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„Im Westen nichts Neues“ ist oscarnominiertKörper im Schlamm

Edward Bergers Neuauflage des Klassikers „Im Westen nichts Neues“ ist mehrfach für den Oscar nominiert. Das liegt auch an der universalen Botschaft.

Kalte und schmerzhafte Bilder: Szene aus der Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ Foto: Reiner Bajo/Netflix

Nicht die Freiheit ist ausschlaggebend, lernt der 17-jährige Paul Bäumer, sondern der Drill. Mit diesen militaristischen Flausen im Kopf melden sich die Jungen zu Anfang von Erich-Maria Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ an die Westfront des Ersten Weltkriegs. Sie sind die „eiserne Jugend“, sie wollen kämpfen, für Kaiser, Gott und Vaterland. Doch sie sterben – alle, auch der Erzähler.

1928 veröffentlichte der Osnabrücker Autor Remarque seinen auf eigenen Fronterfahrungen basierenden Roman, zwei Jahre später wurde der Bestseller von Lewis Milestone verfilmt. Der Film gilt als Klassiker: Mile­stone besetzte den Protagonisten mit dem noch unbekannten Lew Ayres, dessen bewegtes Gesicht Schmerz und Trauma sensibel auszudrücken vermochte.

Ideenreich spielte Milestone mit dem Medium, montierte Verzweiflung in Großaufnahme hintereinander oder bildete die Träume der jungen Männer als Phantasmen ab. David Broek­mans Soundtrack imitierte Marschtrommeln, die Kriegsszenen waren – nicht nur für die Zeit – immersiv und schonungslos.

Die Verfilmung wurde bei der Oscarverleihung 1930, der dritten überhaupt, als erster Tonfilm mit zwei Trophäen (Bester Film und Beste Regie) ausgezeichnet. Nominiert war er in zwei weiteren Kategorien (Drehbuch und Kamera) – von insgesamt acht. Der deutsche Auswanderer und Hollywood-Mitgründer Carl Laemmle, der „Im Westen nichts Neues“ produzierte, fuhr damals regelmäßig in die alte Heimat, um gute Stoffe ausfindig zu machen.

Gute Stoffe in der alten Heimat

Fast fünf Jahrzehnte später adaptierte der US-Regisseur, Ex-Bomberpilot und Rock-Hudson-Komödienexperte Delbert Mann den Roman erneut, mit dem durch seine Rolle als „John-Boy Walton“ bekannt gewordenen Richard Thomas in der Hauptrolle. Ernest ­Borgnine spielte den cleveren Überlebenskünstler Kat(czinsky). Neben ihm bereicherten britische Schauspielgrößen wie Donald Pleasance und Ian Holm die anrührende und realistische Produktion, die 1980 einen Golden Globe erhielt.

In beiden Fassungen stirbt Paul Bäumer kurz vor dem Waffenstillstand an einem kampfarmen Tag, weil er sich nach etwas Frieden inmitten des Schützengrabens sehnt: Im 1930er Film streckt Bäumer seine Hand nach einem Pfauenauge aus, das seinen Weg in die Todeszone fand, und wird dabei erschossen, man sieht es an der Hand, die sich nicht mehr bewegt.

Der 1979er Bäumer hört einen Vogel zwitschern, beginnt ihn zu zeichnen, und erhebt sich aus dem Graben, um einen besseren Blick auf das Tier zu bekommen. Auch dieses unbezähmbare Verlangen nach Natur endet tödlich. Und auch diese Kamera zeigt Bäumers Tod nur fragmentarisch – man sieht einen Teil seines Körpers und die Zeichnung im Schlamm.

Die erste, im Land der Täter entstandene Adaption des Stoffs wurde fast 100 Jahre nach dem Roman und der ersten Verfilmung produziert – und ist nun für neun Oscars nominiert. Neben den „technischen“ Nominierungen für das beeindruckende Niveau von Gewerken wie Ton, Kamera und visuellen Effekten ist darunter, erstmals für einen deutschen Film, auch die Kategorie „Bester Film“.

Regisseur Edward Berger inszenierte mit seinem Kameramann James Friend große, kalte und schmerzhafte Bilder, die (ebenfalls oscarnominierte) Filmmusik von Hauschka alias Volker Bertelmann lauert zunächst sanft im Hintergrund, um dann Marschtrommeln und elektronische Störgeräusche wie Schläge einzusetzen. Wie schon Milestone hat Berger mit Felix Kammerer einen – im Film – eher unbekannten jungen Schauspieler besetzt. Er stirbt – anders als in den früheren Filmen – im Nahkampf, durch einen sichtbaren Stich: Der Tod kommt unbarmherzig bildfüllend und frontal. Daneben füllt Albrecht Schuch die dankbare Rolle des Kat tadellos.

Die Stärke von Bergers Film ist seine Visualität und eine Struktur, die bereits in der Vorlage angelegt ist: Die Reise des Protagonisten ist ebenso eindeutig wie seine Mission – er wird vom unwissenden, kriegsbegeisterten Naseweis zum frühzeitig gealterten, traumatisierten Kriegsgegner. In Kriegszeiten, in denen Deutschland um Haltung (und Entscheidungen zur militärischen Unterstützung) ringt, könnte diese klare Botschaft des erschreckend aktuellen Films ihn in unerhörte Oscar-Gefilde katapultieren.

Seine Machart ist hochprofessionell und modern, sein Thema urdeutsch, seine Sprache, seine Dramaturgie, sein Drama und sein Konflikt sind universal und verkörpern eine so simple wie weise Kunde: Krieg ist scheiße. Sogar für die Aggressoren. Oder, wie Paul Bäumer bereits in der ersten Filmversion erkennt: „Es ist dreckig und schmerzhaft, für sein Land zu sterben.“

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5 Kommentare

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  • Ich finde die Umschreibung „…im Land der Täter…“ in Bezug auf diesen Film unpassend:

    Es geht hier ja nicht um den Zweiten Weltkrieg bzw. den Holocaust/die Shoa, sondern um den wahnsinnigen Stellungskrieg/Grabenkampf im Ersten Weltkrieg…

    Denn selbst wer nicht die Thesen vom bereits erwähnten Christopher Clark teilt und die Haupt- bzw. Alleinschuld an dieser Urkatastrophe des 20.Jahrhunderts beim Deutschen Kaiserreich sieht, muß doch zugeben dass Täter und Opfer in diesem Gemetzel ja wohl gerade bei den einfachen Soldaten an der Front alle Kriegsparteien zugleich sind.

  • Mir lief es bei dem Film kalt den Rücken herunter.



    Der deutsche Kaiser überfällt, wie Putin, ein Nachbarland, die Gegenseite hält stand, hochgerüstet durch die halbe Welt. Es folgt ein langer Stellungskrieg, junge Männer werden Tag für Tag sinnlos mit "Hurra, für das Vaterland" in den Tod getrieben.



    In einer einzigen, ganz normalen Schlacht wurden mehr Menschen umgebracht als im ganzen Ukrainekrieg. Ein unvorstellbares Blutbad.



    Das Ende erst als unser Kaiser endlich abdankt - wohl auch, weil er unbehelligt zum Rosenzüchten nach Holland gehen kann und nicht um sein eigenes Leben fürchten muss.



    Dann die Versailler Verträge, kaum bewältigbare Reparationen, der Grundstein zur nächsten Katastrophe.

    Ich hoffe, diese Geschichte wiederholt sich nicht.

    Der Film "1917" aus dem Jahr 2020 ist ebenso eindringlich und, meiner Meinung nach, noch etwas bildgewaltiger: Es gibt keine (sichtbaren) Filmschnitte. Es wird das Schicksal von zwei britischen Soldaten auf Seite Frankreichs gezeigt.

    • @Limonadengrundstoff:

      "Der deutsche Kaiser überfällt, wie Putin, ein Nachbarland, die Gegenseite hält stand, hochgerüstet durch die halbe Welt".

      Dies ist nicht zutreffend, die Wirklichkeit war schon deutlich komplexer. Ich empfehle Ihnen das Buch "Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog" des australischen Historikers Christopher Clark als Einführung in dieses Thema.

      • 3G
        31841 (Profil gelöscht)
        @Stefan Schaaf:

        "Schlafwandeln", das trifft meinen Eindruck bez. der "Ostpolitik" der vergangenen Jahre.

  • Zu Zeiten der Unterstützung der Menschen in der Ukraine, wo wir alle nicht Kriegsteilnehmer sondern nur kriegerischer Handelspartner oder so sind, ist klar, dass der meines Wissens einzige aktuelle bombastische Antikriegsfilm jetzt zu den Oscarnominierungen kommt. Vielleicht auch zu Recht, aber mir war zu viel romantisierendes Kriegsgedöhns dabei. Eventuell schau ich ihn mir nochmal an unter dem Aspekt preiswürdig. Und der Satz von Bäumer stimmt für mich leicht abgewandelt: Ich fühl mich wie Dreck und verrecke schmerzhaft, das ist von den Überlebenden dreckig.



    Irgendwo Gib dem Frieden ne Chance