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Deutschlands KlimabilanzUnverdiente Krisengewinner

Susanne Schwarz
Kommentar von Susanne Schwarz

Ohne Pandemie und Krieg hätte Deutschland seine Klimaziele in den letzten Jahren gerissen. Die Regierung will ihre Verantwortung sogar noch aufweichen.

Reicht nicht für die Klimabilanz: Kleingartenidyll vor Industriekulisse in Duisburg Foto: Olaf Döring/imago

D eutschland kriselt sich durch seine Klimaschutz-Verpflichtungen. Erst blieben durch die Coronapandemie alle zu Hause und die Wirtschaft stand still, dann fuhr die Industrie ihre Produktion massiv zurück, weil das russische Erdgas knapper wurde und schließlich ausblieb. Ohne solche Zwangslagen hätte Deutschland in den vergangenen Jahren immer wieder sein Klimaziel gerissen. In einzelnen Bereichen, nämlich beim Heizen und seit 2021 auch beim Verkehr, war das ohnehin der Fall – konnte aber rechnerisch ausgeglichen werden, weil eben krisengebeutelte Unternehmen nicht liefen und entsprechend wenig emittierten.

Und wo wir gerade dabei sind: Einen nennenswerten Anteil der bisherigen CO2-Einsparung seit 1990 hat der Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft nach der Wende aus Versehen mitgeliefert. Man könnte daraus schließen, dass Degrowth der einzige verlässliche Weg aus der Klimakrise ist. Wenn die Wirtschaft schrumpft, gehen die Emissionen zurück – das ist gut nachgewiesen. Aus ebendiesem Grund beschäftigen sich viele Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen damit, wie eine Welt ohne das bisherige Wirtschaftswachstum aussehen könnte. Also eine gezielt gesundgeschrumpfte Welt sozusagen, ohne den Krisenfaktor.

Pragmatisch gesehen gehört Postwachstum aber schlicht nicht zu den Zielen der Ampelregierung – Klimaschutz hingegen sehr wohl. Und daran muss sie sich messen lassen. Stattdessen will die Bundesregierung ihre Verantwortung aktuell eher aufweichen. Auch wenn noch nicht alle Details klar sind: Künftig soll nicht mehr je­de:r Bun­des­mi­nis­te­r:in jedes Jahr persönlich dafür zuständig sein, etwaige Klimaverfehlungen seines Ressorts mit einem Sofortprogramm auszugleichen.

Wenn die Ampel das Klimaschutzgesetz wie geplant reformiert, gibt es bald nur noch eine sektorübergreifende und mehrjährige Gesamtrechnung beim Klimaschutz. Dann könnte die Regierung theoretisch mehr Klimaschutz im Energie- oder Industriesektor durchsetzen und dadurch Lücken beim Verkehr oder beim Heizen ausgleichen.

Der Expertenrat für Klimafragen, ein von der Bundesregierung selbst einberufenes Gremium, hat aber Zweifel: „Eine mögliche Aufweichung der ausdrücklichen Ressortverantwortung sowie die verschiedenen Überlegungen zur Änderung des Steuerungsmechanismus im Klimaschutzgesetz erhöhen das Risiko für zukünftige Zielverfehlungen“, sagte die Physikerin Brigitte Knopf, Mitglied des Rats. Das sollte die Regierung sich zu Herzen nehmen. Ein Gutachten des Gremiums zeigt: In einem Jahr ohne kleinere Wirtschaftskrise gibt es keinen Spielraum, um die Mängel bei Verkehr und Heizen auszugleichen.

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Susanne Schwarz
Leiterin wirtschaft+umwelt
Jahrgang 1991, leitet das Ressort Wirtschaft + Umwelt und schreibt dort vor allem über die Klimakrise. Hat ansonsten das Online-Magazin klimareporter° mitgegründet.
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21 Kommentare

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  • Degrowth ist gut! Fangt schon mal damit an, ihr Wasserprediger

  • Was hätte Peer Steinbrück gesagt:

    "Hätte, hätte, Fahrradkette"

  • x.y Grad ist kein Ziel. Das ist nur eine abstrakte Zahl, die keine konkreten Forderungen beinhaltet.

