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Die Türkei und der Krieg in SyrienAssad ist nur noch halb so schlimm

Ankara lotet neue Möglichkeiten der türkischen Syrienpolitik aus. Der Konflikt mit den USA eskaliert, doch andere Verbündete warten bereits.

Im Gespräch mit der Weltpresse: Binali Yıldırım am Samstag in Istanbul Foto: ap

Istanbul taz | „Wir stellen fest, dass jetzt auch das Assad-Regime bemerkt hat, wie gefährlich die Kurden in Syrien sind“. Diese Bemerkung des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım vor einer ausgewählten Gruppe internationaler Journalisten am Samstag in Istanbul könnte den Beginn einer neuen Syrienpolitik der Türkei markieren.

„Unser Ziel ist es“, sagte Yıldırım weiter, „dazu beizutragen, dass Syrien nicht in ethnisch oder religiös definierte Gebiete zerfällt. Dafür sind wir auch bereit, Baschar al-Assad für eine Übergangszeit zu akzeptieren“. Man müsse auch mit Assad reden, sagte Yıldırım bei seiner ersten größeren Begegnung mit der ausländischen Presse, seit er Ende Mai zum Regierungschef ernannt wurde.

Bislang hatte die Türkei es strikt abgelehnt, mit Assad zu reden, und für jede Verhandlungslösung zuerst die Abdankung des syrischen Diktators verlangt. Schließlich gehört Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu den wichtigsten Unterstützern der Assad-Gegner und ist auch nicht davor zurückgeschreckt, islamistisch-dschihadistische Gruppen zu finanzieren und zu bewaffnen. Doch diese Position ist hinter den Kulissen schon länger ins Wanken geraten und durch verschiedene Ereignisse der letzten Wochen weiter in Frage gestellt worden.

Dazu gehören an erster Stelle die neuesten Kämpfe zwischen den syrischen Kurden und dem Assad-Regime um die Stadt Hasaka, die am südlichen Rand des größten kurdischen Kantons Kamischli liegt.

Anschlag in Gaziantep

Ein Kind zwischen 12 und 14 Jahren soll den blutigen Anschlag von Gaziantep verübt haben (mehr zum Thema lesen Sie hier). Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sagte, es könne sich um einen „Selbstmordattentäter“ gehandelt haben, der sich in die Luft gesprengt habe oder „gesprengt wurde“.

Das Attentat löste Entsetzen und Anteilnahme aus. Die Bundesregierung sicherte zu, im Kampf gegen den Terrorismus weiter eng an der Seite der Türkei zu stehen. In einem Kondolenztelegramm an Ministerpräsident Binali Yıldırım drückte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Mitgefühl und Beileid aus.

Auch die EU-Kommission und die Nato sicherten der Regierung in Ankara am Sonntag Solidarität zu. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte in Brüssel: „Wir stehen in dieser schwierigen Zeit in Solidarität vereint mit unseren türkischen Verbündeten.“ Der französische Präsident François Hollande verurteilte den „schändlichen Anschlag“. (dpa)

Jahrelang hatten Kurden und Assad-Truppen in Hasaka mehr oder weniger friedlich koexistiert, doch Mitte letzter Woche brachen heftige Kämpfe zwischen beiden Parteien aus. Als diese eskalierten, setzte Assad auch seine Luftwaffe ein und ließ kurdische Gebiete in Hasaka bombardieren.

Das rief wiederum die USA auf den Plan. Als enge Verbündete der kurdischen YPG-Miliz, für die USA so etwas wie ihre Bodentruppen im Kampf gegen den IS, warnten sie das Assad-Regime, weiter gegen die Kurden vorzugehen. Außerdem seien US-Spezialtruppen in der Gegend stationiert. Als die Assad-Bomber dennoch erneut über Hasaka auftauchten, griffen US-Kampfflugzeuge ein und drängten die syrischen Bomber ab.

Eskalation des Konflikts mit den USA

Die Türkei wirft den USA seit längerem vor, ihre Zusammenarbeit mit der syrisch-kurdischen YPG sei gleichbedeutend mit einer Unterstützung der türkisch-kurdischen PKK, weil die YPG ein hundertprozentiger Ableger der PKK sei.

Dieser Konflikt eskalierte, als die USA auch Operationen der YPG westlich des Euphrats unterstützten – für die Türkei eine rote Linie, die die Kurden nicht überschreiten dürfen, weil sie dann leicht die gesamte türkisch-syrische Grenze kontrollieren könnten.

Ein Zusammenhängendes syrisch-kurdisches Autonomiegebiet will die Türkei aber unbedingt verhindern, weil sie befürchtet, dass dies Ausstrahlungen auf die kurdischen Gebiete in der Türkei haben könnte.

Wir werden uns aktiver um eine Lösung in Syrien kümmern

Ministerpräsident Yıldırım

Da die USA offenbar nicht gewillt sind, auf diese türkischen Bedenken Rücksicht zu nehmen und gleichzeitig Assad-Truppen jetzt die Kurden angreifen, erscheint das syrische Regime für die Türkei nun offenbar nicht mehr so schlimm wie früher.

