Die Linke und die Bayern-Wahl: Das erste Mal
Im bayerischen Landtag waren die Linken bisher noch nie. Doch bei dieser Wahl stehen die Chancen für den Einzug gut. Ein Besuch in der Oberpfalz.
Etwa 3.400 Mitglieder hat die Linke in Bayern, das macht einen pro 4.000 EinwohnerInnen. Die CSU im Land hat vierzig Mal mehr Mitglieder. Die Linke ist hier so etwas wie der Krümel auf dem blau-weiß karierten Tischtuch.
Aber jetzt will die Krümelpartei in den Bayerischen Landtag und kurz vor der Wahl sieht es plötzlich so aus, als könnte es tatsächlich klappen. Zwischen 4 und 5 Prozent sagen die Umfragen der Linken voraus. Wenn sie es schafft, würde dass die Mehrheitsbildung im auf 180 Sitze gedeckelten Landtag so richtig erschweren.
Selbst in der Berliner Parteizentrale glauben sie eigentlich nicht daran, dass es die bayerischen GenossInnen hinbekommen. Eine Sensation wäre das, sagen sie, und verweisen lieber auf Hessen, wo zwei Wochen später gewählt wird und die Linke voraussichtlich stabil ins Landesparlament einziehen wird.
Doch die Eva Kappl aus der Oberpfalz, die glaubt daran, dass sie einziehen werden, und der Marius Brey auch. 20 und 21 Jahre sind sie alt, er trägt den Seitenscheitel links, sie rechts, beide bebrillt, der Kleidungsstil existenzialistisch dunkel. Es ist ihre erste Landtagswahl – als WählerInnen, aber auch als KandidatInnen.
Die Angst vor den Linken nehmen
Die beiden Kreisverbandssprecher für die Mittlere Oberpfalz – das ist eine mit der Bahn schwer erreichbare Region entlang der tschechischen Grenze – touren seit zweieinhalb Monaten nonstop durch ihren Wahlkreis. Über 10.000 Kilometer haben sie inzwischen zurückgelegt, 2.000 Plakate aufgehängt, an die 60 Mal den roten Pavillon und die Klapptische aus- und zugeklappt und in ihren Opel Corsa gestapelt.
An diesem Donnerstag sind sie morgens auf dem Marktplatz in Burglengenfeld. Der rote Pavillon ist schon aufgestellt, darunter breitet Kappl die Unterschriftenlisten für das Volksbegehren „Stoppt den Pflegenotstand“ aus, das die Linke gemeinsam mit Verdi und der SPD initiiert. „Haben Sie schon unterschrieben?“, fragt sie einen Mann, der seinen Hund Gassi führt. Der Mann schaut auf den Flyer mit dem Bild von der Eva und stutzt. „Der Landarzt Kappl, ist das …“, sagt er. „… ja, mein Vater“, ergänzt Eva Kappl. Der Mann unterschreibt.
„Noch einen Schreibblock?“, fragt Marius Brey, und der Mann nimmt auch den Block und dazu zwei Wahlkampfflyer. Das muss reichen, als Wink, die Linke zu wählen. „Es geht ja zunächst mal darum, den Leuten die Angst zu nehmen“, meint Kappl. Und wenn der Papa als allgemein geachteter Landarzt die goldene Brücke ist, über die die Leute in der CSU-Hochburg sich zum Wahlkampfstand der Linken leiten lassen, dann stellt man sich als 20-Jährige, die eigentlich längst in Berlin studiert, eben auch gern mal wieder als die Tochter vom Papa vor.
Mit den Grünen vom Stand nebenan ist sie per Du. Dem CSU-Bürgermeister, der vorbeikommt und sich erkundigt, wie es läuft, schüttelt sie die Hand – Berührungsängste gebe es nicht; wenn es gegen die AfD ginge, dann seien sie froh über jeden Demokraten. Und das Ordnungsamt genehmige inzwischen all ihre Anträge für Wahlkampfstände „ohne Auflagen wegen guter Erfahrungen“.
Kappl und Brey, die jungen bayerischen Linken, sind vor allem: pragmatisch. Eva Kappl trat 2015 in die Linkspartei ein, im gleichen Jahr wie Marius Brey. Sie war gerade siebzehn, er achtzehn. „Kann es nicht wenigstens die Grüne Jugend sein?“, fragten Kappls Eltern die Tochter.
Aber damals stimmten die Grünen im Bundesrat gerade für neue sichere Herkunftsländer und für Eva Kappl, die in ihrem Schwandorfer Gymnasium Flüchtlingen Nachhilfe in Deutsch gab, kam nur noch die Linke in Frage. Den Marius Brey kannte sie vom Bündnis gegen TTIP, der war gerade bei den Piraten ausgetreten und suchte nach einer neuen Partei. „Komm, lass uns das zusammen machen“, schlug er vor.
Und so traten sie einem Kreisverband bei, der vor drei Jahren nicht einmal genug aktive Mitglieder für einen Vorstand zusammenbekam. 71 Kreistage gibt es in Bayern, in gerade mal vier davon ist die Linke vertreten. Eine breite kommunale Verankerung sieht anders aus.
Im 200 Kilometer entfernten Schweinfurt dagegen, da ist die Linkspartei schon fast ein Institution. Hier sitzt man seit zehn Jahren in Fraktionsstärke im Kreistag, hier hat der einstige Bundesvorsitzende Klaus Ernst sein Wahlkreisbüro.