    5 Windräder pro Tag neu aufbauen ist ein Ziel. Erst dann kann man sich fragen wieso es in DE nur eines ist.

    Abstrakte Forderungen machen es sich einfach und mogeln sich mit ihrer einfachen Moral aus dem wirklichen Leben heraus.

  • Produktionsrückgang.

    Weniger Wachstum nennt man das auch. Das ist doch genau das, was die antikapitalistischen Klimaktivisten wollen. Warum wird das nicht gefeiert?

  • Die Sektorziele haben dazu geführt, dass die Politik ihr Heil darin gesucht hat, möglichst jeden Energiebedarf in den Stromsektor zu verschieben. Was letzlich netto keinerlei CO2-Einsparungen gebracht hat.



    Die Aufweichung der Sektorziele eröffnet die Chance auf eine realistischere Beurteilung. Dass CO2 dort eingespart wird, wo dies möglich ist.

  • Klimaziele erreicht durch Produktionsrückgang und die deutsche Wirtschaft überlebt. Vielleicht haben wir auch einfach eine Überproduktion. Der Arbeitsmarkt läuft und die Preissteigerungen währen ohne Mitnahmeeffekte milder verlaufen. Für die Einkommensschwachen ist es scheiße aber das ist eine politische Entscheidung. Der Staat ist nicht pleite sondern sträubt sich gegen Umverteilung.

  • Wenn man zeitlich völlig unrealistische Ziele formuliert macht man kurzfristig einen guten Einruck und wird mittelfristig von der Realität eingeholt. Der Volksmund sagt dazu: "Lügen haben kurze Beine". Träumt weiter...die können es nicht.

    • @Nachtsonne:

      Sie, nein, wir alle, müssen es aber. Das Budget zum Überschreiten der 1,5°-Grenze wird in gut 6 Jahren überschritten, das der 2°-Grenze wäre mit dem dezeitigen Emission in 24 erschöpft. Und mit dieser Grenze wird dann auch die Möglichkeit zur Anpassung an die Klimaveränderung überschritten. Der Preis keinen ausreichenden Klimaschutz zu implementieren wird dementsprechend extrem hoch sein.

      • @Ingo Bernable:

        Alles gut Ihre Aufstellung bzw. Aufzählung, das ändert dennoch zumindest nicht meine Einstellung.



        Natürlich bin ich in meinem Rahmen bereit einen Beitrag zum Klimarettungsschutz beizutragen. Wir lassen uns eine Wärmepumpe zu unserer Gasheizung als Hybridlösung einbauen. Wechseln unseren Fuhrpark in Schritten auf E-Fahrzeuge.



        Aber was ich/wir keinesfalls machen werden sind.



        - Vegitarier oder Veganer zu werden



        - Aufs Fahrrad oder gar ZuFuß als Fortbewegung wechsel. Seit dem 15 Lebensjahr bewege ich mich motorisch und das wird auch so bleiben.



        - Urlaubsreisen werden wir weiterhin machen und dabei auch zu unseren Lieben nach Übersee fliegen.



        - Und zu guter Letzt, werde ich keinesfalls meine Wohnfläche durch Tausch/Wechsel reduzieren.

        Selbstverständlich auf demokratische Weise durch die Teilnahme an den Wahlen mit entsprechenden Kreuzchen!

        • @BundesbürgerIn:

          Mit diesem Maß an 'Bereitschaft' zum Klimaschutz werden wir die Grenze der Anpassungsmöglichkeiten allerdings bei Weitem verfehlen. Mittel- bis langfristig bedeutet das konkret, dass unsere politischen, sozialen, ökonomischen Systeme den sich akkumulierenden und wechselseitig verschärfenden Folgen der Klimakatastrophe irgendwann nicht mehr standhalten und kollabieren, es also keine High-Tech-Industrie mit komplexen Lieferketten und Produktionsprozessen mehr geben wird, keinen demokratischen Wohlfahrtsstaat der vollkaskomäßig alle relevanten Lebensrisiken absichert, sondern brutal ausgetragene Konflikte um die verbliebenen Resourcen, wie Wasser, Nahrung und noch fruchtbares Ackerland. Die Frage zu welchem Verzicht man bereit ist, wird sich dann einfach nicht mehr stellen.

          • @Ingo Bernable:

            Bundesbürgerin spricht mehr Punkte an als die LG mit ihrer einsamen Forderung nach 9€ Ramschpreistickets für den ÖPNV (statt Ausbau desselben zu fordern). Die Entscheidung für welchen Weg ich mich da entscheiden würde ist da einfach.

