Deutschland in der Krise: Der rechte Moment
Auf zehn Jahre Wirtschaftswunderland Deutschland folgt nun das Ende des Booms. Für kommende Verwerfungen liegen die Instrumente schon bereit.
Die Krise ist da, die Wirtschaft schrumpft im zweiten Quartal, die Rezession kratzt an der Tür – aber keine Bange: Deutschland ist bestens vorbereitet!
Rechtzeitig zur anstehenden Aufstandsbekämpfung haben die Bundesländer die Gesetze verschärft. Wenn demnächst die arbeitslosen Massen aufmarschieren, können Polizisten dank Präventivhaft nicht erst bei schon geplünderten Lebensmittelgeschäften einschreiten, sondern bereits wenn derartige gewaltsame Umverteilungen sich auch nur abzeichnen. „Vor die Lage kommen“, nennen das Sicherheitspolitiker: Dass die Polizei flächendeckend mit Rechtsradikalen bestückt ist, darf, wenn hartes Hinlangen gefragt ist, als weiterer Pluspunkt gelten.
Auch für das sich abzeichnende große Gerangel um die sogenannten Billigjobs – etwa: Tiere töten, alte Menschen pflegen oder als Online-Malocher Content ins Internet schaufeln – hat Deutschland die Instrumente parat. Wenn diese mies bezahlten, die Menschen in die Invalidität oder in den Burn-out treibenden Tätigkeiten nicht mehr nur vor allem für Migranten, Frauen und andere Minderheiten „attraktiv“ sind, sondern von den Mehrheitsdeutschen nachgefragt werden – dann sind alle Mechanismen schon eingeübt, um die Gesellschaft rassistisch zu spalten.
„Deutsche zuerst“ wird es dann nicht mehr nur vonseiten der krisengeilen AfD heißen, der „modernisierten Form der NPD“, (Amadeo Antonio Stiftung): Auch die anderen Parteien und Lobbyorganisationen werden je nach Interessenlage und Schamgrenze auf das in den letzten Jahren vollständig ausgebildete Geflecht von völkischen Ideen zurückgreifen können.
„Greta-Gedöns und Plastiktüten-Palaver“
Wer das nun alles für Satire oder Zynismus hält, der lese etwa das Buch „Gegenrevolution. Der Kampf der Regierungen gegen die eigenen Bürger“ von Bernard E. Harcourt – hier werden die schon weiter vorangeschrittenen Widersprüche des Herrschaftssystems im US-Kontext analysiert; historisch wird man auf die gerade zur rechten Zeit im Berliner Verbrecher Verlag neu aufgelegte Untersuchung von Zeev Sternhell verweisen dürfen: In „Faschistische Ideologie. Eine Einführung“ stehen Sätze, die einen nicht kalt lassen können.
Denn diese Ideologie war bereits Jahrzehnte vor der Machtübernahme der italienischen Faschisten und deutschen Nationalsozialisten ausformuliert, sie wartete sozusagen nur auf den rechten Moment: „Woran es dem frühen National-Sozialismus noch mangelte, das waren die sozialen Rahmenbedingungen, die ihn in eine wirkliche politische Kraft umformen würden, denn bislang gab es noch keine große Zahl an Arbeitslosen und verängstigten Kleinbürgern und keine machtlosen Mittelschichten.“
In einem der Leib-und-Magen-Blätter ebenjener rabiat-verängstigten Mitbürger, dem Münchner Merkur, zeigt ein aktueller Kommentar schon, wohin die Reise geht: „Merkel-Habeck-Söder-Land vor dem großen Knall“ heißt es da. Vor lauter Greta-Gedöns und Plastiktüten-Palaver habe dieses Land „keinen Bock“, sich auf die „handfeste Rezession“ einzustellen, auf den absehbaren Sturz der Merkel-Regierung, den Kantersieg der AfD im Osten, auf die Bedrohung „unserer“ Handelswege in der Straße von Hormus.
Festungen sturmsicher machen
Doch wo die neue Härte beschworen wird, muss man nicht den Kopf in den Sand stecken. Es gibt sie ja, die emanzipatorischen Antworten auf die kommenden, von der nicht mehr zu verhindernden Klimakrise verschärften Verteilungskämpfe. Fatal wäre eben nur, den brutalen Beharrungswillen in den westlichen Gesellschaften zu unterschätzen: Der US-Autor Douglas Rushkoff hat im vergangenen Jahr ebendiese Verblüffung nach einem Besuch bei Superreichen geschildert.
Die sind nicht mehr an Lösungen für die ganze Menschheit interessiert, sondern sie fragen den Zukunftsforscher ausschließlich nach den besten Methoden, ihre Festungen sturmsicher zu machen, in die sie sich bei Eintreten der Apokalypse zurückzuziehen gedenken.
Auch der britische Autor und Journalist Paul Mason warnt aktuell vor der „klassischen Allianz der Elite mit dem Mob“. Das Problem sei, sagt Mason, dass diese Allianz „nur eine Art des Zugriffs auf die Geschichte kennt, und die heißt Destruktion“. Damit sollten wir uns eigentlich noch alle gut auskennen, in Deutschland.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss