Deutsche Debatte um George Floyds Tod: Schwierige Analogien

Auch in Deutschland wird anhand US-amerikanischer Beispiele rassistische Polizeigewalt diskutiert. Die Ausgangslage ist dabei sehr verschieden.

Ein Blatt mit einem Bild von George Floyd wird in den Abendhimmel gehalten

Protest gegen Polizeigewalt in Minneapolis nach dem Tod George Floyds Foto: dpa

Die brutale Ermordung eines schwar­zen Mannes, George Floyd, durch zwei Polizisten in den USA hat viele Menschen ver­an­lasst, Parallelen zu Deutschland zu ziehen. Die Namen von Brechmitteltoten wie Laya Condé aus Bremen und Achidi John in Hamburg wurden genannt. Erinnert wird auch an den 2019 gestorbenen Hamburger Psychia­trie­patienten William To­nou-Mbob­da aus Kamerun, an den 2018 in der JVA Kleve gestorbenen Ahmet A. aus Syrien, an den 2006 in Dortmund von der Polizei erschossenen Dominique Kou­ma­dio aus Kongo und weitere.

Dabei sahen viele vor allem das Gleiche in all diesen Fällen. Doch wer sagt „Ihr braucht nicht mit dem Finger auf die USA zu zeigen, denkt nur an Oury Jalloh“, entlastet den US-amerikanischen Staat und die Gesellschaft von ihrer spezifischen Verantwortung für den Tod Floyds. Denn so erscheint rassistische Polizeigewalt als Universalismus, die in mehrheitlich weißen Gesellschaften überall gleich ist.

Das ist sie aber nicht. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen, die historische Genese des gesellschaftlichen Rassismus, die Stellung von AfroamerikanerInnen in den USA und der im Vergleich zu diesen viel heterogeneren nichtweißen Bevölkerung hier. Das festzustellen ist keine Hierarchisierung – böse USA, nicht ganz so böses Deutschland –, sondern Voraussetzung, um gegen rassistische Polizeigewalt in ihrer jeweils konkreten Gestalt vorgehen zu können.

Kern rassistischer Ausgrenzung hier ist die Ansicht, Nichtweiße seien keine Deutschen, sie gehörten nicht hierher und sollen wieder dahin, wo sie hergekommen sind. Pass und Geburtsort sind dabei egal. Das ist heute die zentrale ideelle Grundlage – und vermeintliche Legitimation – für Angriffe auf Nichtweiße in diesem Land. In den USA funktioniert die Abwertung von schwarzen Menschen, die in der Polizeigewalt immer wieder ihre mörderische Konsequenz findet, anders. Dass sie AmerikanerInnen sind, wird in der ­Regel nicht infrage gestellt. Sie gelten zwar als BürgerInnen, aber eben als solche zweiter Klasse.

Ähnliche Konsequenzen

Die historischen Grundlagen für diesen Unterschied liegen noch nicht lang zurück: Als in den USA in den 1950er und 1960er Jahren die von der Sklavenhaltung übrig gebliebene, gesetzlich festgeschriebene Diskriminierung von schwarzen Menschen im Südosten des Landes bekämpft wurde, setzte in Deutschland die große, die heutige Migrationsgesellschaft prägende Zuwanderung gerade erst ein. Damit hängt zusammen, dass die Bewegung gegen die Diskriminierung schwarzer AmerikanerInnen sich bis heute vor allem als Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights) versteht, während rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung hier im Kontext von Migration verhandelt werden.

Rassistische Polizeigewalt wird beschämend selten aufgeklärt

Die praktischen Konsequenzen im Alltag sind in beiden Gesellschaften ähnlich: Nichtweiße werden öfter kontrolliert, öfter dabei misshandelt, können sich schlechter dagegen wehren und werden härter bestraft. Rassistische Polizeigewalt wird beschämend selten aufgeklärt und geahndet, hier wie dort. Es gibt dabei statistische Unterschiede. Hierarchisieren lassen diese sich aber nicht: Denn das Risiko für Nichtweiße, Opfer zu werden, ist zwar nicht überall gleich hoch, aber überall real.

Trotzdem ist festzustellen, dass Art und Ausmaß der Polizeigewalt in den USA mit der obsessiven Fixierung auf einen autoritären, strafenden Staat dort zu tun haben. Die wiederum ist Folge des US-amerikanischen Sozialstaatsabbaus seit den 1970er Jahren. Dieser Abbau brachte eine einflussreiche, blühende private Knastindustrie hervor mit einem Weltrekord von 655 Gefangenen je 100.000 EinwohnerInnen (Deutschland: 77) – wobei schwarze Beschuldigte dort etwa fünfmal öfter in Haft kommen als Weiße.

Daraus ergeben sich teils gleiche, teils unterschiedliche Ansatzpunkte für politische Kämpfe gegen Polizeigewalt. Gleich ist die Notwendigkeit, Corpsgeist zu durchbrechen und Haftbarkeit herzustellen, etwa durch die Einrichtung unabhängiger Instanzen, die Polizeigewalt wirksam ahnden können. In den USA ist eine wichtige Herausforderung die Zurückdrängung der Gefängnisindustrie mit ihrem Zero-Tolerance-Lobbyismus. In Deutschland aber kommt es vor allem darauf an, die Infragestellung der Zugehörigkeit Nichtweißer zur Gesellschaft zu beenden. Denn nur wenn die Zugehörigkeit allgemein akzeptiert ist, werden sich Rassismus im Alltag und durch staatliches Handeln eindämmen lassen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.