Die Existenz Putins infrage stellen: Ist der überhaupt echt?
Kreativer Widerstand: In Russland äußern vor allem Frauen öffentlich Zweifel daran, ob es sich bei Präsident Putin um nur eine Person handelt.
Es sind die letzten Stunden dieses Wahlwochenendes in Russland, doch mit Spannung erwartet niemand das Ergebnis. Nun ist klar, dass Putin seine fünfte Amtszeit antritt. Doch Zweifel werden laut: Putin, wer ist das eigentlich? Ist der überhaupt echt?
Diese Frage geistert durch die russischen sozialen Netzwerke. Besucht man die Seite der Suchmaschine yandex.ru, dann poppen unzählige Videos auf, in denen sich russische StaatsbürgerInnen im Vorfeld der Präsidentschaftswahl fragen, was für ein Konstrukt Wladimir Putin eigentlich ist. Kleine, untereinander nicht vernetzte Gruppen gehen bewusst an die Öffentlichkeit und verlangen nach einer Überprüfung der Identität Wladimir Putins.
So sind in einem Video sechs ältere Frauen vor der Tür des „Empfangsraums des Präsidenten der Russischen Föderation“ in Moskau zu sehen, die ihre Eingabe abgeben wollen, die an die zentrale Wahlkommission gerichtet ist. Falls sich herausstellt, dass Putin mehr als eine Person ist, muss man ihn von der Wahl ausschließen, ist ihre Forderung.
Sie stützen ihre Zweifel auf umfangreiche Recherchen. So haben sie Fotos von Putin aus den letzten 30 Jahren miteinander abgeglichen, genauso wie seine Unterschriften. Ihrer Ansicht nach weisen die festgestellten Unterschiede darauf hin, dass es sich um mehrere Personen handeln muss, die die Figur Wladimir Putins darstellen.
Putins Termine überlappen sich
Eine Aufstellung seiner absolvierten Termine, die sich, laut Aussage der Frauen, nicht selten überlappen, untermauert ihre Zweifel an seiner Identität. „Wir müssen wissen, wer in unserem Land an der Macht ist“, sagt eine ältere Frau und schaut dabei offensiv in die Kamera. „Wie viele Doppelgänger gibt es? Wer wählt sie aus? Und wer sind ihre Hintermänner?“ Sie spinnt ihren Gedanken weiter: „Wenn hier Doppelgänger regieren, dann kann leicht der Geheimdienst eines anderen Landes in Russland die Führung übernehmen.“
Eine andere Frauengruppe geht so weit, Wladimir Putin beim Inlandsgeheimdienst FSB als „ausländischen Agenten“ zu denunzieren. Akribisch zählt eine Frau um die 50 auf, wann und wo Putin ihrer Meinung nach seit 1993 gegen die Interessen Russlands gehandelt hat. Der Verkauf von Rohstoffen ins Ausland zählt für diese Frauen dazu, denn sie nehmen Putins Propaganda vom imperialen Russland beim Wort und offenbaren dabei ein protektionistisches Weltbild. Weitere Gruppen verknüpfen ihr Misstrauen gegen Wladimir Putin mit antisemitischen Verschwörungstheorien.
Interessant zu beobachten ist, dass in Putins repressivem Staat, der keine legale Opposition zulässt, zunehmend Frauen die Existenz des Alleinherrschers infrage stellen und sich so gegen ihn und sein Machtgefüge positionieren. Im Telegram-Kanal „Der Volkstribun“ gehen während der drei Wahltage im Sekundentakt Fotos ein, in denen Menschen in ganz Russland die Wahl öffentlich anzweifeln – weil die Auswahl der Kandidaten gelenkt war und weil Putins Identität im Vorfeld der Wahlen nicht eindeutig geklärt wurde.
Festgehalten ist das in einer „Willenserklärung“, die an die zentrale Wahlkommission adressiert ist. Diejenigen, die unterschreiben, fordern „die Aufstellung von Kandidaten aus dem Volk! Wir fordern freie Wahlen! Diese Wahl ist illegal.“ Eine erste ExpertInnenrunde fragt im „Volkstribun“: „Entsteht jetzt eine revolutionäre Situation?“ Jemand postet ein Gedicht und schreibt: „Wir wissen alles und doch schweigen wir. Mein Volk, steh auf, versteck dich nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen