Deutschland vor Warnstreiktag: Arbeitgeber gegen Gewerkschaften
Millionen Reisende und Pendler in ganz Deutschland werden am Montag vom Warnstreik im Verkehr betroffen sein. Das führt zu Kritik.
An diesem Montag soll der Verkehr umfassend lahmgelegt werden. Der beispiellose Warnstreik umfasst den Fern-, Regional- und S-Bahnverkehr auf der Schiene, den kommunalen Nahverkehr, viele deutsche Flughäfen, die Wasserstraßen und Häfen sowie Autobahnen. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und Verdi kämpfen für mehr Einkommen in unterschiedlichen Tarifrunden.
Spediteure und Handel fordern mehr Flexibilität für Transporte bereits am Wochenende. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE, Stefan Genth, sagte: „Im Vergleich zu der teilweise dramatischen Lage gerade zu Beginn der Pandemie sind die Auswirkungen des anstehenden Streiks eine verkraftbare Herausforderung.“ Trotzdem wäre es sinnvoll, das Sonntagsfahrverbot für dieses Wochenende aufzuheben und der Logistik zu ermöglichen, einige Transporte vorzuziehen. Die Logistikbranche warnte vor einem „Versorgungschaos“ und forderte ebenfalls die Aufhebung des Lkw-Fahrverbots am Sonntag.
Der Airline-Verband Barig kritisierte das Vorgehen der Gewerkschaften als „verantwortungslos“. Lufthansa-Passagiere müssen sich bereits am Sonntag auf erhebliche Ausfälle einstellen. Am Flughafen München finden schon an dem Tag – abgesehen von humanitären Flügen – keine Lufthansa-Flüge statt, wie die Airline mitteilte. Hinzu kommt am Montag Deutschlands größter Flughafen Frankfurt.
Die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, Karin Welge, rief die Gewerkschaften zu konstruktiven Zeichen für die am Montag beginnende dritte Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes auf – neben den Tarifgesprächen bei der Bahn entscheidender Hintergrund für die Warnstreiks. „Die Gewerkschaften sollten aufpassen, dass sie nicht überziehen“, sagte Welge.
Scharfes Schwert Streikrecht
Kampeter mahnte, der Kampf um Mitglieder dürfe die Tarifautonomie in Deutschland nicht radikalisieren. „Ein Blick nach Frankreich zeigt, wohin es führt, wenn man sich auf die schiefe Ebene begibt.“ In Frankreich wird vergleichsweise häufig gestreikt – zuletzt besonders heftig gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron.
Der EVG-Chef sagte zum Streikrecht, „es ist ein scharfes Schwert, mit dem wir auch sehr verantwortungsvoll umgehen“. In Deutschland gebe es im Vergleich zu anderen Ländern wenige Streiktage. In Frankreich gehe es um politische Streiks mit politischen Forderungen, was es in Deutschland nicht gebe, sagte der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im Deutschlandfunk. Im Tarifkonflikt von EVG und Verdi gehe es um Forderungen für Bezahlung und Tarifverträge. Mit Blick auf den gemeinsamen Warnstreik mit Verdi nannte es Burkert „sicherlich historisch, dass wir zeitgleich das Momentum haben, dass wir in schwierigen Tarifverhandlungen stehen“.
Kein Vergleich mit Frankreich
Das Recht zur Bildung von Gewerkschaften steht in Deutschland im Grundgesetz, das auch einen besonderen Schutz für Arbeitskämpfe vorsieht. In Frankreich haben Streiks eine andere Stellung als in Deutschland und finden häufiger statt. Das Streikrecht ist liberaler: Streiks gibt es nicht nur im Rahmen von Tarifverhandlungen, und oft geht es um politische Ziele. Anders als in Deutschland gibt es zudem zahlreiche hochpolitische Richtungsgewerkschaften, die um Einfluss buhlen und dabei verstärkt auf die Macht der Straße setzen.
Die starke Beteiligung an Streiks und Protesten und auch die etwas kämpferischere Haltung in Frankreich geht auch darauf zurück, dass das Land die jahrhundertelange Erfahrung hat, dass soziale Bewegungen erfolgreich sein können. Konflikte prägen den politischen Diskurs und auch das Verhältnis von Arbeitgebern zu Arbeitnehmern stärker.
Ungewöhnlich am geplanten Warnstreiktag von EVG und Verdi ist, dass er sich mit den Verhandlungen überschneidet – nämlich der in Potsdam beginnenden dritten Runde für die 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen. Rechtlich ist das Vorgehen aber möglich, wie Thorsten Schulten vom Institut WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung der Deutschen Presse-Agentur sagte.
Denn die Friedenspflicht endete mit dem Auslaufen des bisherigen Tarifvertrags. Auch einem großangelegten Warnstreik mitsamt Überschneidung von zwei Tarifbereichen steht nach Einschätzung von Schulten nichts im Weg. Die Arbeitgeber sehen in dem umfassenden Ausstand die rechtlichen Grenzen zumindest ausgereizt.
„Großstreik ist kein Warnstreik“
Kampeter kritisierte: „Großstreiks, die ein Land lahmlegen sollen, sind keine Warnstreiks.“ Der Chef des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), Markus Jerger, sagte: „Unternehmen und Bevölkerung dürfen nicht in Geiselhaft genommen werden für Forderungen, die in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation nicht zielführend sind.“
Stillstand soll infolge des umfassenden Warnstreiks am Montag wohl fast überall im öffentlichen Verkehr herrschen. Die Bahn stellt den gesamten Fernverkehr ein. Auch im Regionalverkehr werde „größtenteils kein Zug fahren“. Betroffen sind viele Airports – etwa die Flughäfen Frankfurt und München. In sieben Bundesländern soll der Nahverkehr stillstehen. Auch wichtige Wasserstraßen sollen bestreikt werden.
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