Deutsch-chinesische Beziehungskrise: Im Konflikt mit Peking
Deutschland setzt nun das Auslieferungsabkommen mit Hongkong aus. Peking reagiert darauf „mit Empörung und fester Opposition“.
![Merkel und Xi Jinping posieren vor Flaggen Merkel und Xi Jinping posieren vor Flaggen](https://taz.de/picture/4297650/14/25402290-1.jpeg)
Maas’ nüchterne Erklärung hat den Unterton eines enttäuschten Liebhabers. An die Bundesregierung war die Forderung nach Aussetzen des Abkommens erstmals von der Opposition im Bundestag und von Hongkonger Aktivisten herangetragen worden, als China zum 1. Juli der früheren Kronkolonie sein nationales Sicherheitsgesetz übergestülpt hatte. Es untergräbt die von Peking zugesagte Autonomie nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ und bedroht pekingkritische Stimmen.
Die USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland haben ähnliche Auslieferungsabkommen mit Hongkong bereits ausgesetzt. Dies soll verhindern, dass sich in den jeweiligen Ländern aufhaltende Personen von Hongkong aus an Chinas Justiz überstellt werden können. Diese hat mit rechtsstaatlichen Verhältnissen, wie es sie bisher in Hongkong gab, nichts gemein.
Am Freitag hatte Hongkongs Polizei sechs Aktivisten zur Fahndung ausgeschrieben, die nach Europa geflüchtet sind. Darunter ist laut South China Morning Post auch Ray Wong Toi-yeung. Er war 2014 in der Regenschirmbewegung aktiv und floh im November 2018 nach Deutschland, wo er im Mai 2019 politisches Asyl bekam.
Peking-Kritiker sahen Wahlen als ihre Chance
Hongkongs ursprünglich für den 6. September angesetzte Wahlen galten bisher als Chance der demokratischen Opposition, zu zeigen, dass ihre Ablehnung der Politik der pekinghörigen Regierung mehrheitsfähig ist. Die am Freitag durch die Regierungschefin Carrie Lam erfolgte Ankündigung der Verschiebung der Wahl um ein Jahr wird mit der Coronapandemie begründet. Für die Demokratiebewegung ist das aber nur ein Vorwand, um die Wahl von Peking-Kritikern zu verhindern. Die hatten bei den Kommunalwahlen im November einen Erdrutschsieg errungen.
Die chinesische Botschaft in Berlin reagierte auf die Erklärung von Maas „mit Empörung und fester Opposition“. Die Verschiebung der Wahl diene der Gesundheit der Bevölkerung, heißt es auf der Botschaftswebseite. Der Ausschluss bestimmter Kandidaten entspräche den Gesetzen, da die Ausgeschlossenen sich für die Unabhängigkeit Hongkongs, dessen Selbstbestimmung oder die Einmischung des Auslands eingesetzt hätten. Dies gefährde Wohlstand und Stabilität Hongkongs, das Chinas interne Angelegenheit sei.
Die „irrigen Bemerkungen“ der deutschen Seite seien „eine ernste Verletzung des Völkerrechts“. Deshalb behalte sich China weitere Reaktionen vor. Dass die Erklärung im Unterschied zu den meisten Statements auf der Webseite der Botschaft in Englisch statt in Deutsch verfasst wurde, lässt darauf schließen, dass sie direkt aus Peking stammt und eine Kopie der Reaktion auf ähnliche Schritte anderer Staaten ist.
Nach Meinung der Hongkonger Opposition verletzt Chinas Regierung das Völkerrecht. Mit dem neuen Sicherheitsgesetz hebele sie die Autonomie und Selbstverwaltung Hongkongs aus, die der Stadt 1984 völkerrechtlich mit einem Vertrag zugesagt worden waren.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestags, die FDP-Abgeordnete Gyde Jensen, bezeichnete Maas’ Aussetzung des Auslieferungsabkommens als „längst überfälligen Schritt“. Der Außenminister dürfe es nicht dabei belassen. „Es müssen weitere Maßnahmen folgen, um den Druck auf Peking weiter zu erhöhen.“ Sie fordert, personenbezogene Sanktionen gegen chinesische KP-Funktionöre auf EU-Ebene zu prüfen und den von Maas bislang lediglich verschobenen EU-China-Gipfel ganz abzusagen. Auffällig ist, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in China großes Ansehen genießt, bisher nicht geäußert hat.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben