Die Wahrheit: Deutsche unter sich

Es ist Ferienzeit. Die Insassen Deutschlands befinden sich außerhalb dieser Anstalt. Und das ist sehr gut so. Sonst drohte eine globale Katastrophe.

Überall wird ja jetzt gefordert, man solle in Deutschland Urlaub machen. Wegen des Klimas. Ich weiß ja nicht. Wenn die Deutschen dann wirklich statt an der Costa del Sol, in Griechenland oder der Karibik im Harz, in St. Peter Ording oder in Castrop-Rauxel urlauben, sind sie ja selbst in den Ferien dauernd nur Deutschen ausgesetzt. Dann droht das Phänomen der sich selbst verstärkenden Wellen, und die Deutschen werden einfach immer übellauniger und unfreundlicher und mäkeliger, und das ist zweifellos klimatisch erst recht bedenklich. Auch global betrachtet.

Dabei kann man doch so viel lernen im Ausland! In Spanien zum Beispiel isst man gern spät zu Abend. Die Restaurants machen oft erst um neun Uhr abends auf, und auch in der tiefsten Provinz ist es überhaupt kein Problem, um halb zwölf einzukehren. Auf die in Deutschland geradezu aberwitzige Frage, ob es denn noch etwas zu essen gebe, wird man in Spanien nur mit großen Augen angeschaut. „Selbstverständlich, denn dies ist ein Restaurant. Es wird Sie überraschen, aber da gibt es etwas zu essen!“

Eine sehr angenehme Einstellung. „Aber spätes Abendessen ist doch ungesund!“, mümmeln jetzt die zu Hause urlaubenden Deutschen, die um sieben Uhr in ihre staubtrockenen Vollkornbrote beißen oder im Restaurant glauben, sogenanntes Würzfleisch oder ein Jägerschnitzel mit Dosenchampignons oder irgendwas mit Tofubratlingen habe mit Küche zu tun, während man sich in Spanien gut gelaunt durch raffinierte Tapas futtert, wenn die Uhr Mitternacht schlägt.

„Aber das ist ungesund, ungesund, ungesund!“, quaken die Deutschen, zumal der Spanier mit Öl und Fett nicht geizt, mitten in der Nacht vertilgt er direkt vom Schweinebein gesäbelten Schinken mit Fetträndern so breit wie das ehemalige Zonenrandgebiet, er schnabuliert in heißem Öl schwimmende Garnelen oder Fleisch mit extra dicken Fettsträngen, das er zärtlich „secreto iberico“, also iberisches Geheimnis, nennt, und der Deutsche schimpft: „Fett ist ungesund, das ist das einzige Geheimnis! Spätes Essen ist auch ungesund! Fettes spätes Essen ist erst recht ungesund! Sie werden alle sterben!“

Und die Spanier lachen ausgelassen und werfen nachts um eins, wenn die Deutschen sich im Harz, in St. Peter Ording und in Castrop-Rauxel übellaunig in ihren freudlosen Träumen wälzen, in geselliger Runde und beim dritten Glas Rotwein einen Blick auf ihre Smartphones und ergoogeln, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland 80,64 Jahre beträgt, in Spanien dagegen 82,83 Jahre.

Das ist ein bisschen bedauerlich, denn so hat der Durchschnittsdeutsche zwei Jahre weniger Gelegenheit, missmutig am Abendbrottisch zu sitzen, zu früh ins Bett zu gehen und dabei etwas von einer biologischen Uhr zu faseln, die das gebiete, denn alles andere sei unnatürlich. Der Spanier aber lebt lieber unnatürlich und fettreich, dafür aber zwei Jahre länger. Jeder eben so, wie er’s mag.

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

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kari

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