Deutsche Wohnen & Co enteignen: Die Zäsur
Die Berliner*innen stimmen für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne. Damit wird erstmals grundsätzlich am neoliberalen Modell gerüttelt.
E s ist vollbracht: 56,4 Prozent der Berliner Wähler*innen haben dem Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen zu einem deutlichen Sieg verholfen. Am frühen Montagmorgen waren schließlich alle Gebiete ausgezählt. Mit ihrem Grundbedürfnis nach Wohnen wollen – und können – sie nicht länger Spielball und Geschröpfte von Finanzanlegern und Spekulanten sein. Stattdessen fordern sie, die kapitalistische Organisierung des Wohnungsmarktes rückgängig zu machen. Für die politische Debatte in Berlin und im ganzen Land ist das eine Zäsur. Das Ende des neoliberalen Modells ist erstmals wirklich greifbar.
Schon oft ist der Neoliberalismus totgesagt worden, spätestens seit der letzten Weltfinanzkrise ab 2008. Doch auch wenn die Denkweise aus der Mode gekommen ist und sich die Staaten in der Coronakrise als starke Akteure zurückmeldeten, wurde die Logik der Märkte nicht gebrochen. Der Neoliberalismus lebte einfach weiter, nur ohne Heilsversprechen. So gut wie alle Bereiche des Lebens sind in Wert gesetzt und damit zu einem Gut geworden, das Menschen ausschließt. Von einzelnen Rekommunalisierungen im Energiesektor abgesehen, ist es bislang nirgends gelungen, die Unterwerfungen unter die Spielregeln der Märkte wieder umzukehren.
Wenn die Berliner*innen nun mehrheitlich fordern, etwa 250.000 Wohnungen zu vergesellschaften, also den Konzernen zu entreißen und wieder unter öffentliche Kontrolle zu bringen, zeigt das, wie wenig Kapitalinteressen und die Bedürfnisse der meisten Menschen zusammenpassen. Angstkampagnen vor abgeschreckten Investoren und einem Imageschaden für die Stadt oder Vergleiche zu kommunistischen Regimen oder gar der NS-Diktatur konnten daran nichts ändern. Der ins Reich des Bösen verbannte Begriff der Enteignung feiert in Berlin seine Wiederauferstehung als Zukunftsversprechen für ein menschenwürdigeres Leben.
Der Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen ist das gelungen, weil sie weder ideologisch daherkam noch dogmatisch argumentierte. Sie orientierte sich einzig an den Bedürfnissen der Berliner*innen nach bezahlbaren Mieten und der Bannung der Angst vor Verdrängung. Mit einem milderen Mittel als der Vergesellschaftung ist das aber nicht zu erreichen – das ist in zehn Jahren des Kampfes gegen den Mietenwahnsinn klar geworden. Für Kompromisse mit den Konzernen ist es nach diesem Entscheid zu spät, sie würden auch an der Logik des Maximalprofits scheitern.
Der kommende Senat muss die Enteignung sofort angehen und ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen, nicht zuletzt daran hängt seine demokratische Legitimation. Der Ausdehnung des Marktes auf Bereiche der Gemeinnützigkeit hat das Vertrauen in die Demokratie schon genug erschüttert.
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