosenfeld allerdings gar nicht rechtmäßig geschieden worden: Bei dem offiziellen Scheidungstermin im August 2020 sei Lindner nicht anwesend gewesen, da er an einem dringenden Grußwort für die baden-württembergische BBBank gearbeitet habe.
Erneuter Scheidungstermin
Dies habe für das Gericht aber keinen „begründeten Ausnahmefall“ für die Akzeptanz der Abwesenheit eines Scheidungswilligen dargestellt. Eine spontane Zuschaltung Lindners per Videokonferenz sei an den technischen Voraussetzungen gescheitert. Folglich sei ein erneuter Scheidungstermin bestimmt worden, den beide – Lindner und Rosenfeld – jedoch nicht wahrgenommen hätten. Die New York Times zitiert den damals zuständigen Richter Alexander Unhold, selbst bekennendes Mitglied der Freien Demokraten: „Wir dachten, die Dagmar und der Christian haben sich halt wieder zusammengerauft.“
Als die Verbindung Lindners zu Franca Lehfeldt im Juli 2018 öffentlich bekannt wurde, habe Unhold das „nicht groß überrascht, wir leben ja nicht im Mittelalter“. Die Rechtslage sei nun jedoch eindeutig, sagt der Jurist: „Das Eingehen einer zweiten Ehe ist in Deutschland unzulässig, es droht eine Geldstrafe oder gar eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Die zweite Ehe ist aber rechtlich wirksam, solange sie nicht gerichtlich wieder aufgehoben wird.“
Er, Unhold, habe sich zwar „dann doch gewundert“, als er im vergangenen Sommer von Lindners und Lehfeldts prunkvoller Hochzeitsfeier auf Sylt erfahren habe. „Eingeladen war ich ja leider nicht.“ Er habe die Rechtmäßigkeit aber nicht angezweifelt, denn „der Christian kann doch normalerweise eins und eins zusammenzählen. Das ergibt nur jetzt offenbar drei“.
Liebe und Freiheitsgewinn
Lindner selbst weist den Vorwurf der Bigamie zurück. Die Trennung von Dagmar Rosenfeld sei „frei von jedem Zweifel“ gewesen, schreibt der Bundesfinanzminister auf Twitter: „Wie 2017 bei den Jamaika-Koalitionsverhandlungen, da bin ich auch einfach gegangen, und allen war klar: Das war es jetzt. Das war mein unanfechtbarer, unmissverständlicher Scheidungsbeschluss. Und vier Jahre später bin ich eine neue Koalition eingegangen. Hat sich darüber jemand aufgeregt? Nein!“
Überdies sei Deutschland ein Land der Freizügigkeit mit „neuen kulturellen und kosmopolitischen Einflüssen“, die „alten Prägekräfte von Recht und Religion verlieren an Bedeutung“, so Lindner, auch Mehrehen gehörten in einer globalisierten Welt zur Normalität. Dies sei progressiv und ein „Freiheitsgewinn“. Für ihn stehe „die Liebe stets an erster Stelle.“
Außerdem lasse er jeden Tag Fakten sprechen. In seinem emotionalen Tweet schreibt Lindner: „Ich denke gerne daran, Franca, dass wir in den vergangenen 15 Monaten ungefähr 300-mal, ich hab mal so grob überschlagen, ungefähr 300-mal den Tag zusammen begonnen haben.“ Für ihn gelte nach wie vor die Maxime: „Lieber nicht verheiratet sein als falsch verheiratet sein.“ Er als Politiker müsse aber wohl akzeptieren, „dass einem selbst für die eigene Hochzeit von Journalisten Zensuren erteilt werden“.
Lindners Zweit-Ehefrau Franca Lehfeldt betonte, sie stehe zu ihrem Mann. Unter dem Hashtag #chris4ever schreibt sie: „Fehler passieren, jeden Tag, das ist MENSCHLICH. Wenn wir keine Fehler machen, können wir auch nicht besser werden.“ Ihre Verbindung sei „absolut OUTSTANDING“.
In der Talkshow „3 nach 9“ hatte Lehfeldt vor Kurzem erzählt, ihr eigener Vater habe sie vor einer Beziehung mit Lindner gewarnt, und auch „Chrissi“ selbst habe ihr stets prophezeit, dass eine Ehe mit ihm ein Wagnis sei: „Du wirst gehasst werden, so fühlt es sich zunächst an. Aber bald wirst du verstehen, das ist kein Hass, das ist Furcht. Respekt. Neid. That comes with it.“
Legale Zweitfrau aus Dänemark
Dagmar Rosenfeld, bei Twitter als „@rosidaggi“ unterwegs, gab keine Stellungnahme ab, sie schickte nur einen einzigen Satz: „Bei der Wahl der Oberbekleidung vorher die Ehefrau fragen.“ Welche Ehefrau, das ließ sie allerdings offen. Die evangelische Theologin Margot Käßmann erklärte wiederum, sie habe bereits unmittelbar nach Lindners und Lehfeldts Hochzeit gespürt, dass auf dieser Ehe kein Segen liege: „Es ging nur um die Kulisse!“
Möglich, dass nun die Geschichtsforschung dem FDP-Politiker weiterhilft und er als sogenannter Doppeltmann anerkannt wird: Einzelne Wissenschaftler streiten nämlich bis heute über die Frage, ob die einst zum Herzogtum Schleswig gehörende Insel Sylt nach wie vor ein Teil Dänemarks sein könnte. „Ob Sylt als Folge der Kriegsniederlage gegen Preußen und Österreich wirklich für Dänemark verlorenging, können wir nicht mit Sicherheit sagen, wir waren ja nicht dabei“, erklärt Historiker Guido Knapp.
Sollte sich Sylt – auf Dänisch Sild – als dänisch erweisen, wäre die Ehe Lindners und Lehfeldts möglicherweise legal, denn der Ehegatte könnte sich in diesem Fall auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim berufen. Dieser hatte 2017 entschieden: Auch ein Mann mit einem deutschen Pass kann straffrei eine Zweitfrau haben – sofern er diese Ehe im Ausland eingegangen ist.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott