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Der Therapeut Andreas Schnebel übers Teller-Leeressen„Bewusst mit Essen umgehen“

Ein Restaurant erhebt Strafzahlungen, wenn man nicht aufisst, um einer Verschwendung vorzubeugen. Aus medizinisch-therapeutischer Sicht ist das bedenklich.

Schon satt? Wer in einem Restaurant seinen Teller so zurück gibt, zahlt Strafe. Foto: Antonia Lange/dpa
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Herr Schnebel, essen Sie manchmal ihren Teller nicht leer?

Andreas Schnebel: So ist es. Ich sage auch immer meinen Kindern und meinen Patienten, dass sie essen sollen, was ihnen schmeckt, und sich trauen sollen, Essen stehen zu lassen, das ihnen nicht schmeckt.

Was löst der Zwang zum Aufessen unter Androhung von Strafe bei Menschen aus?

Zwang löst Druck aus, dass wissen wir ja alle. Mit Druck gehen Menschen verschieden um – manche sind brav und angepasst, beugen sich dem Druck und essen auf. Andere werden vielleicht trotzig und machen es erst recht nicht.

Letzteres wäre ja nicht schlimm – kostet in besagtem Restaurant aber Geld. Welche Gefahren birgt das Konzept?

Bei Menschen mit Übergewichtsproblemen ist die Gefahr, dass sie, weil sie angepasst sein wollen, mehr essen und dann noch mehr zunehmen oder sich nicht gut fühlen. Bei Menschen, die Bulimie haben, ist natürlich die Gefahr, dass sie es erbrechen. Und Magersüchtige – naja, die gehen eh nicht zum Essen.

Dem Restaurant geht es darum, dass KundInnen realistisch einschätzen, wie viel sie essen. Ist das nicht sogar förderlich für ein gesundes Essverhalten?

Wo man aufessen soll

Das ist das Konzept eines Restaurants in der Rindermarkthalle:

Die Strafe fürs Nicht-Aufessen bezieht sich auf das „All you can eat“-Angebot.

Die Gäste bestellen per iPad ihr Sushi – höchstens fünf Variationen pro Runde.

Die nächste Runde kommt erst, wenn man die vorherige aufgegessen hat.

Bleibt viel übrig, zahlt man einen Aufpreis. Einen Euro pro Portion bei Sushi oder Salat, zwei Euro bei warmen Speisen.

Doch – an sich finde ich die Idee, bewusst mit Essen umzugehen, sehr gut. Aber man weiß ja im Restaurant vorher nicht, ob man es mag. Die Möglichkeit muss da sein, es dann zurückzugeben.

Das Restaurant behält ein Stück weit die Kontrolle über das Essverhalten der KundInnen. Was haben Essstörungen mit Kontrolle zu tun?

Sehr viel. Essgestörte wollen es unbedingt kontrollieren. Manche essen über Jahre exakt zur gleichen Zeit die gleiche Menge der gleichen Dinge. Deshalb essen die auch nicht in einem Res­taurant – da weiß man nicht, wie viel Fett und was sonst so drin ist.

Bild: privat
Im Interview: 

58, ist Vorsitzender des Bundesfachverbands Essstörungen und therapeutischer Leiter des Versorgungszentrums Anad.

Entwickeln Menschen, die als Kind aufessen mussten, eher Essstörungen?

Absolut. Was Essgestörte oft nicht können, ist einzuschätzen, was sie zu welcher Zeit wirklich essen wollen und was nicht. Es fällt ihnen schwer zu lernen, dass man sich das nicht vorschreiben lässt.

Warum kann Fremdkontrolle über das eigene Essverhalten zu Essstörungen führen?

Wenn Sie etwas auf keinen Fall aufessen wollen, aber müssen, ist das Essen sehr negativ belastet. Das kann zur Folge haben, dass Sie sich komplett verweigern und sagen: „Ich esse gar nichts mehr, was ihr mir vorsetzt.“ In Familien spielt der Machtfaktor eine großer Rolle. Autonomie heißt, selbst zu bestimmen, was ich esse.

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7 Kommentare

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  • Erinnert mich alles an einen uralten TV-Gag. Ein Mann sitzt im Lokal und isst nicht alles auf. Kommt ein Uniformierter mit einer "Ess Ess" beschrifteteten Armbinde: "Sie wollen doch wohl, dass es morgen gutes Wetter gibt - oder?" Der Gast pariert und isst brav alles auf...

  • "Brav", "trotzig"... .Verzeihung, Herr Schnebel, aber neben den kindlich-affektiven Reaktionen könnte es ja auch auf der Erwachsenenebene möglich sein zu reagieren. Doch zuerst kommt die Krankheitseinsicht.

     

    Deshalb halte ich es auch in diesem Zusammenhang für irrelevant, ob in einigen Restaurants bei "All-you-can-eat" Aufessen soz. "eingefordert" wird oder nicht.

     

    RestaurantbetreiberInnen haben keinen therapeutischen Auftrag, noch sind essgestörte Menschen gezwungen, ausgerechnet ein solches Restaurant aufzusuchen. Denn Hilfe bekommen sie darin sicherlich nicht, das ist richtig.

     

    Aber der Umkehrschluss, dass die Krankheit verschwände, würde man den zusätzliche Euro für Essensreste nicht verlangen, kann wohl kaum gezogen werden.

  • Super, ein Artikel auf Bild Niveau und ihr fragt auch noch ob man dafür bereit ist Geld zu bezahlen...

    Dem Betreiber des Restaurants geht es nicht einfach um den Zwang den Teller leer zu essen.

    Wie überall zu lesen bietet er all you can eat an, da geht es dann nicht um eine versalzene Soße oder ein zähes Steak. Es geht darum, dass Leute sich den Teller voll schaufeln, diesen leer essen (schmeckt offensichtlich), sich eine zweite Riesenportion nehmen um dann nach zwei Bissen feststellen, dass sie eigentlich doch schon satt sind und der Rest dann in den Müll wandert.

  • Kann sich irgend jemand (mal abgesehen vielleicht von den Betreibern) tatsächlich ernsthaft vorstellen, dass dieses „Konzept“ funktioniert?

     

    Wer soll denn essen gehen in einem Restaurant, in dem der Koch ganz ungestraft den Brokkoli zerkochen, das Steak verbrennen, die Soße versalzen und die Kroketten nicht ganz aufgetauen darf? Und wer sollte sich vom Inhaber zwingen lassen, auf den überhöhten Preis auch noch ne Strafe drauf zu legen, wenn er seinen Widerwillen nicht überwinden kann?

     

    Sind wir kein Rechtsstaat mehr? Sind Rechtsschutzversicherungen verboten? Hat jemand Drogen in sämtliche Hochwasserbehälter gekippt? Haben RTL und Bild tatsächlich schon die Weltherrschaft erlangt – und ausgerechnet die Propheten des Veggidays mit deren Verbesserung beauftragt? Sind wir denn wirklich schon so weit, dass diese Kneipe nicht nach spätestens 14 Tagen pleite ist?

     

    Dass "die Politik" von "der Wirtschaft" lernen will, hab ich ja schon gemerkt. Dass das nicht klappt, kann man gerade überall beobachten. Dass allerdings "die (Gast-)Wirtschaft" von "der Politik" die Gängelei übernimmt, erstaunt mich dann doch. "Die Wirtschaft" muss ja schließlich leben von ihren Geschäften. "Die Politik" braucht das zu meinem Ärger nicht. Die hält sich gut vom Geld der WählerInnen über Wasser - und das zieht "Vater Staat" zwangsweise ein.

     

    Hm. Wo ich so drüber nachdenke: Sind wir nicht alle Gäste einer irren Kneipe? Hätten wir denn nicht alle irgendwie ein Therapie-Bedürfnis?

  • Das eröffnet dann ganz neue Dimensionen.

     

    Was ist, wenn es einen massiven Grund gibt, das Essen möglichst erst gar nicht anzurühren?

     

    Etwa erst aufessen, umd die Strafzahlung zu vermeiden, und dann zwecks Beweisführung diese Mahlzeit auf dem Tisch und dem Fußboden verteilen?

  • An sich interessantes Thema, vom auslösenden Fall aus aber merkwürdig induziert. Die Chance ist wohl höher, daß es ökonomische Gründe hatte, im speziellen Fall des All-You-Can-Eats sogar durchaus berechtigte. Kein Restaurant will Verluste machen.

     

    Mich hätte mehr ein Interview über die 'Unsitte' des achtlosen Umgangs mit Lebensmitteln interessiert. Entsprechende Personen findet man wohl öfter in Restaurants als Essgestörte (siehe drittletzte Frage).

  • Ja wie? - Strafzahlungen für Nich-Teller-leer?!

    Geht´s noch?

     

    In welchem Keller der Reichskanzlei haben denn diese Blockwarte überlebt?!

    Sicher Stammgäste beim Stammtisch der N&Z-Wort-Jäger - &

    Der Burka-Bejubler&Burka-Verbieter;))

    kurz - Schleierhaft & Mahlzeit!