Der neue Papst: Leo XIV. wird die deutsche katholische Kirche brauchen
Will der neue Papst umstrittene Reformen in der Weltkirche umsetzen, ist er auf die deutschen Katholiken angewiesen – auch wenn sie manchmal nerven.

E s waren in den vergangenen Jahrhunderten zuverlässig große Seufzer zu hören, wenn im Vatikan das Gespräch auf die katholische Kirche in Deutschland kam. Die hiesige Kirche Roms – immerhin trotz Massenaustritten und Missbrauchsskandal seit vielen Jahren noch mit etwa 20 Millionen Mitgliedern – war nie eine brave Tochter der strengen Mutter am Tiber, sondern eher schwierig, zumindest aus Sicht konservativer Kardinäle.
Das liegt etwa daran, dass die hiesigen Katholikinnen und Katholiken dank vieler und bestens ausgestatteter Fakultäten lange eine führende (und liberale) Rolle in der weltweit geachteten Theologie spielten. Außerdem ist die katholische Kirche in Deutschland aufgrund des nahezu einmaligen Systems der Kirchensteuer ziemlich reich und finanziert viele Projekte der Weltkirche – vor allem im sozialen Bereich – großzügig mit.
Dazu ist sie wegen der fast gleich großen evangelischen Kirche im eigenen Land stark ökumenisch ausgerichtet, was im Globalen Süden oft irritiert. Und sie ist – siehe Synodaler Weg – vergleichsweise progressiv, was Kirchenreformen, die Segnung homosexueller Paare oder die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals angeht. Kurz: Eine erwachsene Tochter, die besserwisserisch, reich und aufmüpfig ist, ist meist nicht das liebste Familienmitglied. Wen wundert’s?
Was das alles mit Papst Leo XIV. zu tun hat? Sein Vorgänger, der kürzlich verstorbene Papst Franziskus, hatte schon vor sechs Jahren ein auf Deutsch verfasstes Schreiben „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ veröffentlicht. Darin die Mahnung: Macht weiter mit den Reformen der Kirche im eigenen Land, aber übertreibt es nicht – und spaltet euch nicht ab!
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Der richtige Umgang mit den renitenten Deutschen
Seit der Abspaltung der hiesigen Altkatholischen Kirche, vor allem aus Protest gegen das Unfehlbarkeitsdogma des Ersten Vatikanischen Konzils 1870, ist das die Urangst in Rom: dass die Deutschen mit ihrem Reformeifer und ihrer Renitenz wieder ein Schisma verursachen könnten. Dass auch viele führende Christdemokraten die Reformen der Kirche in Deutschland klar unterstützen, verringert die Ängste im Vatikan nicht. Der neue Oberhirte auf dem Papstthron muss also irgendwie mit den renitenten Schäfchen hierzulande umgehen – die er aber zugleich ziemlich dringend braucht.
Denn der neue Papst Leo XIV. dürfte sich die deutsche katholische Kirche tapfer an seiner Seite wünschen, sollte er umstrittene Reformen in der Weltkirche umsetzen wollen – beispielsweise zu mehr Synodalität wie nach seiner Wahl angedeutet. Das könnte für ihn wichtig werden, wenn er trotz massiven Widerstands die einflussreiche und reiche katholische Kirche in den USA auf Reformkurs bringen will, die ob der menschenverachtenden Politik von US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus heillos zerstritten ist – nicht zuletzt in Migrationsfragen.
Kurz: Der neue Papst braucht die katholische Kirche Deutschlands als starken Rückhalt. Auch – oder gerade weil – sie manchmal gehörig nervt.
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