Deutsch-russische Zusammenarbeit: „Wir arbeiten weiter, nur nicht gemeinsam“
Unter anderem DAAD und DFG stellen die institutionelle Zusammenarbeit mit russischen Instituten ein. Sie reagieren auf Russlands Angriffskrieg.
Am 25. Februar 2022, am Tag nach dem Angriff auf die Ukraine, veröffentlicht die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ein Statement. Die wichtigsten deutschen Forschungseinrichtungen sind sich einig: Die Kooperationen und der Austausch mit der Ukraine sollen gestärkt, die mit Russland hingegen eingefroren werden. Keine deutschen Forschungsgelder sollen Russland in irgendeiner Weise mehr zugutekommen.
Zu dem Zeitpunkt zählt die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) 887 Austauschprojekte mit Russland. Allein die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert 183 deutsch-russische Forschungskooperationen. Russische Studierende stellen an deutschen Hochschulen bis dahin die fünftgrößte Gruppe innerhalb der internationalen Studierenden dar. Der akademische Austausch, der Deutschland und Russland seit Jahrhunderten verbindet, reißt plötzlich ab – auch beim Leuchtturmprojekt in Kasan.
Mit welchen Folgen, kann Peter Scharff von der Technischen Universität Ilmenau berichten, einer der drei beteiligten deutschen Hochschulen: „Das Projekt läuft auf russischer Seite und es läuft auf deutscher Seite weiter, wir arbeiten nur nicht mehr gemeinsam.“ Scharff, von 2004 bis 2020 Rektor der TU Ilmenau, leitete GRIAT von Ilmenauer Seite aus. Gefördert wurde das Projekt unter anderem vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD).
Die russische Wissenschaftselite unterstützt den Krieg
Heute vergibt die Universitätsleitung keine Doppelabschlüsse mehr. Die Professor:innen fliegen nicht mehr nach Russland. Digitale Lehrveranstaltungen sind ausgesetzt. Offiziell ist das Projekt auf Eis gelegt, erzählt Scharff. Das heißt aber nicht, dass die Kontakte gänzlich ruhen. Alle ein bis zwei Wochen sehen sich die Projektkoordinator:innen aus beiden Ländern immer noch digital und tauschen sich aus. Der deutsche Institutsdirektor ist auch immer noch vor Ort in Kasan.
„Wir geben noch nicht auf. Das Projekt ist nicht abgebrochen, nur erst mal unterbrochen“, sagt Scharff. Er war oft in Russland, aber auch in der Ukraine und hat Kolleg:innen in beiden Ländern. Scharff weiß, dass sein Projekt wegen der russischen Aggression abgebrochen worden ist. Dennoch hat er das Gefühl, mit dieser Strafe mitunter die Falschen zu treffen. „Es ist alles furchtbar. Gerade in der Wissenschaft sind viele Menschen in Russland schockiert von dem Krieg“.
Doch das stimmt nur zum Teil. Anfang März veröffentlichen mehr als 700 russische Universitätsdirektor:innen einen Brief, in dem sie die russische Regierung und den Krieg offen unterstützen. Die russische Wissenschaftselite unterstützt den Kurs der Regierung.
Zwar haben mehr als 8.000 russische Wissenschaftler:innen und Wissenschaftsjournalist:innen den Krieg in einem Brief verurteilt. Die leitenden Stellen stellen sich aber weiter offiziell hinter den Kreml und seine außenpolitischen Ziele in der Ukraine. Ein Dilemma, weiß auch DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee. „Wir wissen, dass dieser Schritt auch Ungerechtigkeiten schafft und zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende trifft, die sich für friedliche und rechtsstaatliche Verhältnisse sowie gute nachbarschaftliche Beziehungen einsetzen“.
Geld ist das Hauptproblem
Auch der DAAD brach am 25. Februar die Beziehungen zu Russland ab. Zumindest von deutscher Seite aus nach Russland. Andersherum, betont der DAAD, werden weiterhin Stipendien an russische Wissenschaftler:innen und Studierende vergeben. So wurden seit Beginn des Angriffskriegs 82 Stipendien für russische Staatsbürger:innen zugesagt.
Auch die Gelder für die 183 deutsch-russische Forschungskooperationen der DFG fließen weiter. Allein für das Jahr 2022 wurden für diese Projekte 14,5 Millionen Euro Fördermittel bewilligt. Allerdings dürfen diese Mittel nur noch auf deutscher Seite genutzt werden, schreibt DFG-Präsidentin Katja Becker im hauseigenen Magazin forschung.
Eins der betroffenen Projekte ist der Sonderforschungsbereich zu Quantentechnologie an der Technischen Universität Dortmund. Eigentlich haben die Physiker:innen der TU Dortmund gemeinsam mit der Staatlichen Universität und dem Ioffe-Institut in Sankt Petersburg geforscht. Das Problem jetzt: „Da unser Sonderforschungsbereich ein Kooperationsprojekt war, treffen die Sanktionen das Projekt natürlich zentral“, erklärt Marc Aßmann. Der Professor für Physik leitet eins der noch laufenden 24 Unterprojekte.
Acht Jahre lang hat die DFG das Projekt gefördert, es stand kurz vor Abschluss der zweiten Phase und hätte noch ein Mal um vier Jahre verlängert werden können. „Am härtesten trifft es die Doktoranden“, erzählt Aßmann der taz. „Die Forschungsphase geht jetzt wie geplant zu Ende, doch ein Teil fehlt nun.“ Die meisten Abschlussarbeiten würden über Drittmittel der DFG finanziert. Diese Mittel seien aber befristet. Das Umsteuern des Projekts auf andere Partneruniversitäten oder zur Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftler:innen koste vor allem Zeit. Und die ist durch die Befristung der Gelder nicht gegeben.
Zu dem kommt: Die Institute in Deutschland und Russland haben sich die Arbeit teilweise aufgeteilt. Forscher:innen konnten damit rechnen, auf Forschungsergebnisse der jeweils anderen Seite zurückgreifen zu können: „Zum Beispiel gab es Projekte, in denen die Experimente hier in Dortmund durchgeführt wurden“, erklärt Aßmann. Die Theorie für die im Experiment beobachteten Ergebnisse sei aber in Sankt Petersburg entwickelt worden. Ohne die Theorie, so Aßmann, fehlt ein großer Teil der Experimente und der Abschlussarbeiten.
Hinter dem Titel des Gesamtprojekts „Kohärente Manipulation wechselwirkender Spinanregungen in maßgeschneiderten Halbleitern“ steht Grundlagenforschung. Sie soll dazu dienen, immer kleinere Prozessoren für Computer und Handys herstellen zu können. Aktuell ist ein Limit erreicht. Die Forscher:innen der TU Dortmund wollen herausfinden, wie sich Störeffekte der Elektronen bei noch kleineren Chips vermeiden lassen.
Weil die russischen Partner weggefallen sind, muss die TU Dortmund teils auf andere Kooperationspartner ausweichen, teils Arbeiten thematisch neu ausrichten. Das Hauptproblem aber sei das Geld. „Wir versuchen natürlich gerade Verzögerungen für die Leute, die im Projekt beschäftigt sind, zu minimieren, damit ihnen durch das Ende des Projekts möglichst keine Nachteile entstehen“, sagt Aßmann. „Das ist aber nicht immer ganz einfach.“
Umfassend aktualisiert am 10.08.2022 um 14:00 Uhr. d. R.
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