Die Ampel und nukleare Teilhabe: Kein Wintermärchen
Die Ampelkoalition gibt der atomaren Bewaffnung eine Zukunft. Robert Jungk, Petra Kelly und Heinrich Böll wälzen sich in ihren Gräbern.
T eilhabe klingt gut, demokratisch-ökologisch. Und atomare Teilhabe? Share a nuke! Hey, es braucht doch nicht jeder seine eigene Bombe. Wenn es denn nur so amüsant wäre.
Erstaunlich geräuschlos hat sich die Ampelkoalition darauf verständigt, für die in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen neue Kampfflugzeuge anzuschaffen. Das heißt im Klartext: Diese Regierung gibt der Atombombe eine Zukunft. Denn Teilhabe bedeutet: Beim Luftwaffengeschwader in Büchel, Rheinland-Pfalz, liegen zwei Dutzend Bomben mit einer Zerstörungskraft, die als x-faches Hiroshima berechnet wird, und sie werden von deutschen Piloten im Kriegsfall Richtung Osten zum Einsatz gebracht. Bisher standen dafür Tornados bereit, die als veraltet gelten. Anstatt dies zum Anlass zu nehmen, die anachronistische Bewaffnung abzuschaffen, werden nun 45 extrem teure neue Jets gekauft, vermutlich in den USA.
Ich finde das gravierend, in mehr als einer Hinsicht. Und ich hätte erwartet, an der Basis von Grünen und Sozialdemokratie würde sich wenigstens ein Fünkchen Empörung zeigen. Immerhin wird im Grünen-Grundsatzprogramm von 2020 – nach damals heftiger Debatte – „ein zügiges Ende der nuklearen Teilhabe“ verlangt, und einige SPD-Spitzenpolitiker hatten noch im Wahlkampf den Abzug aller A-Waffen gefordert. Dies ist sozusagen die ästhetische Seite der Angelegenheit, der Beschiss an den Wähler:innen. Nun zum Inhalt und zur Zeitgeschichte.
Die ersten US-Nuklearwaffen kamen 1955 in die Bundesrepublik. Damals entstand die Anti-Atomtod-Bewegung, die älteste zivilgesellschaftliche Strömung für eine bessere Welt, die Mutter von vielem, was folgte. Ohne Namen wie Günther Anders (Jg. 1902) und Robert Jungk (Jg. 1913) wäre Petra Kelly (Jg. 1947) schwer denkbar gewesen, ohne Kelly nicht die heutigen Grünen. Deren parteinahe Stiftung ist nach Heinrich Böll benannt; bereits von Krankheit gezeichnet, ließ sich der Nobelpreisträger die Teilnahme an der Sitzblockade eines Raketenstandorts nicht nehmen.
hat sich als Reporterin vor allem mit muslimischen Gesellschaften befasst. Letztes Buch: „Der lange Abschied von der weißen Dominanz“.
Ich erwähne diese Überlieferungskette nicht nur, weil sie illustriert, wie weit sich heutige Protagonist:innen von jenem Geist entfernt haben, ohne den sie kaum auf die große Bühne gelangt wären. Sondern es scheint mir auch interessant, welche philosophischen Veränderungen damit verbunden sind. Aus der einstigen Infragestellung eines industriell-materialistischen Fortschrittsbegriffs wurde allmählich der Glaube an die technologische Machbarkeit der Quadratur des Kreises.
So wird es der Gesellschaft jedenfalls verkauft: Mit schlauen Konzepten ist alles vereinbar, Wohlstand und Klimaretten, Bleifuß und Verkehrswende, Pharmaprofite und Weltgesundheit. Kein Bruch, kein Konflikt, kein Zusammenstoß mit mächtigen Interessen. Keine Entscheidungen, zu denen die Allgemeinheit vielleicht in großen Debatten kommen müsste. Und bloß nicht das Wort Verzicht fallen lassen.
In diesem Konzept der Vereinbarkeit des Unvereinbaren ist die Vokabel Klimaschutz zu einer Art Abdeckfolie geworden, unter der sich alles Mögliche verstauen lässt, während ständig der Eindruck erzeugt wird, hier werde gerade die Menschheit gerettet. Da lassen sich dann sogar nuklearbewehrte Kampfjets unterbringen – als wären Militär und Rüstungsproduktion nicht Klimakiller ersten Ranges. Und eine Außenpolitik, die sich auf Klimaschutz, Werte, gar Feminismus beruft, passt nun irritierend gut in den Nato-Kurs gegen China und Russland.
Ein gewisser Antimilitarismus gehört zu dem wenigen, was sich von zwei verlorenen Weltkriegen im deutschen Massenbewusstsein niedergeschlagen hat. Umfragen zeigen kontinuierlich, wie viele mit dem antirussischen Kurs der Nato nicht einverstanden sind; dennoch hat friedenspolitisches Denken kaum eine Öffentlichkeit jenseits von Youtube-Kanälen, wo es in die unappetitliche Nähe zum „Querdenker“-Milieu gerückt werden kann. Aber es hat nichts mit rechtem Putin-Verstehertum zu tun, von einer Fortschrittskoalition zu erwarten, dass sie sich für eine europäische Friedensordnung einsetzt, die Russland einbezieht.
Gerade weil der Fortschrittsbegriff dieser Regierung wenig Substanz hat, muss das Ganze zu einem Projekt stilisiert werden, das gleichsam über sich selbst hinausweist. Eine SPD, die mit einem Viertel der Wählerstimmen und mit nur einem Prozentpunkt Vorsprung gegenüber der Union den Kanzler stellt, ruft nun ein sozialdemokratisches Jahrzehnt aus. Als wäre sie nicht mehr die identitätslose Schwurbelpartei von vor vier Monaten.
Eine Äußerung von Olaf Scholz klingt mir besonders im Ohr. „Wenn wir es nicht machen, wer soll es dann von uns lernen?“ Welch Selbstüberhöhung. Die Ampel ist eine Weltlaterne, hell erscheint sie über dem Globus, und alle Gesichter werden sich ihrem Glanze zuwenden: Seht nur, die Deutschen!
Sie werden „Europa zu einem Kontinent des nachhaltigen Fortschritts machen“ (O-Ton Koalitionsvertrag), und durch „europäische Standards setzen wir Maßstäbe für globale Regelwerke“. Wenn alle Welt in der Flüchtlingspolitik das EU-Regelwerk zum Maßstab nehmen würde, dann stünde der Planet in Flammen. An der polnisch-belarussischen Grenze standen 0,005 Prozent der derzeit global Flüchtenden, und Babys mussten erfrieren. Ich hoffe inständig, dass die Toleranz südlicherer Länder ein Maßstab werde.
Was haben wir sonst noch im Repertoire für das Scholz'sche Diktum, dass andere von uns den Fortschritt lernen? Faschistoide Fackelmärsche, vergraulte Pflegekräfte, Wahnreden, in denen Ungeimpfte mit armenischen Völkermordopfern verglichen werden, aggressives Gemäkel, während wir im Impfstoff schwimmen, den andere nicht bekommen dürfen. Kein Wintermärchen gerade, dieses Deutschland. Aber an unserer Ampel wird die Welt genesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“