Die Wahrheit: Schnell wie der heiße Wind

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (120): Soeben sind die Mauersegler aus dem Süden zurückgekehrt, wie immer zum 1. Mai.

Ein Vogel, der Mauersegler, an einer Mauer

Mauerseglerpopulationen nehmen sogar zu. Ihre Brutplätze aber sind durch Sanierungen gefährdet Foto: A. Limburger/ap/NABU

Am 1. Mai kommen die Mauersegler aus dem Süden zurück. Die Zürcher fragten sich: Warum gibt es immer weniger Schwalben in der Stadt und immer mehr Mauersegler? Die Schweizer Stadttierforscher antworteten ihnen: „Weil sie moderner sind.“

Etwas mehr kann man aber doch schon sagen: Die Mauersegler sind die letzten Zugvögel, die im Frühling ankommen, und die ersten, die Mitteleuropa in Richtung Zentralafrika wieder verlassen. Sie bleiben nur drei Monate, dann fliegen sie mit ihren Jungtieren wieder in Richtung Süden. Deswegen müssen sie sich mit dem Brüten hier beeilen – und „übernehmen“ dazu auch schon mal die Nester von Schwalben und Spatzen. Sie sind größer und entschiedener als diese.

Man kann ihnen aber auch Fertignester anbieten, die von den Naturschutzverbänden angeboten werden. „Ein Leben im Flug“, nennt der Nabu seine Internetseite „Mauersegler“, denn diese schnellen Vögel mit ihren sichelförmigen Flügeln lassen sich nur zum Brüten und zur Aufzucht herab. Sie ernähren sich ausschließlich von im Flug gefangenen Insekten und trinken sogar fliegend.

In der Luft schlafend orientieren sie sich mit einer Gehirnhälfte und einem offenen Auge und wechseln dabei gelegentlich die Gesichtshälften. In großer Höhe (bis zu 3.000 Meter) und in langen Gleitflügen schlafen sie immer noch mit einer Geschwindigkeit von rund 30 Stundenkilometern. Der Bayerische Rundfunk erklärte: „Zehn Monate bleiben sie ununterbrochen in der Luft.“ Zum Fluginsektenfang müssen sie deren Schwärme folgen, die je nach Wetterlage hoch in der Luft oder nahe am Boden zu finden sind.

Unter und neben der Zugbrücke über der Spree an der Berliner Friedrichstraße halten sich besonders viele Mücken über dem Wasser auf. Hier jagen Mauersegler und Schwalben gern. Für Letztere hatten einige Vogelfreunde sogar Nester in den Windfängen angebracht. Wegen des Drecks, den die Vögel hinterließen, wurden die Schwalbennester aber wieder abgebaut.

Zählen zu den schnellsten Vögeln

Mauersegler halten dagegen den Boden unter ihren Nestern sauber, um keine Feinde anzulocken, wie der bayerische Lan­desbund für Vogelschutz schreibt.

Schwalben werden eher als Mauersegler als gefährdete Art angesehen. Die vielfach auf Bauernhöfen nistenden Mehlschwalben zum Beispiel finden dort keine Ställe mehr zum Brüten vor. Die Populationen der Mauersegler nehmen dagegen sogar zu. Aber da mit der Fassadenisolierung der Häuser ihre Brutmöglichkeiten weniger werden, nimmt auch der Druck auf die Nistplätze für sie zu.

Für beide gilt jedoch, dass das Insektensterben es ihnen auf Dauer verunmöglicht, hier ihren Sommer zu verbringen. Als Langstreckenflieger kann es sein, dass die Mauersegler sich auf dem Hin- und Rückflug in Windströmungen bewegen, die tonnenweise Insekten vor sich her treiben, man spricht bei diesen Kleintieren in großer Höhe von Luftplankton. Wahrscheinlich folgen auch andere Vögel diesen nahrhaften Winden – und nicht ihrem inneren Kompass.

Die mit zu den schnellsten Vögeln zählenden Mauersegler sind anders als etwa ihre Feinde, die Wanderfalken, auf dem Erdboden hilflos. Sie brauchen Aufwinde, ihre flüggen Jungen müssen solche erst einmal finden – und sich dazu möglichst aus großer Höhe stürzen. Auf dem Boden landend kämen sie nicht mehr hoch.

Auf wildvogelhilfe.org heißt es: „Die Beine der Mauersegler sind so stark zurückgebildet, weil sich die erwachsenen Tiere fast ausschließlich in der Luft aufhalten.“ Das erinnert mich an einen Werbefilm von BASF aus den sechziger Jahren, in dem es hieß, dass in Zukunft alles mobil sein werde, auch die Bürgersteige. Und weil wir dann nicht mehr selbst zu gehen bräuchten, würden sich unsere Beine zurückentwickeln. Im Ludwigshafener Konzern ging man damals noch von einer nie endenden „Petromoderne“ aus.

Den im Herbst nach Südafrika fliegenden Schwalben helfen die Petrohinterlassenschaften beim Überleben: Wenn sie beim Überfliegen der Sahara in einen Sandsturm geraten, finden sie Schutz in den vielen leeren Öltonnen an den Straßenrändern. Dies fand die Tierforscherin Barbara Geiger heraus, als sie Schwalben folgte, die nicht besendert waren: Sie fuhr ihnen hinterher. Im Gegensatz zu den Mauerseglern ziehen die Schwalben nicht Nonstop nach Süden.

In Arezzo fand ich einmal nachts im großen Schacht eines Restaurants einen Mauersegler, der nicht wieder hinausfliegen konnte. Verzweifelt suchte ich nach einer Möglichkeit, auf das Dach eines Hauses zu kommen. Als mir das nicht gelang, warf ich den Mauersegler mehrmals in die Luft, aber er schaffte es nicht, sich darin zu erheben. Das war bisher mein einziger Kontakt mit einem Mauersegler.

Wind unter den Flügeln

Die Deutsche Gesellschaft für Mauersegler schreibt auf ihrer Internetseite: „Mauersegler sind äußerst komplizierte Patienten! Schon kleinste Fehler in der Behandlung können fatale Folgen haben.“ Erstens sofort einige Tropfen Wasser geben, und zweitens schnell artgerechtes Futter (Insekten und Spinnen) verabreichen. Die im Handel erhältlichen Heimchen tun es auch. Im Fall des italienischen Mauerseglers ging es jedoch um die Verabreichung von Wind unter den Flügeln. Dass mir das in der nächtlichen Stadt nicht gelang, bedeutete wahrscheinlich seinen Tod.

In Berlin und in einigen anderen deutschen Städten gibt es Gruppen von Mauerseglerhelfern mit Notrufnummern. Auf wildvogel.org ist zu erfahren: „Können sie anfangs nicht genügend Insekten erbeuten und ist die Witterung in einem großräumigen Gebiet sehr schlecht, kann es geschehen, dass vermehrt erwachsene Mauersegler auf dem Boden notlanden und dringend Hilfe durch den Menschen benötigen.“

Im Frühsommer könne es dann passieren, „dass plötzlich sehr viele junge Mauersegler, die eigentlich noch nicht alt genug für das Verlassen des Nestes sind, auf dem Boden aufgefunden werden.“ Die Beobachtung von jungen Mauerseglern ergab: „In den Nestern, die sich häufig in Dächern oder unter Dachvorsprüngen befinden, wird es bei Extremwetterlagen so heiß, dass die noch flugunfähigen Jungen den Kopf aus dem Nest halten, um sich ein wenig abzukühlen. Dabei stürzen sie nicht selten ab. Manche Jungvögel springen sogar ganz bewusst aus dem Nest, um dort nicht den Hitzetod sterben zu müssen.“

Wenn sie alle Unbill (Regen, Hitze, Insektenmangel, Fressfeinde, Flugunfälle) überstehen, können Mauersegler über zwanzig Jahre alt werden. In den gelochten Hohlkammern unterhalb der Fahrbahn der Talbrücke „Ronnewinkel“ über dem Biggesee nistet eine Kolonie von Mauerseglern, die von Biologen der Universität Siegen erforscht werden. Die Hohlkammern sind begehbar und ihre Nestkontrollen stören die 53 Mauerseglerpaare dort angeblich nicht. Sie befestigen kleine „Geolokatoren“ und Transponder an den Altvögeln. Ihr Fazit im Jahr 2017: „Der Mauersegler lebt sozusagen ‚am Limit‘.“

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