Hinter dem Meinungsumschwung stehen aber auch Verhandlungen mit Russland und Iran. Seit Präsident Erdoğan vor zwei Wochen seinen Kollegen Wladimir Putin besuchte und Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Freitag überraschend in Teheran auftauchte, wird an der neuen Syrienpolitik der Türkei gearbeitet.

„Wir werden uns aktiver um eine Lösung in Syrien kümmern“, versprach Yıldırım am Samstag. Was genau er damit meint, wird er wohl als erstes dem US-Vizepräsidenten Jo Biden erklären, der am Mittwoch in Ankara erwartet wird.

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8 Kommentare

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  • „Die kurdischen Autonomiegebiete in Nordsyrien…sie sind als Föderation basisdemokratisch organisiert…“

     

    In der Praxis ist eine solche Organisation, unabhängig evtl. anders lautender Erklärungen, den Amerikanern ein Graus. Die US-Regierungen stehen mehr auf die konservativen Kurden im Irak. Oder gleich auf Diktaturen. Basisdemokratie ist so was von unamerikanisch. Das würde keine große Liebe…

     

    Nur um Irrtümern vorzubeugen. Ich bin schon immer für einen Kurdischen Staat. Und wenn in diesem eine echte Demokratie entsteht, begeistert mich das. Ich bin nur skeptisch, dass die Umsetzung gelingt. Und ich bin mir sicher, dass die USA dazu nicht der geeignete Partner sind.

  • Die Botschaft ist doch: Syrien unter Assad mit Unterdrückung der Kurden ist besser als ein zerfallenes Syrien und einen YPG-Kurdenstaat. Das ist die Entscheidung Erdogans und ein klares Zeichen dafür, dass die türkische Regierung ihre Syrien-Politik aufgeben will bzw. schon aufgegeben hat. Für die Menschen in Syrien bedeutet ist: noch mehr Tote, drastische Erhöhung der Zerstörung. Das würde auch bedeuten, dass die Türkei eine Spur der Verwüstung hinter sich lässt. Der 'Islamische' Staat wird auf diesen Schwenk definitiv reagieren, man kann die Uhr danach stellen, bis sie weitere Attentate begehen will.

  • Schwer zu deuten, dieser neue Konflikt zwischen YPG und syrischer Regierung. Beide haben eigentlich im Moment besseres zu tun im Kampf gegen IS, al-Nusra und den Rest der Jihadisten. Die YPG war seit der russischen Intervention über Vertreter in einem gemeinsamen Kommondozentrum in die Aktionen mit Russland, Syrien und dem Iran eingebunden. Und in der Provinz Aleppo war sie im abgestimmten Kampf mit der syrischen Armee gegen die Jihadisten einigermaßen erfolgreich.

     

    Was ist passiert ? Nach dem türkischen Putsch scheinen Russland und die Türkei eine Abmachung zum Syrien-Konflikt getroffen zu haben. Wenn die Türkei die Grenzen für Waffen und Söldner schließt, ist der Widerstand der Jihadisten in Aleppo in wenigen Wochen am Ende. Wie im Artikel ausgeführt, wäre die Türkei wohl bereit, die Weiterführung der Assad-Regierung zu tolerieren, wenn sie sicher sein könnte, daß sich die syrisch-kurdischen Kantone an ihrer Südgrenze nicht vereinigen und einen eigenständigen Staat ausrufen. Auch Assad ist sicher nicht von der Idee begeistert, daß sich der Norden Syriens selbstständig macht. Es könnte deshalb durchaus eine Anti-Kurden-Koalition zwischen Ankara, Teheran und Damaskus gebildet werden.

     

    Die USA könnten aus dieser Situation Honig saugen: Ein westlich orientierter kurdischer Staat (aus militärischer SIcht ein zweites Israel) könnte den schwierigen und wohlmöglich abtrünnigen Verbündeten Türkei ersetzen und den Einfluß der USA im vorderen Orient sichern. Ein Eingreifen zugunsten der Kurden wäre der Weltöffentlichkeit auch leichter zu verkaufen, als die Unterstützung der jihadistischen Kopfabschneider in Aleppo. Nimmt man jetzt noch aktuelle Interviews mit YPG-Kommandanten hinzu, in denen sie deutlich machen, daß es keine Aktionen ohne die Zustimmung der USA gibt, dann könnte man vermuten, daß die YPG Rückendeckung für die Angriffe auf syrische Polizeistationen hatte und daß den USA eine weitere Eskalation nicht ungelegen käme.

    • @jhwh:

      „Schwer zu deuten, dieser neue Konflikt zwischen YPG und syrischer Regierung.“

       

      Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder militärische Zusammenstöße zwischen den Kurden und der syrischen Regierung. Meist um die gegenseitigen Machtbereiche abzugrenzen. Deshalb glaube ich eher nicht, dass sie Geschichte besonders ernst ist.

       

      Interessant finde ich eigentlich nur, dass die USA jetzt den Luftschutz für die Kurden übernehmen. Obama und Kerry scheinen endgültig den Überblick verloren zu haben. Ich kann mir das nur so erklären, dass sie denken, mit diesem „Freundschaftsdienst“ können sie die Kurden vor den amerikanischen Karren spannen. So dumm sind die Kurden aber nicht. Sie nehmen jetzt die Hilfe gegen den IS, weil dieser besiegt werden muss, um die Sicherheit der Kurden zu gewährleisten. Sie werden aber bestimmt nicht nach Damaskus marschieren, um dort eine Amerika treue Regierung zu installieren.

       

      Die Amerikaner haben sich mit der Aktion allerdings jetzt endgültig zwischen alle Stühle gesetzt. Und sie haben vor allem ihren wichtigsten Verbündeten in der Region verärgert. Das zu einem Zeitpunkt, an dem Erdogan ernsthaft an eine Neuausrichtung seiner Außenpolitik denkt. Wenn es für die Amis richtig schlecht läuft, verlieren sie die Türkei an ein lockeres Bündnis Russland - Iran – Türkei, dass die Gegend unter sich aufteilt.

       

      Ein Kurdenstaat kann den Verlust der Türkei niemals aufwiegen. Die Türkei ist mit ihren 75.000.000 Einwohnern, ihrer großen Armee und ihrer mittlerweile beachtlichen Wirtschaftskraft nicht durch einen kurdischen Kleinstaat zu ersetzen. Dazu kommt die strategische Lage der Türkei am Bosporus und am Kaukasus.

       

      Mal ganz abgesehen davon. Die YPG hängt nicht dem amerikanischen Staatsmodell an und wird Washington nicht hinterherdackeln.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        "Ich kann mir das nur so erklären, dass sie denken, mit diesem „Freundschaftsdienst“ können sie die Kurden vor den amerikanischen Karren spannen."

         

        Die Kurden sind doch seit Jahrzehnten vor den amerikanischen Karren gespannt. Einen Kurdenstaat zu errichten ist ja nicht die alleinige Erfindung kurdischer Milizen und Milizenführern wie Öcalan, sondern im westlichen (US) - Interesse, seit der Zerschlagung des Osmanischen Reiches und dem Vertrag von Sevres (den Atatürk vereitelte).

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        "Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder militärische Zusammenstöße zwischen den Kurden und der syrischen Regierung."

        ... aber meines Wissens nicht mit Beteiligung der syrischen Luftwaffe und auch die Amerikaner fanden es nicht wichtig genug, um ihre modernsten Kampfflugzeuge zu schicken. Ich fürchte, diese Zusammenstöße sind keine Kleinigkeit.

         

        "Die Türkei ist mit [...] ihrer großen Armee [...] nicht durch einen kurdischen Kleinstaat zu ersetzen"

        ...naja, südlich von Syrien hält ein solcher "Kleinstaat" seit Jahrzehnten seine arabischen Nachbarn in Schach. Es kommt heutzutage nicht mehr auf die Größe der Armee an.

         

        Aber natürlich ist alles nur Spekulation. Gestern analysierte Tomasz Konicz die Lage in Telepolis. Er schätzt den Ernst der Lage ähnlich ein, kommt aber zu einem anderen Ergebnis. Hoffen wir mal, daß er nicht Recht behält.

        (http://www.heise.de/tp/artikel/49/49185/1.html)

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Die kurdischen Autonomiegebiete in Nordsyrien mögen nicht dem amerikanischen Staatsmodell anhängen, aber sie sind als Föderation basisdemokratisch organisiert und alles andere als religiös oder ethnisch homogen (Moslems, Jesiden und auch assyrische Christen). Vielleicht sollten Sie mal nachlesen, was ein Amerikaner davon hält, der dort war:

        http://www.nytimes.com/2015/11/29/magazine/a-dream-of-utopia-in-hell.html

         

        Ich glaube, die Kurden dort haben mit gutem Grund die Assad-Diktatur, Erdogan mit seinem Traum von einem osmanischen Reich und auch die "gelenkte Demokratie" Putins gegen sich: Das könnte ein Modell werden, das auch noch anderen gefällt, wenn es funktioniert.

         

        Es ist irgendwie traurig, das ausgerechnet das spannendste neue freiheitliche politische Modell dieses Jahrhunderts bisher auch hier so wenig zur Kenntnis genommen wird. Hat hier schonmal jemand was von Murray Bookchin gelesen? Auf genau den berufen die sich nämlich. Der war übrigens Amerikaner (und Jude mit russischen Wurzeln...).

         

        Wäre schön, wenn die taz das mal zum Thema machen würde, das ist nämlich eine verdammt spannende Entwicklung.

  • Schwer zu verstehen ist dieser Krieg für die Außenstehenden vor allem deshalb, weil keine der Kriegsparteien 100%ig zu den „Guten“, bzw. zu den „Bösen“ gezählt werden kann.

    Erst der Sieger wird es uns sagen können, denn die Geschichte wird bekanntlich vom Sieger geschrieben!

     

    Bis dahin geht es nach dem Prinzip: „Jeder gegen jeden und Gott gegen alle!“.