Schweinfurt ist die Wiege der bayerischen Linkspartei. Sie trafen sich 2004 zu Siebt im Naturfreundehaus, der Klaus Ernst war dabei, der Gerd Lobodda, der Thomas Hähnel, alle gestandene Gewerkschaftler, alle Männer, und weil ihnen Letzteres auch auffiel und es sonst blöd ausgesehen hätte, brachte der Händel noch seine Freundin mit zum Gründungstreffen. Sie nannten sich Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit und kritisierten die SPD, in der sie noch Mitglieder waren. Die SPD fand das nicht lustig und schmiss sie raus. Da gründeten sie eben einen neuen Verein.
Solide wie ’ne Trachtentruppe
Der ging 2007 in der neu gegründeten Linken auf. Auf dem neuen Parteinamen bestanden vor allem die Bayern, denn mit den Spinnern von der hiesigen PDS wollten sie nicht in Verbindung gebracht werden. Mit denen ärgerten sie sich auf Parteitagen herum, stritten stundenlang um Geschäftsordnungsanträge. Heute sind nur noch wenige Ex-PDSler dabei. „Solide wie ’ne Trachtentruppe“, sei die Partei heute, findet Ernst, der längst nach Berlin gegangen ist und seit 2009 im Bundestag sitzt.
Von Berlin ist er Anfang Oktober nach Bayern gebraust, um für seinen Landesverband Wahlkampf zu machen. Tags zuvor war er in Schweinfurt, wieder im Naturfreundehaus, zusammen mit Gregor Gysi. „Rappelvoll war es“, sagt Ernst und seufzt. „Wenn es überall so laufen würde …“
Jetzt ist er in Regensburg, 14 GenossInnen warten in einem Sportclub. „Bist mit dem Porsche gekommen?“, fragt einer den Ernst. Der schüttelt den Kopf. Nein, mit dem Audi.
Regensburg, das ist die Linke von vor zehn Jahren. Der Regensburger Linken-Stadtrat Richard Spieß ist der Mann, der hier alle hinter sich versammelt, ein Linken-Urgestein, Gründungsmitglied wie Ernst. Er wollte auf der Liste für den Wahlkreis Oberpfalz auf Platz 1, aber statt ihn wählten die GenossInnen lieber den 21-jährigen Marius Brey zum Spitzenkandidaten. Spieß ist nun auf Platz 13 gelistet.
Gerade erlebt die Bayern-Linke nämlich ihre nächste Generalüberholung, seit einigen Monaten treten verstärkt junge Leute ein, 800 sollen es allein seit der Bundestagswahl sein. Seit der Bayernwahl vor fünf Jahren ist der Altersdurchschnitt der Parteimitglieder um 10 Jahre gesunken. „Eigentlich bin ich ein Auslaufmodell“, sagt Klaus Ernst und zwinkert. Jetzt, wo die ganzen Jungen kämen, die nicht über Gewerkschaften politisiert worden seien. „Na, nicht ganz“, korrigiert er sich. „Wir brauchen alle, die Gewerkschaftler und die Jungen.“
Der Interessenausgleich klappt ganz gut. Die Bundespartei schickt ihre Promis nach Bayern auf Wahlkampftour: Die Oberpfälzer konnten wählen zwischen Bernd Riexinger und Sahra Wagenknecht. „Straubing hat die Sahra nicht gewollt, da haben wir den Riexinger abgegeben“, berichten die Regensburger. Beim Thema Einwanderung, da denken sie auch ähnlich.
Die Linken in Bayern ernst nehmen
Nun spricht Sahra Wagenknecht am Mittwoch auf dem Regensburger Haidplatz. Nach Schwandorf oder Cham, den Stimmkreisen von Eva Kappl und Marius Brey, kommt sie nicht. Kappl winkt ab. „Muss ja nicht sein.“ Die Äußerungen der Fraktionsvorsitzenden zur Einwanderung kommen bei den jungen Linken nicht gut an, die über Flüchtlingsinitiativen und soziale Bewegungen sozialisiert sind.
Der Kreisverband Mittlere Oberpfalz, den Brey und Kappl seit diesem Jahr gemeinsam leiten, hat inzwischen 60 Mitglieder, also doppelt so viele wie vor zwei Jahren. Eine solid-Gruppe, so etwas wie die Jugendorganisation der Linken, formiert sich gerade über Instagram. Evas Schwester ist Gründungsmitglied. Wenn man jung ist und ein bisschen rebellisch, ist die Linke in der Oberpfalz die erste Anlaufstation. Die Junge Union scheidet per se aus, und die Grünen, die seien schon zu tief drin im Arsch der CSU, finden sie.
Die solid-Gruppe in Gründung kommt am Abend zur Wahlkampfveranstaltung in die Wackersdorfer Rathausstuben, sieben Mädchen mit Kapuzenpullis oder kajalumrandeten Augen, die alle noch zur Schule gehen. Auch Kappls Eltern sitzen an einem der Wirtshaustische. Ja, sagt die Mutter, natürlich haben sie es anfangs gewöhnungsbedürftig gefunden, als die älteste Tochter bei der Linken eintrat. Nach kurzem Schweigen setzt sie nach: „Aber inzwischen habe wir uns sehr gut damit arrangiert.“
Es kann gut sein, dass Kappl und Brey es dieses Jahr nicht in den Landtag schaffen. Aber sie haben ja Zeit. In 30 Jahren wird Kappl so alt sein wie Natascha Kohnen heute. Auch der Ärger über die SPD, die ihr Plakat überklebt hat, ist inzwischen verraucht. Im Grunde täten ihr die Sozialdemokraten leid, sagt Kappl. Beschweren will sie sich trotzdem. Aus Prinzip.
Die Sozialdemokraten müssen sich so langsam mal daran gewöhnen, die Linken in Bayern ernst zu nehmen.
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