Deutsche Waffen in der Ukraine: SPD gegen geplante Aufhebung der Reichweitenbeschränkung
Merz’ Kehrtwende bei den Einsatzregeln für deutsche Waffen ist ein riskantes Manöver für den Koalitionsfrieden. Aus der SPD kommt teils harte Kritik.

Der frühere SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte am Dienstagmorgen im Deutschlandfunk: „Es war richtig gewesen, dass wir eine Reichweitenbegrenzung machen.“ Er würde der Bundesregierung empfehlen, sich lieber an den diplomatischen Bemühungen zu beteiligen.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Agnieszka Brugger, begrüßte die Ankündigung des Kanzlers dagegen. „Wladimir Putin bombt mit neuer Grausamkeit gerade jegliche Friedensbemühungen und Gesprächsangebote in Grund und Boden. Es wäre ein Fehler, dies tatenlos hinzunehmen“, sagte sie.
Merz hatte am Montag beim WDR-Europaforum in Berlin erklärt, dass für die von Deutschland an die Ukraine gelieferten Waffen keine Beschränkungen mehr gelten, was die Reichweite und damit den Einsatz gegen russisches Territorium angeht. „Es gibt keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind, weder von den Briten noch von den Franzosen, noch von uns, von den Amerikanern auch nicht“, sagte er. Das heiße, die Ukraine könne sich jetzt „auch verteidigen, indem sie zum Beispiel militärische Stellungen in Russland angreift. Das konnte sie bis vor einiger Zeit nicht.“
Klingbeil: „Da gibt es keine neue Verabredung“
Die Äußerung bedeutet einen Kurswechsel gegenüber seinem Vorgänger Olaf Scholz (SPD). Der hatte zwar im vergangenen Jahr den Einsatz deutscher Waffen wie den Mehrfachraketenwerfer Mars II gegen Stellungen auf russischem Territorium für die Region um die umkämpfte Großstadt Charkiw erlaubt. Er hatte sich in der Folge aber anders als wichtige Bündnispartner wie Großbritannien und Frankreich gegen eine darüber hinausgehende Aufhebung der Einsatzbeschränkungen ausgesprochen.
Merz setzt sich nun erstmals an einer Stelle dezidiert von der Ukraine-Politik seines Vorgängers ab. Auslöser dafür waren offensichtlich die erfolglosen Bemühungen um eine Waffenruhe im Ukraine-Krieg und die massiven russischen Luftangriffe auf die Ukraine am Wochenende. Russlands Präsident Wladimir Putin verstehe offensichtlich Gesprächsangebote als Schwäche, sagte Merz. „Den Vorwurf, nicht alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft zu haben, die es gibt, den kann uns nun niemand ernsthaft mehr machen.“
Inwieweit Merz seine Äußerungen mit dem Koalitionspartner abgestimmt hat, blieb zunächst offen. Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) widersprach jedenfalls dem Eindruck, dass es einen Kurswechsel gebe. „Was die Reichweite angeht, will ich noch sagen, da gibt es keine neue Verabredung, die über das hinausgeht, was die bisherige Regierung gemacht hat“, sagte er auf Nachfrage bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Auch der Kreml reagierte auf die Merz-Äußerung. Dies seien „ziemlich gefährliche Entscheidungen, wenn es sie gegeben hat“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Außenminister Johann Wadephul wies die Kritik aus Moskau umgehend zurück. „Es hat jetzt mehrere Aufforderungen und Gelegenheiten gegeben, an den Verhandlungstisch zu kommen für den russischen Präsidenten und er hat sie ausgeschlagen“, sagte der CDU-Politiker bei einem Besuch in Lissabon. „Wir haben immer klar angekündigt, dass dieses Verhalten nicht ohne Konsequenzen bleiben wird.“
Deutsche Waffen reichen nicht weiter als 85 Kilometer
Operativ wird die Ankündigung von Merz zunächst kaum Auswirkungen haben, da Deutschland kaum Waffen geliefert hat, mit denen die ukrainischen Streitkräfte russische Stellungen und Nachschublinien weit hinter der Frontlinie treffen können. Der Raketenwerfer Mars II mit einer Reichweite von etwa 85 Kilometern und die Panzerhaubitze 2000 mit einer Reichweite von etwa 35 Kilometern sind die einzigen beiden Waffensysteme.
Den Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern, mit dem selbst Moskau erreicht werden könnte, hat Berlin bisher nicht geliefert. Die USA, Frankreich und Großbritannien haben den ukrainischen Streitkräften dagegen Raketen mit einer Reichweite von teilweise mehr als 250 Kilometern zur Verfügung gestellt, die Medienberichten zufolge schon gegen russisches Territorium eingesetzt worden sein sollen.
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