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Deutsche Umwelthilfe zieht vor GerichtRechtsweg für das Tempolimit

Die Umwelthilfe attestiert der Ampel-Regierung ein „Totalversagen“ im Verkehrsbereich. Sie will eine Höchstgeschwindigkeit für Autobahnen einklagen.

Reizthema Tempo: Verkehrsschild mit der Geschwindigkeitsangabe 130 Stundenkilometer Foto: Jens Büttner/dpa

Berlin epd | Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen notfalls vor Gericht einklagen. Ein generelles Tempolimit sei eine Maßnahme, die sofort wirke, so gut wie nichts koste und bis zu acht Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einspare, sagte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch am Mittwoch in Berlin. Zudem erhöhe sich die Verkehrssicherheit.

Die Ampelparteien der neuen Bundesregierung SPD, Grüne und FDP haben sich in ihrem Koalitionsvertrag gegen ein generelles Tempolimit ausgesprochen, obwohl die Grünen zuvor für ein „Sicherheitstempo“ 130 beziehungsweise 120 auf Autobahnen waren. Resch sprach von einem „Totalversagen“ der Ampel im Verkehrsbereich. Er sehe darin einen Verfassungsbruch. „Die Deutsche Umwelthilfe wird das deshalb gerichtlich ändern“, kündigte er an. „Unser wichtigster Erfolg ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April, mit dem der Klimaschutz de facto Verfassungsrang erhalten hat.“ Der nun massiv aufgewertete Artikel 20a des Grundgesetzes habe der Umwelthilfe bereits 17 Verfassungs- und Verwaltungsklagen gegen zehn Bundesländer sowie gegen die Industriekonzerne BMW, Mercedes und Wintershall Dea ermöglicht.

„Mit den ersten Verhandlungen und Entscheidungen rechnen wir noch im Jahr 2022, um Bund, Länder und Unternehmen zu ausreichendem und sofortigem Klimaschutz zu verpflichten“, sagte Resch. Bund und Länder kümmerten sich nicht ausreichend um den Klimaschutz. Gegen die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 zieht die Umwelthilfe ebenfalls vor Gericht. „Die Inbetriebnahme der klimaschädlichen Mega-Pipeline Nord Stream 2 möchten wir auf dem Rechtsweg und über das laufende Zertifizierungsverfahren verhindern“, sagte Co-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner

Die Deutsche Umwelthilfe hat wiederholt mit Klagen Länder, Kommunen und Unternehmen gerichtlich in die Pflicht nehmen lassen. Nach Angaben von Resch führte der Verband in den vergangenen zehn Jahren 40 Verfahren unter anderem wegen der Einhaltung von Stickoxid-Obergrenzen in Kommunen, von denen die DUH die Hälfte gewonnen habe. In 17 Fällen hatte es richterliche Vergleiche gegeben.

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29 Kommentare

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  • Tempolimit ist eine politische und keine juristische Entscheidung, daher ist für mich die DUH hier auf dem Holzweg.Unabhängig davon kann ich als viel Fahrender die Notwendigkeit eines allgemeinen Tempolimits wirklich nicht bestätigen. Autobahnen und Verkehr sind weitestgehend sehr eindeutig geregelt, Umweltschutzaspekte des Verkehrs bedürfen darüber hinaus eines anderen Ansatzes, als in Zeiten der Digitalisierung ein paar unflexible Blechschilder aufzustellen

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Flocke:

      Es kommt vor, dass Gerichte der Politik den Weg zeigen. „Unser wichtigster Erfolg ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April, mit dem der Klimaschutz de facto Verfassungsrang erhalten hat.“ steht oben im Text. Es bleibt interessant.

  • Schade um die Zeit, die die Gerichte jetzt damit verplempern müssen. Kein Wunder, dass so viele Prozesse jahrelang dauern, wenn man die Gerichte mit Pipifax-Klagen bemüht.

    • @Elena Levi:

      Ja, es ist wirklich schade, dass das gerichtlich eingeklagt werden muss.



      Wir haben jahrzehntelang gepennt und müssen jetzt in immer kürzerer Zeit radikal den CO2-Ausstoß herunterfahren.



      Dabei derart "low hanging fruits" liegen zu lassen ist ein Skandal.



      Wir können der DUH dankbar sein, dass sie das betreibt. Sonst tut sich ja gar nichts. Dafür hat sie jede Menge Unterstützung verdient - meine hat sie seit geraumer Zeit.

    • @Elena Levi:

      Andersherum wird ein Schuh draus: es ist verplemperte Zeit, WEIL sich die Mehrheit mittels der Gerichte gegen eine Minderheit und die Autolobby, die unbedingt ihre "Freiheit" auf der Autobahn ausleben will, durchsetzen müssen.



      Nicht die Mehrheit der Deutschen ist für diesen Prozess verantwortlich, sondern die wenigen Schreihälse, die nicht einsehen wollen, was Wissenschaftler seit Jahrzehnten predigen.