          • @Ingo Bernable:

            Bei allem gebotenen Respekt das ist aus meiner Sicht komplett an den Haaren hergezogen.



            Zum Einen wird es in den nächsten Jahren unweigerlich eine deutliche Reduzierung der CO² Werte kommen, aufgrund des Zertifikatehandel.



            Zum Anderen wird in dem zur Verfügung stehenden CO² Budget die Gleichverteilung zwischen Industriestaaten und Entwicklunsländer zum Ansatz gebracht.



            Ich verstehe überhaupt nicht warum dies gemacht wird obwohl es völlig illusorisch ist.



            Die Entwicklungsländer hatten in der Vergangenheit immer viel weniger Industrie und Konsum und das wird sich auch nicht in der Zukunft ändern, wo soll der auch herkommen. Somit sieht unser Budget weit besser aus.



            Darüber hinaus macht es überhaupt keinen Sinn die gleiche fossile Infrastruktur in den Ländern des globalen Südens aufzubauen.



            Des weiteren sehe ich auch beim Thema Fleischkonsum nicht das Problem. Auch hier wird unser hoher Verbrauch nicht automatisch in den Entwicklungsländer ansteigen.

            Natürlich gibt es natürlich auch immer konflikte über Resourcen, nicht nur Weltweit, sondern auch in unserem Land und den gilt es anzunehmen und bestmöglichst zu bestehen. Dies ist die Aufgabe unserer gewählten MinisterInnen, die schließlich Ihren Amtseid "Zum Wohle des deutschen Volkes" ablegen.

            • @BundesbürgerIn:

              "Bei allem gebotenen Respekt das ist aus meiner Sicht komplett an den Haaren hergezogen."



              Das IPCC sieht uns, selbst wenn alle(!) beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt würden 2100 bei +2,8°, also weit jenseits der Grenze bei der noch eine Anpassung möglich wäre und die Erwärmung wird im Jahr 2100 dann ja auch nicht einfach aufhören. Allerdings sprechen neuere Prognosen, etwa in Bezug auf das grönländische Eisschild, recht deutlich dafür, dass selbst diese Prognose noch deutlich zu positiv ist und wir die kritische Marke bereits Mitte des Jahrhunderts überschreiten werden.



              "Zum Anderen wird in dem zur Verfügung stehenden CO² Budget die Gleichverteilung zwischen Industriestaaten und Entwicklunsländer zum Ansatz gebracht."



              Vielleicht ist ihnen dieser Begriff nicht so ganz geläufg, aber man nennt es "Gerechtigkeit". Das bedeutet, dass man eben nicht davon ausgeht, dass die derzeitige höchst ungleiche Verteilung von Reichtum und Wohlstand zwischem globalem Norden und Süden auf Ewig so fortbestehen soll. Demgegenüber nennt man die Sichtweise, dass die Menschen im globalen Süden eben einfach nicht dazu in der Lage sind Industrie und Wohlstand aufzubauen und sowieso von Natur aus viel lieber rohes Gemüse als Bratwurst essen "Kolonialismus".

  • "Ohne solche Zwangslagen hätte Deutschland in den vergangenen Jahren immer wieder sein Klimaziel gerissen"

    Im Umkehrschluss zeigt das: Durch reines Sparen lassen sich die Klimaziele nur erreichen, wenn wir uns einschränken wie in massiven Krisen. Das wird nicht machbar sein.

    Stellen Sie sich vor, die Regierung würde wegen des Klimas Lockdowns und Rationierungen vorschreiben, dann hätten wir ganz schnell einen Riesenaufstand.

    Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, ohne im Dauerkrisenmodus zu verarmen, müssen wir nicht das Fahren, Wohnen, Arbeiten, Essen ändern, sondern die Art der Energiegewinnung für unser Leben. Sprich Erneuerbare, aber auch Atom, um schneller aus den Fossilen herauszukommen.

    Ich warne aber davor, Arbeiterschließfach, Lastenrad und Tofu als Lösung etablieren zu wollen. Dann wären Querdenkerdemos nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was im Land passieren wird.

