Die Nachfolge Angela Merkels: Kann Söder Kanzler?

Wer Kanzler werden will, muss der Bundesrepublik Orientierung für die nächste Phase geben. Das Duell ist ab sofort eröffnet.

Ministerpräsident Söder fasst sich an seine Brille.

Schiefes Bild: Zack, und Söder ist ein reifer, differenzierter Staatsmann mit Potenzial fürs Kanzleramt Foto: Peter Kneffel/dpa

Es ist überhaupt nicht erstaunlich, wie schnell sich Markus Söder für Teile der Mediengesellschaft von einem Hallodri-artigen Ego-Opportunisten in einen reifen, differenzierten Staatsmann verwandelt hat. Es ist nur ein Ausweis, wie diese Mediengesellschaft funktioniert. Einerseits wurzelt sie in anachronistischen Politikvorstellungen. Andererseits ist sie oberflächenfixiert und immer bereit für den nächsten heißen Scheiß.

Und so versichern einem die Unbeirrbaren mit routinierter Verachtung, dass der bayerische Ministerpräsident sich nur verstelle und für Mehrheiten „alles“ tun würde, während die Beirrbaren mit frischer Überzeugung davon reden, dass dieser Söder sich ja richtig gut entwickelt habe.

Bayerns reale Coronabilanz – relativ viele Erkrankungen, relativ viele Arbeitslose – steht im Widerspruch zu Söders neuem Image als „Kann-Kanzler“ und Führungsfigur in Krisenzeiten, aber das nur nebenbei. Wichtig ist die Frage, welche Bedürfnisse und welche Vorstellung von Politik Leute haben, die die komplexen Antworten darauf jetzt in Söder projizieren. Meine Unterstellung wäre, dass es auf die gefühlte Hoffnung hinausläuft, dass der Beste der Union das ganze Zeug schon regeln wird.

Besessen von Symbolpolitik

Da wir besessen von Oberfläche, Symbolpolitik und unseren Lieblingsthemen sind – ein Kollateralschaden der sorglosen 70 Jahre Bundesrepublik (Westsicht) –, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es ab Herbst ein weiteres Wahlkampf-Gesellschaftsgespräch geben wird, in dem Charakter-, Moral-, Geschlechter- oder gar Kleidungsfragen im Vordergrund stehen, alles immer schön nationalfixiert.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Die Frage für liberaldemokratische Europäer ist aber, wie wir die liberale Demokratie und die planetarischen Lebensgrundlagen gegen illiberale und autoritäre Neu-Angebote verteidigen. Das geht nur, indem diese liberale Demokratie doch noch in der Lage ist, die großen Fragen zum Wohle möglichst vieler zu bearbeiten. Große Fragen sind globale und europäische Fragen und die Antwort kann nicht mehr sein: So geht’s gar nicht, sondern muss sagen, wie und mit wem es geht.

Und für so einen Wahlkampf suche ich Leute, die sagen, das fordern wir ein. Es geht um grundsätzliche Orientierung für die nächste Phase der Bundesrepublik Deutschland. Und da wollen wir doch mal sehen, was Ministerpräsident Markus Söder von der CSU sich grundsätzlich und im politischen Detail vorstellt. Und dann wollen wir mal sehen, wie sich sein Orientierungsansatz unterscheidet von dem Konkurrenzansatz, also dem von Annalena Baerbock und Robert Habeck von den Grünen.

Der grüne Parteivorsitzende war in dieser Woche mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) öffentlichkeitswirksam wandern und hat scheinbar nebenbei und erst auf Nachfrage das grüne Ziel für die Bundestagswahl 2021 ausgegeben. Es lautet: möglichst stark in die Regierung kommen.

Wow. Aber logisch. Das Problem zuletzt war, dass man zweimal aus einer Position der eigenen Schwäche sondierte. 2013, weil man ein mieses Wahlergebnis hatte und zerrissen war. 2017, weil man ein mieses Wahlergebnis hatte und auf die FDP angewiesen war. „Möglichst stark in die Regierung kommen“ ist ein Versprechen an die neue Mitte der Gesellschaft: Diesmal ziehen wir den Schwanz nicht ein. Je stärker ihr uns macht, desto unwahrscheinlicher wird eine Regierung ohne uns, desto mehr können wir von dem einbringen, was wir im Wahlkampf erörtern. Das ist für Grüne ein großer Schritt, denn es ist die offizielle Anmeldung zum Wettbewerb um die Führung der deutschen Gesellschaft. Das, was die Union immer macht, die zerrissene SPD nicht mehr kann und die gelähmte Linkspartei nie konnte.

Damit ist das Duell eröffnet. Mögen die besseren Argumente gewinnen.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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