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Die Politik der EU zu SyrienVom Appeasement zur Ohnmacht

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Die Politik der EU ist zahnlos, sie ist auf Gedeih und Verderb von Erdoğan abhängig – wegen des Flüchtlingsdeals, den Merkel 2016 eingefädelt hat.

Rauchsäulen im Grenzgebiet Foto: ap

S eit Wochen fordert die Türkei die Europäer heraus – mit Ölbohrungen vor Zypern, immer mehr Flüchtlingen in der Ägäis und wilden Drohungen von Präsident Erdoğan. Nun ist die türkische Armee auch noch in Syrien einmarschiert und attackiert ausgerechnet jene Milizen, die Europa im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat geholfen haben.

Und was macht die EU? Sie fordert einen Stopp der Militäroffensive und eine „politische Lösung“. Gleichzeitig bietet sie Erdoğan neue Milliardenhilfen an, damit der umstrittene Flüchtlingsdeal verlängert werden kann. In einer eilig zusammengestoppelten Erklärung wird die Türkei sogar noch als „Schlüsselpartner“ umworben.

Von Sanktionen hingegen ist nicht die Rede. Nicht einmal der türkische EU-Botschafter wurde einberufen. Man müsse erst einmal abwarten, wie sich die USA verhalten, sagen Diplomaten in Brüssel. Sollten die Amerikaner Strafen verhängen, dann könnten die EU-Außenminister bei ihrem nächsten Treffen am Montag auch mal darüber nachdenken.

Das sagt eigentlich alles über die Außenpolitik der 28 EU-Staaten. Jahrelang haben sie sich in Appeasement gegenüber der Türkei geübt. Als es dann ernst wurde in Syrien, blockierte Ungarn in letzter Minute eine vorbereitete gemeinsame Erklärung. Es ist eigentlich alles schiefgegangen, was nur schiefgehen konnte.

Besserung ist nicht in Sicht. Denn die EU ist auf Gedeih und Verderb von Erdoğan abhängig – wegen des Flüchtlingsdeals, den Kanzlerin Angela Merkel 2016 eingefädelt hat. Noch ­wenige Tage vor dem Angriff in Syrien hat Bundesinnenminister Horst Seehofer in Ankara eine Charme­offensive gestartet, um den Deal zu ­retten.

Das unterwürfige Verhalten zeigt, was von den großen Sprüchen zu halten ist, mit denen Merkels Parteifreundin Ursula von der Leyen neuerdings hausieren geht. Sie will eine „geopolitische“ Kommission bilden und Europa die „Sprache der Macht“ lehren. All dies sind leere Worte, aus denen die schiere Ohnmacht spricht.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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22 Kommentare

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  • Was Deutschland ohne weiteres Tun kann wäre die Kurden bei ihrem Recht auf Selbstverteidigung mit Geld und Waffen zu unterstützen oder wenigstens das Verbot der PKK aufzuheben, als Geste des guten Willens. Mir ist schleierhaft, warum die Peschmerga im Nord-Irak die guten und die PKK in der Türkei die bösen sein sollen, beide unterstützen die Autonomie der Kurden in Syrien.

  • „ sie ist auf Gedeih und Verderb von  Erdoğan abhängig – wegen des Flüchtlingsdeals, den Merkel 2016 eingefädelt hat.„

    Die Flüchtlinge gibt es nicht wegen des „Flüchtlingsdeals“ Die Türkei hat sie auch nicht verursacht.

    Europa ist auch groß genug um die Flüchtlinge selber aufzunehmen. Auch da ist man nicht abhängig von der Türkei.

    • 0G
      06313 (Profil gelöscht)
      @Rudolf Fissner:

      "Europa ist auch groß genug um die Flüchtlinge selber aufzunehmen"

      Europa ist ein dicht besiedelter Kontinent. Von welchen und wievielen Flüchtlingen sprechen Sie? Bei der ersten Flüchtlingswelle 2015 zeigte es sich in Deutschland, dass weder Schulen, öffentliche Verkehrsmittel, Kindergärten, Behörden, etc. etc. darauf vorbereitet waren, sich plötzlich um so viele Migranten zu kümmern. Personalmangel und fehlende Infrastruktur hat zu unzähligen Konflikten geführt, die ich nicht alle aufzählen möchte. Ich vermute mal, dass es in anderen europäischen Ländern, in denen Flüchtlinge aufgenommen wurden, ähnlich war und noch ist. Siehe heute die Zustände in den Flüchtlingslagern in Griechenland. Von daher halte ich es doch für sehr gewagt zu behaupten, dass Europa groß genug ist, um unbegrenzt Flüchtlinge aufzunehmen. Es müssen erst die Voraussetzungen erfüllt werden, um Millionen von Zuwanderern aufzunehmen. Wenn ich richtig informiert bin, sind weltweit an die 70 Millionen Menschen auf der Flucht aus den unterschiedlichsten Gründen.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wie @Martin_25 bereits schrieb: die EU ist NICHT auf Gedeih und Verderb von Erdogans Türkei abhängig - auch wenn sie sich 2016 in Abhängigkeit begeben hat.

    Allerdings sehe ich solange keine echte Lösung, solange die einseitige Sanktionierung des Assad-Regimes und seines Verbündeten Russland besteht.

    Es gehörte schon immer zu innerer Größe, von Zeit zu Zeit inne zu halten und die bisherige Praxis zu überdenken.

    Dazu bedarf es noch nicht einmal eines großen Paradigmenwechsels. Die Aussicht auf eine neue Flüchtlingswelle könnte - zumindest in klugen Köpfen - Wunder bewirken.

  • "Denn die EU ist auf Gedeih und Verderb von Erdoğan abhängig"

    Das stimmt so nicht. Wenn die EU die SyrienSanktionen lockern würde, und gegenüber der syrischen Regierung vernünftiger handeln würde, dann würde der Flüchtlingsstrom versiegen, und Syrien seine eigenen Grenzen wieder verteidigen können. Natürlich sollte man die Waffenlieferungen an die Türkei abstellen.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Martin_25:

      Den größten Massenmörder und Schlächter des Nahen Ostens unterstützen?

      Es gibt sehr viele ältere Leute die in Syrien Rente bekämen bzwh. Häuser und Grundstücke verlassen haben - die gehen nicht zurück - weil sich nichts geändert hat - der Massenmörder mordet im Land weiter - und füllt weiter die Foltergefängnisse.

      Das Problem heißt Assad, Putin und Khamenei - und solange sich daran nichts ändert - ändert sich auch in Syrien nichts.

      Ansonsten - Putin und Khamenei haben das Sagen in Syrien - und haben das Land bis auf die Grundmauern zerstört.

      Warum richten sie ihren Appel nicht an diejenigen welche die Verantwortung tragen und das Disaster angerichtet haben?

  • Seit Wochen?? Seit Jahren!! Ich erinnere nur an den unverschämten, mir nicht bekannt widersprochenen Satz des türkischen Außenministers, dessen Name ich mir nicht merken kann und will: "Deutschland muss lernen, sich zu benehmen". Und E hatte die Unverschämtheit zu fragen, wer Gabriel sei, damals kritischer Außenminister. Die Begleitumstände lasse ich der Länge wegen weg.

  • Erdogan droht, es wären 3,6 Millionen Flüchtlinge. Das wären, wenn wir jetzt Mal ganz stumpf die Größe der Länder außen vor lassen, pro Land 130'000. Und davor scheißen wir uns ein? Für ein Elend, das wir selber mit verursacht haben? Schöne neue Welt

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Reyde Lanada:

      Ihre Rechnung weist leider einen großen Fehler auf: die bisherige Aufnahmepraxis in der EU.

      Das Hochrechnen bei 3,6 Mio. anhand der bisherigen Verteilung überlasse ich Ihnen gerne. ;-)

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Ich bin mir bewusst, dass das mehr als eine Milchmädchenrechnung war. Es ist auch echt unerträglich, das sich die EU immer noch nicht auf einen Verteilungsschlüssel einigen konnte. Hinweisen wollte ich lediglich darauf, das es problemlos zu stämmen wäre.



        Uganda nahm in den letzten Jahren alleine über eine Million Flüchtlinge auf; und die sind weit entfernt von unserem (finanziellen) Reichtum

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Verurteilung des türkischen Angriffs auf die Kurden durch gemeinsames VETO der USA & der Russischen Förderation im Sicherheitsrat gescheitert.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Yep, eingebracht wurde das "statement" von den Europäern (D, GB, F, B, PL). Ich hatte eigentlich erwartet, darüber etwas in der taz zu lesen. Na, egal, es zeigt jedenfalls mit wem Erdogan eine vorherige Abstimmung für nötig gehalten hat und mit wem nicht. Europa und vor allem D wird außenpolitisch nach 14 Jahren Merkel nicht mehr ernstgenommen.

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @jhwh:

        ""Europa und vor allem D wird außenpolitisch nach 14 Jahren Merkel nicht mehr ernstgenommen.""



        ==



        Erdogan hat sich gestern beschwert das die Bundesrepublik und die EU den Einmarsch der Türken in Nordsyrien kritisieren - und droht die Syrer nach Europa zu schicken.

        Sieht also nicht danach aus als ob die EU nicht wahrgenommen werden würde. -

        Ansonsten sieht es stark danach aus das sich ihre inhaltsleere und stupide Wiederholungspropaganda verschlissen hat.

        Und das ist gut so.

        • @06438 (Profil gelöscht):

          Ich will Ihnen mal zugute halten, daß Deutsch wahrscheinlich nicht Ihre Muttersprache ist. Aber es gibt einen Unterschied zwischen "wahrnehmen" und "ernstnehmen". Pöbeleien werden z.B. in der taz-Kommune wahr- aber selten ernstgenommen.

          • 0G
            06438 (Profil gelöscht)
            @jhwh:

            Der Punkt an dem die türkische Wahrnehmung der Kritik am türkischen Eroberungskrieg ein ernst-nehmen dokumentiert.



            ==



            Noch am Mittwoch hatte Erdogan gesagt, die türkische Militäroperation in Nordsyrien erfreue sich der Unterstützung Amerikas und Europas, selbst wenn es anderslautende Erklärungen gibt.

            Am Donnerstag begann der türkische Präsident offensichtlich zu hetzen, mit einem kläglichen und etwas jämmerlich wirkenden Versuch einer Drohgebärde:

            Wenn die EU oder die Bundesrepublik (Heiko Maas) den türkischen Krieg als eine Besatzung sehe und wenn sie weiterhin ihren Verpflichtungen aus dem Flüchtlingsabkommen von 2016 nicht nachkomme, dann habe die Türkei leichtes Spiel: „Dann wird die Türkei die Tore öffnen und 3,6 Millionen Flüchtlinge schicken.“

            Zuvor hatte die EU die Türkei aufgerufen, die Operation einzustellen um nicht die Stabilität der Region zu gefährden und weitere Vertreibungen auszulösen.

            Die türkische überhebliche Reaktion mit den für Erdogan üblichen = radikal - brutalen - und reichlich undifferenzierten Unterton = der wie gewohnt an den Fundamenten der türkisch - deutschen Beziehungen und an den getroffenen Vereinbarungen rüttelt wenn er sich ernsthaft auf den Schlips getreten fühlt --

            dokumentiert was?

            Etwa das Erdogan die EU - Kritik und die der Bundesrepublik nicht ernst nimmt?

            Wenn Erdogan reagiert wie am Spiess gebraten - hat er die Kritik ernst genommen. Wohin das führt wird man sehen - auf jeden Fall gerät Erdogan zunehmend unter Druck.

            • @06438 (Profil gelöscht):

              Danke, daß Sie zu einem halbwegs zivilisierten Umgangston zurückgekehrt sind.



              Einigen wir uns darauf: wirtschaftliche und politische Sanktionen der EU hätten tatsächlich schwerwiegende Auswirkungen in der Türkei. Erdogan müsste deren Androhung ernstnehmen, hätte er nicht mit über drei Mio. Flüchtlingen einen so langen Hebel in der Hand, daß er vor wirklich ernsthaften Sanktionen geschützt ist.

  • Der Deal hat den Flüchtlingsstrom gestoppt. Wenn der Deal gekündigt wird geht's weiter, dann kommen wieder Flüchtlinge...



    Wieso sind wir erpressbar?



    Die Türkei macht gerade was sie will und führt die EU vor, und das nach allen Regeln der Kunst.

    Die EU macht sich lächerlich!

    Seit Monaten wird geschachert und gezockt, jetzt geht's in die zweite Runde mit Frankreich.....Prost! Was interessiert mich der Rest der Welt?

    • @wirklich wahr?:

      Wir sind erpressbar, weil wir Wert auf Menschen- und Grundrechte legen. Zumindest vor unserer Haustür. Naja, meistens. Die AfD wünscht sich definitiv, dass Merkels-Deal platzt, hunderttausende neue Flüchtlinge nach Deutschland kommen und Merkel am besten noch zurücktritt. Dass das unsere Politiker weniger gut fänden, sollte klar sein. Die meisten anderen europäischen Regierungen denken wohl nicht anders.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Die Türkei und der Nahe Osten sind spätestens ein intensiver geopolitischer Zankapfel seit WWI -- verbunden mit der Auflösung des Osmanischen Reiches welches 400 Jahre Bestand hatte - seit dem Fall von Konstantinopel.

    Die USA haben nun zum zweiten Mal verkündet - das erste Mal im September 2013 nach Assads Giftgasanschlägen -- das sie keine Interessen in Syrien vertreten.

    Interessen in dieser Region werden knallhart militärisch ausgefochten - wobei der Iran mit Zehntausenden von schiitischen Milizen aus Asien und die Russische Förderation mit der gleichen Anzahl von Soldaten vertreten ist.

    Wer glaubt denn das an dieser Tatsache des - nie - wirksamen - Einflusses - der EU in dieser Region sich etwas durch den Bau des VW Werkes in der Türkei ändern wird? -

    Die EU hatte eine rühmliche Rolle beim Abschluss des leider unvollkommenen Iran Deals gespielt -



    allerdings mit der militärischen Macht der USA/GB im Rücken.

    Das die EU keine gemeinsame Außenpolitik betreibt sollte man/frau ihr unter die Nase reiben.

    Wobei - Frankreich für den Ausgleich im Nahen Osten sorgt und Saudi Arabien unterstützt - das nur als Hinweis wie komplex das Thema EU Außenpolitik werden würde.

    Da China dabei ist seinen wirtschaftlichen Einfluss auch durch den Ausbau von Militärbasen auszubauen - empfiehlt es sich darüber nachzudenken welchen Einfluss wie und warum die EU denn ausüben sollte.

  • Har die taz nicht vor allzu langer Zeit für die EU-Aufnahme der Türkei getrommelt?

  • Eine Bankrotterklärung jeglicher eigener Außenpolitik, und das aus Angst vor den Rechten im (jeweils) eigenen Land. Wenn man sich zu Lakaien macht und sonst nichts zu tun traut, dann sieht es am Ende genau so aus! Das fette reiche dekadente und unfähig zerstrittene Europa.



    Welch erbärmliches Bild!

  • Im Fall der Türkei trifft das Argument zu, dass die EU aufgrund des Deals in ihren Möglichkeiten eingeschränkt ist.

    Aber auch ansonsten ist die EU außenpolitisch ziemlich zahnlos - problematischer Deal hin oder her. Wo hat denn Europa derzeit Macht und Einfluss?