piwik no script img

Buch zur US-InnenpolitikDie Logik der Aufstandsbekämpfung

Keine Unterschiede? Bernard Harcourt stellt die drei letzten US-Präsidenten in eine Reihe. Was sie eint? Der autoritäre Verdacht gegen die eigenen Bürger.

Gerüstet für den Krieg: schwerbewaffnete US-Polizisten bei Protesten in Ferguson 2014 Foto: imago images/xinhua

Die Dynamik des öffentlichen Interesses an der Administration Donald Trumps verläuft seit dessen Wahl im Dezember 2016 vergleichbar mit dem Ausschlag eines Seismografen in einer Region, die regelmäßig und erwartbar von Erdbeben heimgesucht wird. Trump twittert, erlässt ein Dekret oder greift verbal daneben – die mediale Erregung ist groß, eine Welle der Empörung schlägt hoch. Dass Empörung als unmittelbarer Affekt jedoch nicht zwingend mit einer tiefgehenden Analyse daherkommt, ist eine Beobachtung, die der prominente US-amerikanische Rechtswissenschaftler und im Kampf gegen die Todesstrafe vielfach profilierte Anwalt Bernard Harcourt an den Beginn seines kürzlich veröffentlichten Buches „Gegenrevolution. Der Kampf der Regierungen gegen die eigenen Bürger“ stellt.

Harcourt legt eine scharfe und überraschende Analyse der derzeitigen US-amerikanischen Regierungsverhältnisse vor, die die bekannte und oftmals oberflächliche Kritik an der Trump-Administration weit übersteigt. Seine These ist, dass Trump lediglich den peinlichsten Höhepunkt einer antidemokratischen Entwicklung in den Vereinigten Staaten bildet, in deren Kontinuität bereits auch George W. Bush und Barack Obama standen.

Diese Entwicklung, so beschreibt es Harcourt in aufschlussreichen Detailanalysen, ist die Tendenz der Normalisierung einer Ausnahmesituation. Militärische, aber auch zivile und somit politische Strategien der Aufstandsbekämpfung von Seiten der Regierung finden sich inzwischen als innenpolitisches Paradigma in den Vereinigten Staaten wieder. Harcourt zeichnet nach, wie das Wissen und die Theorie über die geeigneten Methoden der Aufstandsbekämpfung einst aus dem kolonialen Algerienkrieg Frankreichs in den 1950er Jahren von den nordamerikanischen Militärakademien importiert wurde. Und auch, wie sich rund um die Entwicklungen nach dem 11. September 2001 allmählich eine Verschiebung hin zum Einsatz der Aufstandsbekämpfung auch im innenpolitischen Bereich ergab.

Harcourts Beweisführung ist reich an Exempeln und Illustrationen. „Waterboarding und sarggroße Arrestkisten, Drohnenschläge außerhalb konventioneller Kriegsgebiete“, auch eine „geheime Infiltration amerikanischer Moscheen und muslimischer Studentengruppen“ durch das New York Police Department, im Buch durch geleakte polizeiliche Überwachungsprotokolle dokumentiert, markieren einen Übergang hin zu einer Form des Regierens, bei der ein Freund-Feind-Schema innerhalb des nationalstaatlichen Rahmens auf die eigene Bevölkerung projiziert wird. Als Feind fungieren situations- und kontextspezifisch die abstrakten Gruppen der amerikanischen Muslime, mexikanischstämmige Amerikaner oder afroamerikanische Demonstranten. Regieren wird zur Aufstandsverhinderung, Gefahrenabwehr und Vorbeugung mit militärischen, geheimdienstlichen und ideologischen Mitteln.

Moderne Kriegsführung gegen die Bevölkerung

Für seine Analyse dieses kontrainsurgenten Regierungsparadigmas schaut Harcourt in die wissenschaftlichen Handbücher moderner Kriegsführung. Er liest die Grundwerke der Theorie der Aufstandsbekämpfung, um auch abstrakt zu verstehen, was er meint im eigenen Land schon seit Langem als sich abzeichnende Tendenz zu erkennen. Die Kernstrategie der staatlich geführten Aufstandsbekämpfung versteht er als eine Abfolge von drei ineinander verzahnten Elementen.

Erstens sei dies die totale Informiertheit: „Jede Kommunikation, sämtliche persönlichen Daten, alle Metadaten eines jeden in der Bevölkerung, müssen gesammelt und analysiert werden.“ Zweitens gelte es, innerhalb der Bevölkerung die sogenannte aktive Minderheit auszumachen und festzusetzen. Große Aufmerksamkeit müsste lehrbuchgemäß drittens der Gesamtbevölkerung, der „passiven Mehrheit“, entgegengebracht werden, insofern als ihre Gefolgschaft und Loyalität, ihre „Herzen und Hirne“ wie Harcourt es formuliert, gewonnen werden müssen.

Der Rechtswissenschaftler zeichnet ein Kriegsparadigma, das im absoluten Gegensatz steht zu dem Modell der großräumigen Kriegsführung des 20. Jahrhunderts und das inzwischen innen- ebenso wie außenpolitisch Einsatz findet und über den militärischen Bereich hinausgeht. Überwachungsmaßnahmen wie etwa die kurz nach dem 11. September vom Senat erlassene Section 215 des Patriot Act, erlauben der US-Regierung, massenhaft persönliche Daten der US-Amerikaner auf rechtlichem Boden einzusammeln. Da fast jeder ein potenzieller Aufständischer sein kann, sei eine gläserne Bevölkerung das Ziel.

Auch in der Polizeiarbeit fänden verstärkt militärische Techniken Verwendung. Der Bundesstaat North Dakota erlaubt seinen Polizisten qua Gesetz, unter besonderen Bedingungen bewaffnete Drohnen einzusetzen.

Das europäische Pendant: Frankreich

Auch die Einsatzausrüstung der Polizei wurde massiv aufgerüstet, längst sind gepanzerte Fahrzeuge, Schallkanonen oder auf Demonstrationen eingesetzte Gummigeschosse Normalität. Eine direkte Entsprechung auf europäischen Boden fände sich, so die etwas weit gefasste Behauptung, in den zahlreichen Verletzungen unter den französischen Gelbwestenprotestlern, die von der dort im Polizeieinsatz erlaubten Gummimunition stammen.

Das Buch

Bernard E. Harcourt: „Gegenrevolution. Der Kampf der Regierungen gegen die eigenen Bürger“. Übersetzt von Frank Lach­mann. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2019, 480 S., 26 Euro.

„Wir, die Amerikaner, sind zum Ziel der Aufstands­bekämpfung geworden“, resümiert Harcourt betroffen, und formuliert die aktivistisch anmutende Hoffnung, es käme bald eine Zeit, in der sich die nordamerikanische Bevölkerung gegen diese Art der „Gegenrevolution“ zur Wehr setze.

Wie diese aussehen kann, lässt Harcourt allerdings offen. Doch liefert er ein Instrumentarium zur Beschreibung des derzeitigen US-amerikanischen Staat-Bürger-Verhältnisses als das eines Partisanenkampfes, der neben militärischen Mitteln auch propagandistische Mittel benötigt. Er zeigt, dringlich und deutlich, dass sich einzelne Dekrete, innenpolitische Entscheidungen, gar Tweets des Präsidenten, mögen sie auch wirr und unverbunden wirken, durchaus als Strategie aus einem Guss verstehen lassen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Danke für die Buchbesprechung. Das wird ein wichtiges Buch werden.

    Meines Erachtens konvergiert da gerade etwas weltweit -- von Hong Kong über Moskau, den USA und ja, dem ach so "zivilisierten" Westeuropa.

    Nicht, dass ich das alles gleichsetzen möchte. Die Tendenzen finde ich aber erschreckend parallel.

    Daher musste ich ein wenig zusammenzucken, dass die Parallele zu Frankreich im Text als "etwas weit gefasst" qualifiziert wird: in beiden Fällen wird die Polizei durchmilitarisiert, konfrontative Strategien den deeskalierenden vorgezogen und die Massenkomunikation auf Polarisierung ausgerichtet ("Polizeireppression? Gibt's keine" -- E. Macron).

    Auch hierzulande (G20/Hamburg), inklusive der Kommunikation: Macron könnte bei Scholz abgeguckt haben.

    Gegenrevolution? Ich kann mir nur eine friedliche vorstellen. Für Provokation sorgt schon die andere Seite: wer in Panzer investiert, hat auch ein Interesse, diese Investition zu amortisieren.

    Und -- ganz wichtig: auch die PolizistInnen sind Menschen. Auch sie leiden unter diesen Zustand (in Frankreich begeht derzeit im Schnitt alle fünf Tage ein/e PolizistIn selbstmord!).

    Sie sind nicht der Feind, sie werden nur missbraucht. Dank Corpsgeist und Gehorsam -- die autoritären Strukturen, die uns eine so rühmliche Geschichte beschert haben.

    Es liegt an uns, auf sie zuzugehen.

  • Ist das nicht das Pendant zum libertären Ansatz in den USA: Die Bundesorgsne sind schädlich und wollen die Freiheiten der Bürger verfassungswidrig einschränken? - Und hier rüstet der Staat gegen die Bürger auf.

    Das wären beide gegensätzliche Bewegungen innerhalb einer Partei, der Republikaner, vereint.

    Vermutlich deshalb die große Affinität zu Russland.