Spaziergänge im Hambacher Forst: Der Wald­meister

Seit 2014 lädt Michael Zobel monatlich zu Waldspaziergängen in die rheinischen Braunkohlereviere. Nummer 100 soll der letzte sein.

Michael Zobel spricht in ein Mikrofon

Ohne seinen Hut ist Zobel nicht zu denken Foto: Cjhristoph Hardt/imago

HAMBACHER WALD taz | Wieder so ein glutheißer Tag in diesem Sommer. Zum 99. Mal ist Michael Zobel unterwegs, Sonntagsspaziergang im Hambacher Wald. Gut 60 Leute sind gekommen, nicht besonders viele, aber es ist halt noch Ferienzeit. Manchmal waren es auch 600 oder ein paar Tausend.

Seit 2014 lädt Zobel, 63, der Naturführer und Waldpädagoge aus Aachen, einmal im Monat zu seinen Führungen, meist mit seiner Partnerin Eva Töller, „die eigentliche Ideengeberin“, wie Zobel sagt.

Mit seinen knapp zwei Metern Größe und dem Hut auf den Resthaaren ist Zobel eine natürliche Autorität. Seine klare, warme Stimme unterstreicht das. Er argumentiert stringent und ist voller bitterer Anekdoten. Zobel kennt all die politischen Verstrickungen in den Braunkohlerevieren: die jahrzehntelang devote Landespolitik, die Gier der Dorfverheizer von RWE, die die örtliche Zivilgesellschaft (über wohltätige Gaben für Sportvereine und Schulprojekte) immer billig auf ihre Seite zog. Der studierte Geologe ist ein Lexikon des Widerstands, des politischen Streits und der ökologischen Feinheiten.

An diesem Sonntag im August gibt er die letzte Tour im Hambi, wie Zobel überraschend kundtut. Zukünftig wolle er „andere Sachen hier machen und Aktionen“. Fortbildungen laufen schon, erzählt er. Er will Multiplikatoren schulen, die „den vielfach verloren gegangenen Kontakt zur Natur wieder herstellen“ und die mal in seine Fußstapfen treten. Und so hat der heutige Tag etwas von Bilanzwanderung, Zobel erzählt vom Best-of im Wald und vom Worst of: Wie mal der Polizeipräsident mitgelaufen ist und die RWE-Betriebsräte, die ihn, Eva und die MitstreiterInnen „als Arbeitnehmerfeinde Nummer eins“ bezeichnet hätten, verbohrt und lernresistent.

RWE will bald Wasser aus dem Rhein in die Gruben pumpen

Oder der Besuch des RWE-Försters, der für den Ersatzforst auf der gigantischen Abraumhalde Sophienhöhe zuständig ist. „Der wollte die Rote Waldameise umsiedeln. Umsiedeln will RWE halt auch bei Tieren.“ Geklappt habe es nicht, auch nicht bei den Bechsteinfledermäusen. 142 geschützte Tierarten leben hier im Hambi, erzählt Zobel, davon „zwölf Fledermausarten, das ist sensationell viel für so einen kleinen Wald“. 500 Hektar hat der „Stieleichen-Hainbuchen-Maiglöckchen-Wald“ noch, von einst fast 5.000.

Noch mehr lässt die Zahl 450 schaudern. So tief ist das Hambacher Loch in Metern, drei Kölner Dome würden hier über­ein­ander hineinpassen. Und 450 Millionen Kubikmeter Wasser darf RWE jedes Jahr abpumpen. Damit komme, vergleicht Zobel, ganz Düsseldorf inklusive Industrie über vier Jahre lang aus. „Es ist ein Wahnsinn.“ Und ab 2030 soll durch riesige Röhren aus dem Rhein jahrzehntelang Wasser hierher gepumpt werden, ergänzt Eva Töller, weil die monströsen Löcher zu Seen werden sollen. „Haben wir in Zeiten der Wasserknappheit nichts Besseres zu tun?“

Michael Zobel berichtet von Kindern, die gern fragten: „Bist du der Waldmeister?“ An diesem Sonntag ist der jüngste Teilnehmer 11 Jahre alt, der älteste 83. Mehr als 80.000 Waldgäste kamen bis heute zu ihm, sagt er.

Seine Motivation? Klar, der Kampf gegen RWE, die Lügen der Politik, gegen Naturvernichtung und Vertreibung, für Klimaschutz. „Es ist für mich wie eine Berufung, noch mehr, seit ich Enkel habe. Wie sollen die mal leben? Ich will Bilder zeigen, Geschichten vom 12.000 Jahre alten Wald erzählen.“ Er habe immer wieder erlebt: „Wer zum ersten Mal an der Rodungskante stand, kommt als anderer Mensch aus diesem zauberhaften Wald wieder heraus.“

Der Hambacher Wald trocknet aus

Zauberhaft? Das Wegegrün ist graugelb, selbst Brennnesseln hängen verdorrt herunter, zahllose Bäume sind tot. Der Hambacher Wald wird nicht gerodet, „aber er vertrocknet, es geht ihm phänomenal schlecht. Das wenige Wasser sickert an den Seiten heraus, weil RWE ohne Sinn bis 50 Meter an die Kante gegraben hat, auch nach der Bestands-Entscheidung.“ Man könne den Wald leicht und kurzfristig bewässern, „aber RWE tut nichts und gräbt stattdessen drumherum, für Kiesgruben. Warum gehört das denen immer noch, wieso wird das Gebiet nicht in eine Stiftung überführt?“ Dann gehen wir im Bewohnercamp gegen Spenden Kaffee trinken und veganen Kuchen essen.

Am 25. September lädt Zobel zu Spaziergang Nummer 100, sein Finale in Lützerath am Tagebau Garzweiler. Voll wird es sicher auch drumherum, wo seit Freitag das sechstägige Festival mit dem optimistischen Titel „Unräumbar“ stattfindet. Am 1. Oktober beginnt die Rodungssaison, dann drohen Kahlschlag, Räumung des Camps und das große Abbaggern. KlimakämpferInnen fordern seit Langem ein Moratorium. „Aber aus Düsseldorf“, sagt Zobel, „kommt nichts, da ist nur das große Schweigen der schwarz-grünen Landesregierung.“

Auch nach dem 100. werde es weiter Waldspaziergänge geben, aber nur mit fester Buchung für Kirchengruppen, Lehrerkollegien oder Umweltverbände. „Als Eva und ich 2014 angefangen haben“, erzählt Michael Zobel noch, „da hieß es: Nützt doch nichts, in ein paar Jahren ist hier eh alles weg.“ Da hatte ihn der Reporter des Fernsehsenders Arte tief im Hambi nach seinem Traum gefragt: „Ich habe ihm gesagt, ich würde gern in zehn Jahren an genau dieser ­Eiche hier von Ihnen wieder interviewt. Jetzt kann der Mann bald kommen.“

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