      • @Mitch Miller:

        mit meinem Kommentar wollte ich zum Ausdruck bringen, dass die Klage wie das Horneberger Schießen ausgehen wird. Wieso sollte ein Gericht die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen festlegen können? Das ist Mumpitz. Natürlich hätte ich es gut gefunden, wenn die Grünen zu ihrem propagierten Parteiprogramm gestanden und darauf gepocht hätten, dass bei 130kmh das Ende der Fahnenstande auf Autobahnen erreicht ist. Meinetwegen sogar bei 110km (es fahren die meisten ohnehin mindestens 20kmh schneller).

        • @Elena Levi:

          Das Gericht kann entscheiden, dass Autobahnen ohne Tempolimit dem Klima mehr schaden, als der Mobilität zu nutzen und damit gegen den Artikel 20a verstoßen. Also so würde ich das begründen. Klimaschaden entsteht ja an vielen Orten, aber solange noch nicht 2050 ist muss er zumindest in Relation zum Nutzen stehen.

        • @Elena Levi:

          ein Tempolimit explizit verfügen wird es wohl nicht, da haben Sie wahrscheinlich Recht.



          Aber es kann Druck auf die Regierung ausüben, nicht nur über Klimaschutzmaßnahmen zu reden , sondern sinnvolle CO2-Einsparungen umzusetzen, wo dies recht aufwandsarm und schnell möglich ist.



          Quasi Rückenwind für die durchaus vernünftige Forderung der Grünen, die ideologischen und populistischen Vorbehalten sowohl der FDP als auch der SPD zum Opfer gefallen ist.



          Denn machen wir uns nix vor, die SPD mit ihrem "Klimakanzler" hat sich da auch nicht besonders in die Bresche geworfen.



          Wenn also eine Gerichtsentscheidung die Regierung zur Vernunft "zwingt", werden die Widerstände der FDP immer alberner erscheinen.

  • Als Umwelthilfe würde ich ja eher klagen, dass die Anzahl der LKW-Transporte auf Straßen (Autobahnen) verringert wird, indem ein gewisser Anteil auf die Schiene muss und Fabriken nicht mehr just-in-time beliefert werden dürfen, sondern Lager anlegen müssen.

    • @resto:

      Auf der anderen Seite sorgen die vielen LKWs mit ihren Überholmanövern auf den Autobahnen dafür, dass die PKWs langsamer fahren müssen. Eine ganze Spur ist meist von LKWs blockiert. Eine ordentliche Verkehrspolitik wird es auch in den nächsten 4 Jahren nicht geben.

  • Ich kann mir bei aller Liebe nicht vorstellen, dass das Verfassungsgericht dem Recht gibt, dass eine spezifische Maßnahme gegen den Klimawandel auf diese Weise eingeklagt werden kann. Die konkrete Entscheidung, mit welchen ganz konkreten Maßnahmen der Staat seine Klimaschutzpflicht erfüllt, ist keine Frage, die ein Gericht klären kann - und vielleicht auch, ehrlich gesagt, sollte. Denn das wäre eine Einmischung in die Legislative in ungekanntem Ausmaß. Bisher sagt das Verfassungsgericht doch nur, wenn ein Gesetz nicht verfassungsgemäß ist, aber nicht, dass ein bestimmtes Gesetz erlassen werden müsse, um verfassungsgemäß zu sein? Wo sollte das denn in Zukunft noch hinführen? So richtig ich das Tempolimit finde, aber solche Dinge müssen politisch erkämpft werden und nicht juristisch.

  • Schade. Klingt für mich mehr wie ein trotziges Kind. Eine kleiner Verein, welcher Millionen von Autofahrern betrafen möchte…

    • @Pilatus333:

      Warum ist Tempo 100 oder auch 130 auf der Autobahn eine "Strafe"? In fast allen Ländern der Welt gibt es Tempolimits. Werden da überall die Autofahrerinnen "bestraft"?

    • @Pilatus333:

      "Millionen von Autofahrern bestrafen"?

      Was ist das für ein Opfer-Mythos, den Sie da aufmachen?

      Schnell Autofahren ist also wichtiger als unsere Lebensgrundlagen, wichtiger als unser Planet und unser aller Gesundheit?

      Das Bild des trotzigen Kindes können wir gern um naiv und selbstbezogen erweitern - allerdings sicher nicht auf seiten der DUH!

  • 8G
    86548 (Profil gelöscht)

    duh mag viele prozesse gewonnen haben, aber was haben sie tatsächlich erreicht? mein alter schummel-diesel jedenfalls läuft immer noch.

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Ich werde die DUH im Kampf gegen die Grünen gerne unterstützen.

  • Ich bin in diesem Punkt auch extrem enttäuscht von den Grünen.



    Aber es ist recht wahrscheinlich, dass hinter dem Verzicht auf das Tempolimit auch die Hoffnung steht, dass sich das auf Vernunfts- oder richtigen Weg durchsetzt.

    Alle Grünen werden jedenfalls jubeln, wenn die DUH das schafft. Und hoffentlich fleissig spenden ;-)

  • Tempo 130 auf Autobahnen bringt kaum etwas. Über Tempo 90 bis 100 kann und sollte man reden.

    • 4G
      47823 (Profil gelöscht)
      @Io Jap:

      Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem es kein Tempolimit gibt.