    • @Gorres:

      Haben sie auch Vorschläge wie Klimaschutz ohne Einschränkungen und Konsumreduzierung funktionieren kann oder gehen sie davon aus, dass jährliche Katastrophen wie der im Ahrtal, ständigen Dürren, Missernten, Nahrungsmittel- und Trinkwasserknappheit sozial und politisch folgenlos bleiben werden?



      Klimaneutralität wäre etwa auf dem Lebensstandard der 70er-Jahre möglich. Das scheint doch, inbesondere angesichts der Alternative, durchaus vertret- und zumutbar, zumal es global betrachtet sogar für viele Menschen noch eine Verbesserung ihres Lebensstandards erlauben würde.

      • @Ingo Bernable:

        "Haben sie auch Vorschläge wie Klimaschutz ohne Einschränkungen und Konsumreduzierung funktionieren kann"

        Solche Fragen wurden längst beantwortet. Z.B. statt jährlich ein Wegwerfhandy zu konsumieren ein gutes langfristig nutzbares zu konsumieren.

  • Der gleiche Kanzler, der kürzlich federführend dafür gesorgt hat, dass die Sektorziele im Klima Gesetz abgeschafft werden, stellt sich nun auf der Hannover Messe vor die Kameras und verkündet: "die Zeichen stehen auf Klimaneutralität".

    Nö..tut mir leid aber dieser Kanzler hat in meinen Augen jede Glaubwürdigkeit in Sachen Klimaschutz verloren..

    Vielleicht ist das so, wenn man in seinem politischen Tagesgeschäft einen Großteil seiner Zeit mit Industrielobbyisten verbringt...

    Eben darum stellt die Idee, Klimaräte ins Leben zu rufen, eine sinnvolle Option dar. Wohlgemerkt: Räte..also Gremien in beratender Funktion, die aber eben nicht in politischer Betriebsblindheit den Kontakt zur Realität verlieren...

    Und die bisherigen Erfahrungen mit Bürgerräten zeigen, dass in solchen Gremien sehr verantwortungsvoll gearbeitet wird und die Ergebnisse den Diskurs deutlich bereichern können.

    Wahrscheinlich würden die Ergebnisse dieser Gremien so manchem Politiker sogar als Rückendeckung und Argumentationshilfe dienen...

    • @Wunderwelt:

      Beratende Gremien sind gut.



      Aber.



      - Die Regierung hat schon solche Gremien. ZB das welches heute über die Fortschritte berichtet hat. Nutzen? Wenig.



      - Daher fordert LG Räte, deren Beschlüsse von der Regierung umgesetzt wird. Das könnte funktionieren, ist aber demokratisch bedenklich.

      Mal ne andere Frage, haben andere Länder eigentlich auch so Jahresziele?

      • 3G
        32051 (Profil gelöscht)
        @fly:

        Genau das ist der Punkt.

        Es gibt genug Beratungsinstitutionen.

        Außerdem hat die Ampel einen "Bürgerrat" ins Leben gerufen - die "LG" will aber einen ", Gesellschaftsrat".

        Judäische Volksfront vs Volksfront von Judäa

      • @fly:

        Die Idee ist so was von bescheuert mit dem Bundestag überstimmen. Einmal Pech gehabt bei der "Ratswahl" per Los. Und gute Nacht. Brauch wahrscheinlich nicht mal viel Pech.

        "Der Bundestag hat zu bestimmen, dass wir von Gottes Gnaden auf Lebenszeit diese Position innehaben. Der Bundestag hat zu bestimmen, dass die Gehälter bei 10 Mio pro Jahr anfangen, eponentielle Steigerung nicht ausgeschlossen...." xDxDxD

        Und daran, dass es noch einen Bundesrat gibt, dafür hats bei der Politikbildung der LG wohl auch nicht gereicht. Naja egal, wird der halt auch überstimmt.

      • @fly:

        "Daher fordert LG Räte, deren Beschlüsse von der Regierung umgesetzt wird."

        Sehr naiv. Was, wenn diese ausgelosten Räte eine repräsentative Abbildung der Bevölkerung ist? Also mit 15% Grünen-Anhängern?

        Also, wenn ich in so einen Rat gelost werde, dann werde ich auf mehr Parkplätze, weniger Radwege, weniger Tempolimits, weniger Bauverdichtung und dafür auf Ladeinfrastruktur, Windräder und Solarziegeldächer drängen.