piwik no script img

Die TheseIm Krieg muss Kunst politisch sein

Die große Frage ist: Kann Kunst die Welt zum Besseren verändern? In Kriegszeiten ist das keine Frage mehr, sondern ein Imperativ.

Szene aus dem Film „Donbass“ von Sergei Loznitsa Foto: Salzgeber

Es gibt eine Frage, die in jedem bewaffneten Konflikt irgendwann gestellt wird: Was ist die Rolle von Kunst? Es gibt Stimmen, die es für falsch halten, wenn sich Kunst in politische Realitäten einmischt.

Ibrahim Quaraishi

ist Künstler und lebt in Europa und im Nahen Osten. Er hat unter anderem zur kurdischen Widerstandsbewegung in Rojava gearbeitet und war auf der Documenta 14 vertreten.

Angesichts des grauenvollen Krieges in Syrien schrieb der US-amerikanische Kunstkritiker Kelly Grovier 2015 im Magazin der Royal Academy of the Arts: „Politik sollte die Kunst nicht dominieren. Kunst mit einer Agenda ist selten gute Kunst. Die einzige Verpflichtung, die die Kunst hat, besteht darin, ihr Publikum in die Lage zu versetzen, tiefer darüber nachzudenken, was es bedeutet, auf der Welt zu sein.“ So verstanden ist Kunst Sinnstiftung für den in die Welt geworfenen Menschen. Eine Art Religionsersatz. Was für eine seltsame Position.

Künst­le­r*in­nen sind von der Gesellschaft, der Kultur, der Umwelt, der Sozialisation von Ort und Zeit, in der sie leben, beeinflusst. Ob klassische Malerei (wie Picassos „Guernica“-Darstellung des Spanischen Bürgerkriegs) oder Computerspiele (die die aktuelle russische Invasion in der Ukraine simulieren können), Kunst entsteht in der Gesellschaft und steht nie außerhalb von ihr. Auch und erst recht nicht im Krieg. Sollten Künst­le­r*in­nen in Zeiten des Krieges trotzdem die Klappe halten?

Ich finde: Nein.

Es gibt im Krieg keine neutrale Position. Und in der Tat ist es ja so, dass es in diesen Tagen sogar sehr viele Künst­le­r*in­nen gibt, die Flagge zeigen.

Aber.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo.

Aber es stellt sich angesichts der symbolischen Aktionen, wie Gebäude in Ukraine-Farben anstrahlen oder Strumpfhosen mit „No war“ besticken die Frage, welche Kraft Kunst wirklich hat. Kann sie ein Fenster zur Landschaft des Grauens öffnen und wirksam vor dem Leid warnen, das sich dort abzeichnet?

Erich Maria Remarque, der ein Zeugnis des ultimativen Grauens der Schützengräben des Ersten Weltkriegs schrieb, ist gescheitert. Sein Roman „Im Westen nichts Neues“, der noch im Erscheinungsjahr 1929 in 26 Sprachen übersetzt und eines der meistverkauften Bücher seiner Zeit wurde, konnte nicht verhindern, dass Adolf Hitler und seine Kumpane eine hochentwickelte, hochgebildete Industriegesellschaft in die Barbarei und die ganze Welt in den nächsten Krieg trieb.

Dagegen stehen heute visuelle, mediale und performative Kunstformen, die die Propaganda eines Akteurs sehr wohl stärken oder schwächen, befördern oder kritisieren können. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beispielsweise hat durch sein Gespür für eine gute Inszenierung und sein schauspielerisches Talent seinem Anliegen – der Unterstützung des ukrainischen Widerstands gegen die Invasion Putins – eine enorme Strahlkraft verliehen.

Der Futurusmus arbeitete Mussolini zu

Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe von prominenten künstlerischen Interventionen in der Kriegsgeschichte des 20. Jahrhunderts, die als radikal gefeiert wurden, die aber im Rückblick mit etwas anderen Augen betrachtet werden. Während der Futurismus und seine Feier des Mordens und Tötens heute als Vorbild für den faschistischen Staat Benito Mussolinis gilt, ist Susan Sontags Aufführung von „Warten auf Godot“ 1993 im belagerten Sarajevo bisher als mutiger Auftritt für den Frieden gefeiert worden.

Susan Sontag ging damals unter Gefahr für ihr eigenes Leben nach Bosnien, um die Aufmerksamkeit auf das Leid der Be­woh­ne­r*in­nen der unter Beschuss stehenden Hauptstadt zu lenken. Im Nachhinein – sie erhielt die Ehrenbürgerschaft der Stadt und der Platz vor dem Nationaltheater wurde nach ihr benannt – muss man sich allerdings fragen, ob ihre Aktion nicht vor allem ihrer Person Aufmerksamkeit brachte und nicht dem, was dort passierte.

Ein weiteres Problem von politisch sich einmischender Kunst sind die immer undurchdringlicher miteinander verwobenen Verhältnisse zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren insbesondere in den medialen Sphären. Sie machen es praktisch unmöglich, als Künst­le­r*in eine Position zu beziehen, die nicht irgendeine Seite für sich vereinnahmen kann.

Keine Faszination für Krieg

Die Frage ist also eigentlich nicht mehr, wie die Kunst Menschen in Museen, Galerien, Konzertsäle und an ihre Werke lockt, um sie dazu zu bewegen, sich mit etwas auseinanderzusetzen. Die Fragen der Kunst sind viel komplizierter: Wie können Künst­le­r*in­nen verhindern, dass ihre Werke in den medialen Sphären zweckentfremdet werden? Welche Rolle spielt die Identität der Künst­le­r*in­nen nicht nur in der Produktion, sondern auch der Rezeption ihrer Werke? Wie kommen Künst­le­r*in­nen gegen den Mythos an, dass die Kunst über den Dingen steht? Wo hört Engagement auf und wo beginnt künstlerische Eitelkeit? Wo schlägt die Auseinandersetzung mit dem Krieg in Faszination um?

Ein anschauliches Beispiel, wie Künst­le­r*in­nen sich in Kriegen solidarisch verhalten können, ohne dabei auf Selbstvermarktung zu schielen, ist der international gefeierte ukrainische Mathematiker und Filmemacher Sergei Loznitsa, der mit seinen Dokumentarfilmen über die Maidan-Proteste, das Massaker von Babyn Jar oder auch dem über die Pariser Oper berühmt ist. Er ist einer der prominentesten ukrainischen Regisseure, dessen Low-Budget-Dokudrama „Donbass“ (2018) den Prix Un Certain Regard in Cannes gewonnen hat und der das Drama dessen, was wir heute erleben, vorwegnahm.

Seine Werke sind verstörende, äußerst intensiv recherchierte Dokumente, die versuchen, vermeintlich weit auseinanderliegende Dinge miteinander in Verbindung zu bringen, um so deutlich zu machen, wie viele verschiedene Ebenen ein Ereignis, eine Handlung, eine Inszenierung haben kann. Und dass das Grauen beispielsweise immer auch von absurder Poesie und schwarzem Humor begleitet wird.

Opfer der Eindeutigkeit

Ausgerechnet Loznitsa, der in Berlin lebt und immer um absolute Detailgenauigkeit bemüht ist, wurde nun ein Opfer der Eindeutigkeit, die der Krieg verlangt. Loznitsa hatte sich zu Beginn der Invasion in die Ukraine offen gegen den Krieg Putins positioniert. Aber er hatte auch gefordert, nicht alle russischen Fil­me­ma­che­r*in­nen zu boykottieren, schon gar nicht jene, die sich gegen das Putin-Regime stellten. Für diese Haltung wurde er letzte Woche von der ukrainischen Filmakademie ausgeschlossen. Für Details ist im Krieg kein Platz. Umso wichtiger ist es, für sie einzutreten.

Verdrängen und vergessen ist aber selten eine gute Lösung. Auch nicht in Zeiten des Krieges. Kunst kann und muss den Versuch unternehmen, unabhängig zu bleiben und dabei trotzdem einen Weg zu gehen, der Mitgefühl in Zeiten der Gewalt durchzusetzen hilft.

Auf die Frage, was Künst­le­r*in­nen tun können, antwortete Loznitsa kürzlich ohne mit der Wimper zu zucken: „Ich kann nur sagen: Filmt weiter, filmt weiter, filmt weiter, damit wir die Dokumentation für eine spätere Analyse haben, und seid im Hier und Jetzt mit eurer Kunst.“ Mit anderen Worten: Positioniert Euch!

Aus dem Englischen Oliver Baurhenn.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • "Sollten Künst­le­r*in­nen in Zeiten des Krieges trotzdem die Klappe halten?"

    "Sollten" ganz sicher nicht. Können sie aber. Natürlich dürfen Künstler ihre Position auch darstellen dürfen.

    Gerade in Kriegszeiten werden Realitäten oft durch eine schwarze/weiße Brille betrachtet, Grautöne werden negiert, Kunst wird bewußt aus dem Kontext gerissen, vereinahmt, politisiert, mißbraucht und mit Tabus und Klischees belegt.

    Kunst ist prinzipiell frei. Frei von jeglichen Zwängen, von Konventionen, von Rationalität. Kunst ist wider verkrusteter Denkmuster und gesellschaftlicher Verantwortung. Die Entscheidung, sie politisch zu gestalten liegt einzig und allein beim Künstler.

    Kunst die politisch sein muss, ist keine Kunst. In Friedens- wie auch in Kriegszeiten.

  • Interessanter Artikel.



    Dass Remarque „gescheitert“ wäre, dem würde ich allerdings widersprechen. Natürlich kann ein einzelnes Buch oder Gemälde keinen größenwahnsinnigen Zyniker stoppen oder einen Krieg verhindern. Aber die Mahnung dieses Romans genau wie die von Picassos Guernica wird noch für Jahrhunderte weiterbestehen. Ob das für digitale Werke auch gelten kann, wage ich zu bezweifeln. Und ob Selenskyjs mediale Wirksamkeit den dritten Weltkrieg verhindern wird, das werden wir erst im Nachhinein erfahren.

    • @Birgit Deter:

      Das mit Remarque habe ich auch nicht verstanden. Offenbar ist gemeint, Remarque konnte den Aufstieg des NS und die Begeisterung für militärische Gewalt und Krieg nicht brechen. Tatsächlich wurde der Kinofilm schon 1930, also Jahre vor der Bücherverbrennung, wegen der erfolgreichen Shitstormkampagne der Nazis in Deutschland verboten. Andererseits wurde Remarque praktisch über Nacht weltbekannt und die Wirkung des Romans ist sehr langlebig.

  • Zwischen "sollten die Klappe halten" und "müssen sich positionieren" gibt es dann doch noch jede Menge Spielraum. Und abgesehen von einer generellen Aversion gegenüber Imperativen, was Kunst muss oder darf: Die große Mehrheit der Weltbevölkerung, wie auch der Künstler, befindet sich nicht im Krieg. Die Aufforderung, sie alle müssten nun im allgemeinen Militarismus-Rausch Propaganda für eine Kriegspartei machen, weil einer der vielen Konflikte weltweit ausnahmsweise Menschen trifft, die aussehen wie zivilisierte, weiße Europäer, und nicht wie wilde, braune Südländer (Zitat diverser medialer Wertekämpfer) ist so illiberal wie undemokratisch.



    In Peking sieht man angeordnete, politische "Kunst" dagegen sehr gerne...

  • Irre, und ich hatte Loznitsa damals noch kritisiert, weil ich die Eindeutigkeit, mit der er ausländische Kriegshandlungen zugunsten der Ukraine einforderte, zu eskalierend fand.

    Sein Statement, dass man russische Kunst nicht pauschal verurteilen oder in Schuldhaftung nehmen solle, hab ich damals registriert, aber kaum gewürdigt, weil ich das für jeden vernünftig denkenden Menschen selbstverständlich hielt und nicht der Rede wert fand.

    Angesichts seines Ausschlusses aus der Akademie wegen zu wenig eindeutiger Verteufelung des russischen Volkes muss ich mich da revidieren. Wer sich in dieser Lage mutig der völkisch-nationalistischen Eindeutigkeit widersetzt, die aus dem eigenen Lager schallt und vom Botschafter Melnyk (Absage des Steinmeier-Konzerts) ebenso befeuert wird wie von den "progressiven" Ukrainerinnen vom Pariser Platz (der gruselige Bullshit-Sager im Couchreport-Podcast von vorgestern), verdient bewunderung.

    Die Übersetzung des russofaschistischen "Z" mit "Zombifizierung" finde ich immer noch großartig (und fand das schon damals, zu meiner Ehrenrettung gesagt).

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Kunst ist dazu da, um zu beweisen und zu ertragen, dass jede Sicherheit eine Illusion ist."



    (Unlängst gelesen, weiß nicht mehr wo)

    • @95820 (Profil gelöscht):

      "„Kunst ist dazu da, um zu beweisen und zu ertragen, dass jede Sicherheit eine Illusion ist."

      Wieder so eine pseudointellektuelle Phrase. Kunst und Sicherheit sind erstmal nicht zwingend voneinander abhängig. Kunst in Sicherheit ist angenehmer und im Zweifel lukrativer, Kunst in Unsicherheit ist genauso möglich.

      Kunst darf auch politisch sein, muss sie aber nicht, auch nicht in Kriegszeiten.

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Stefan L.:

        Sie widersprechen Behauptungen, die niemand aufgestellt hat. Für Sie habe ich trotzdem gesucht. Die „Phrase“ ist vom „Pseudointellektuellen“ James Baldwin:



        taz.de/Debatte-um-...spoet_in/!5825721/

        • @95820 (Profil gelöscht):

          "...Die „Phrase“ ist vom „Pseudointellektuellen“ James Baldwin..."



          Muss ich jetzt beeindruckt sein?

          • 9G
            95820 (Profil gelöscht)
            @Stefan L.:

            Ob Sie beeindruckt sind, ist mir egal. Ob die Gedanken andrer Menschen hilfreich sind, soll doch JedeR für sich selbst beurteilen. Baldwin äußert seinen Wunsch, was Kunst für ihn bewirken soll. Müssen sollte Kunst nicht müssen. Sie kann natürlich auch sinnlos und zweckfrei sein. So wie die meisten Kommentare im taz-Forum. Ein Umkehrschluss wäre hier allerdings unsinnig.

  • Gute Kunst stellt Fragen, sie gibt keine Antworten, gute Kunst regt zum Denken an, sie denkt nicht für andere

    Dabei kann sie natürlich politisch sein, aber eben nicht als Pamphlet, als Agitprop, als alleinauf eine aktuelle Situation gemünzter Kommentar. Picassos Guernica, Remarques "Im Westen nichts Neues" oder auch das Kriegslied von Matthias Claudius verweisen in ihrer Entstehung natürlich auf ganz andere, längst vergangene Kriege, trotzdem lösen sie bei einem Betrachter oder Leser im Jahr 2022 wahrscheinlich Gedanken aus, sie sich auf die Ukraine beziehen. Das bedeutet mehr, als irgendwelche kurzfristig zusammengesponnene Aktualität, die in kurzer Zeit wieder vergessen sein wird

    Muss Kunst im Krieg politisch sein? Ich finde nicht. Wir leben ja weiter, lieben, haben Ängste und andere Emotionen, die gar nichts mit dem Krieg zu tun haben und die künstlerisch verarbeitet werden können und dürfen. Kunst ist auch Ablenkung und Zerstreuung, die wir in diesen Tagen bitter nötig haben und auf die zu verzichten niemandem in der Ukraine helfen würde. Im Gegenteil, wir sollten uns von Putin nicht unseren Kulturgenuss bestimmen lassen, das wäre ein erfolgreicher Angriff auf die westliche Freiheit, die zu bekämpfen sein Ziel ist.

    In diesem Sinne und mit den Worten von Matthias Claudius:



    "’s ist leider Krieg – und ich begehre,



    Nicht schuld daran zu sein!"

  • "Seid im Hier und Jetzt" und "positioniert euch" sind aber fundamental unterschiedliche Sätze...

  • "Im Krieg muss Kunst politisch sein"



    Sehe ich anders. Müssen muss sie gar nix. Sonst ist es keine Kunst, sondern Propaganda.



    "Es gibt im Krieg keine neutrale Position."



    Das haben die Schweizer z. B. über Jahrhunderte hinweg anders gesehen.

    Zusammengefasst: genau wie jeder Mensch das Recht hat seine Meinung frei zu äußern, hat er auch das Recht sich _nicht_ zu positionieren.

    Daran ändern auch Kriege nichts. Oder wenn, dann reden wir nicht mehr über eine freie Gesellschaft.

    • @Encantado:

      Endlich mal ein vernünftiges Wort. Ganz genau so ist es. Danke.