      Jetzt soll es, Ihrer Meinung nach, zum einzigen Land in Mitteleuropa werden, in dem weniger als 100 km/h auf Autobahnen gefahren werden darf?

      • @47823 (Profil gelöscht):

        Das würde auf jeden Fall noch erheblich mehr CO2 einsparen. Und die Bahn würde dadurch wohl auch attraktiver werden :)



        Find die Idee keineswegs abwegiger als "kein Tempolimit". Vielleicht sollte man es wie die FDP machen und auch mit seiner Wunschposition in die Debatte gehen, dann kann man sich in der Mitte bei einer vernünftigen Zahl treffen!

  • Die Behauptungen zum Tempolimit werden mit Berechnungen aus den Niederlanden und Frankreich begründet. Das 4fache an CO2 solle eingespart werden im Vergelich zu den Berechnungen der Bundesregierung. Aha.

    War Herr Resch in letzter Zeit mal auf einer deutschen Autobahn unterwegs? Da fährt kaum jemand schneller als 140 und das würde sich bei einem Tempolimit auch nicht mehr groß ändern. Reine Symbolhandlungen um die eigenen Spendenakquise anzutreiben.

    • @TazTiz:

      Da haben Sie völlig Recht, man kann eh kaum schneller fahren.

      Und deshalb wird das Tempolimit auch niemandem weh tun, sondern als Bonus auch noch die Raserunfälle verhindern, die von Einzelnen verursacht werden, die meinen, Sie hätten da ein Recht drauf, weil es legal ist.

      Nebenbei liegt zwischen 140 und 130 noch ein ziemlicher Unterschied im Verbrauch.

  • Ich halte von dieser Klagerei überhaupt nichts. Die Gerichte sind mit Juristen besetzt, die bezüglich des Klimas keinerlei Expertise haben. Die Entscheidungen hängen letztlich davon, ab, welche Sachverständigen die Gerichte zu Rate ziehen und wie die Juristen die Ausführungen der Experten verstehen (oder missverstehen). Klimaschutzentscheidungen sind politische Entscheidungen und nicht juristische. Sie müssen von der Politik getroffen werden und nicht von Gerichten. Ich will eine Demokratie und keinen Staat, in dem nicht wählbare und abwählbare Richter die politischen Entscheidungen treffen.

    Übrigens: Es gibt keine "richterlichen" Vergleiche. Ein gerichtlicher Vergleich ist ein Vertrag, den Kläger und Beklagter im Rechtsstreit schließen. Das Gericht kann einen Vergleich vorschlagen, aber ob die Parteien des Rechtsstreits den Vorschlag des Gerichts akzeptieren und den Vergleich abschließen oder nicht, entscheiden sie selbst.

    • @Budzylein:

      "keinen Staat, in dem nicht wählbare und abwählbare Richter die politischen Entscheidungen treffen."

      Tun sie auch nicht. Politische Entscheidungen werden von Politikern getroffen die die notwendigen Gesetze beschliessen.



      Richter legen die gelten Gesetze zugrunde für ihre Entscheidungen.

      Wenn Ihnen die Entscheidungen nicht gefallen können Sie dagegen klagen.

      Das nennt sich Demokratie und sowohl der Staat als auch im speziellen die Rechtsprechung sollte zum Wohle der Bürger und des Staates entscheiden.

      Sie haben offenbar eine andere Meinung und finden, ein Tempolimit wäre nicht zum Wohle der Bürger und des Staates...weil Sie gerne schnell fahren, zum Schaden der Bürger und des Staates.

      • @Mitch Miller:

        Ich habe nichts gegen ein Tempolimit auf Autobahnen, und deshalb werden Sie in meinem Kommentar auch nichts finden, das Ihre unzutreffende Vermutung über meine Meinung zum Tempolimit rechtfertigen könnte. Aber die Regelung eines Tempolimits auf Autobahnen ist eine politische Entscheidung und keine juristische. Im Grundgesetz steht nichts über die Frage, wie schnell man auf Autobahnen fahren darf, und man sollte es auch nicht in irgendwelche Generalklauseln der Verfassung hineininterpretieren.

      • @Mitch Miller:

        Und genau deshalb wird die Klage scheitern

  • Hoffe, dass die zu Weihnachten richtig viele Spenden bekommen. Danke für den Einsatz auf dem juristischen Sektor. Wir rasen auf die Wand zu und die fahren immer noch wie die Affen.

    • @Gostav:

      Ja, wir fahren auf die Wand zu... Nun jeder Bürger inklusive Sie und ich machen mit..

      Kaufen Sie die Ware von Made in China?



      Wenn ja, sie stoßen große Menge CO2 in die Atmosphere... China ist Weltreiter mit riesegem Abstand... Weiter so..

      • @Robert Boyland:

        Um das zu ändern sind politische Entscheidungen notwendig, aber die Kritik an Einzelnen bringt gar nichts.

        Um im Bild zu bleiben: damit wir alle langsamer fahren brauchen wir ein Tempolimit und nicht irgendwen, der sich auf ne Brücke stellt und einzelne Raser beschimpft, wie dumm sie sind.