piwik no script img

Der Fall des Journalisten RelotiusWeit gesäte Unklarheiten

Ex-„Spiegel“-Reporter Claas Relotius veröffentlichte auch Texte in anderen Medien. Auch darin tauchen offenbar erfundene Passagen auf.

Nicht nur beim Spiegel veröffentlichte Claas Relotius Texte mit viel Fantasie, sondern auch woanders Foto: dpa

Nachdem am Mittwoch der Spiegel bekannt gegeben hat, dass sein preisgekrönter Reporter Claas Relotius Protagonisten, Zitate und Begebenheiten erfunden haben soll, finden nun sowohl der Spiegel als auch andere Medien weitere Unstimmigkeiten in Relotius’ Texten.

Unter anderem seien Passagen aus dem viel beachteten Gespräch mit Traute Lafrenz, der letzten Überlebenden der „Weißen Rose“, nicht korrekt. Sie habe den Artikel nun im Detail gelesen „und distanzierte sich dann von dem Interview“, heißt es beim Spiegel. Warum das nicht früher auffiel? Erstens soll es – so stellt es Der Spiegel dar – laut Relotius keine Aufnahme des Gesprächs gegeben haben (was die beim Gespräch anwesende Schwiegertochter von Lafrenz bestreitet), zweitens soll Lafrenz (wie in den USA, wo sie heute lebt, üblich) nicht auf eine Autorisierung bestanden haben, drittens bat Relotius „die Mitarbeiter der englischsprachigen Seite des Spiegel wiederholt, seine Texte nicht ins Englische zu übersetzen“, so Der Spiegel.

Auch Zeit Online berichtet über Nachfragen und Überprüfungen zu jedem der sechs Texte, die Relotius von 2010 bis 2012 auf ihrer Webseite und bei Zeit Wissen veröffentlichte. Zweifel gibt es vor allem an Relotius’ Artikel über eine Familie, die ein zweites Kind mit Down-Syndrom bekommen will. Denn Zeit Online gelang es bislang nicht, die im Text erwähnten Protagonisten ausfindig zu machen – und zwar weder die Familie selbst noch einen Entwicklungspädagogen, der darin ebenfalls auftaucht. „Das ist ungewöhnlich“, heißt es. „Hätten sich nicht auch andere Medien für eine solche Familie interessiert, hätten nicht Selbsthilfegruppen das Beispiel aufgenommen?“ Anonymisiert sei der Artikel „offenbar nicht worden“, denn das hätte nach Regeln von Zeit Online kenntlich gemacht werden müssen.

Auch NZZ Folio, das monatliche Magazin der Neuen Zürcher Zeitung, hatte zwei Texte von Relotius veröffentlicht. Über einem davon, einer Reportage über eine finnische Friseurin, steht nun ein Text, in dem erklärt wird, dass das Magazin schon kurz nach der Veröffentlichung im Jahr 2014 auf Unstimmigkeiten hingewiesen worden und „zum bizarrsten Korrigendum gezwungen“ gewesen sei, „das wir je veröffentlichen mussten“. Schon damals seien der Name der Friseurin und das Bild korrigiert worden. In der Folge habe man von einer weiteren Zusammenarbeit mit Relotius Abstand genommen.

Offenlegung: Von August bis September 2008 war Claas Relotius Praktikant der taz in Hamburg. Aus dieser Zeit finden sich im Archiv unter seinem Namen zehn Texte. Die Beiträge wird die taz nun prüfen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wenn ein Premiumautor schon faked dann gibt es das bestimmt haüfiger.

    Bei CNN war neulich mal ein Korrespondennten-Text über Berlin, der total unglaubwürdig war.

    Gerade in anderen Ländern, bei Kriegsberichten und so, ist es total schwer das zu verifizieren.

  • Das sind aber auch alles so Artikel, die ich nie lesen würde, muss ich mal sagen.

    Wieso sollte ich mich für eine Familie interessieren, die ein Kind mit Down-Syndrom bekommen möchte? Ist doch deren Sache. Und auch finnische Friseusen sind nicht mein Fall. Zeitzeugeninterviews wie das mit Traute Lafrenz könnten schon interessanter sein, aber meistens wird sowieso nicht das gefragt, was mich interssiert. Nicht mal gefaked.

  • Ex falso quodlibet: Da man Menschen generell nicht alles glauben kann, kann man aus Ihrem Kommentar alles und nichts ableiten.



    Gut, dass Journalismus, ernst genommen, genau das hinterfragt und einordnet, was Menschen so glauben und sagen.

  • Hier ein sehr lesenswerter Artikel, der m.M.n. wie kein anderer verdeutlicht, was Relotius angerichtet hat: medium.com/@michel...-town-d92f3e0e01a7

  • Postfaktisches Zeitalter - die Welt will unterhalten werden. Die Medien tun ihr bestes!

    • @Ernst Lage:

      Schlimm, dass es in den Medien Leute gibt, die zum eigenen Vorteil von den Fakten abweichen. Zum Glück gibt es in "den Medien" aber den Willen, ihnen das Handwerk zu legen - wie hier. Wohl eine Sorgfalt, die noch stärker an den Tag gelegt werden sollte.



      Von den Medien aber generell Willigkeit zum Postfaktum zu unterstellen, ist einfach fatal.

      • @eijk:

        Das bezog sich auf den Kommentar von Rainer B. 2018-12-20 17:01.

        • @eijk:

          Eine generelle „Willigkeit zum Postfaktum“ unterstelle ich den Medien ebensowenig, wie einen generellen Willen zur Wahrhaftigkeit. Journalisten sind Menschen und Menschen verhalten sich nunmal überwiegend interessensgeleitet. Es gilt auch hier das Lustprinzip. Da sollte man sich doch erst gar nichts vormachen.

  • Tja, da ist nun der Herr Relotius über seine eigene Selbstherrlichkeit gestolpert und in den Modder gefallen. Nur der Herr Relotius?

    Ist es nicht der Größenwahn einer kompletten Branche, die sich als zum einzigen wahren Ritter zur Kontrolle der freiheitlich-demokratischen Grundordnung selbst geadelt hat?

    Man muss erst gar nicht die "Hitler-Tagebücher" heranziehen um daran zu zeigen, dass Profitgier über journalistische Korrektheit siegt.

    Axel Springer ist ein Pionier der Meinungsmanipulation durch die Berichterstattung. Wieviele seiner Reportagen sind frei erfunden und dienten nur nur zur Volksverhetzung. Die Aufdeckung durch Günter Wallraff war auch anderen M edien nicht angenehm. Es ist alltäglich.

    Denn längst hat es sich eingebürgert Trendartikel zu verfassen. Die Emotionalisierung und damit bewusst den Leser manipulierenden Schreibstil kennt man schon von der unseligen Esther Knorr-Anders aus den Siebziger Jahren.

    Das primitive "Ich frage den Leiter des Ordnungsamten der Gemeinde Hundeluft...", nebst gefühliger Darstellung der Protagonisten ist RTL-Jounaille und für denkende Menschen eine Zumutung.

    Wie ist es mit den Studenten, die als Crowdworker für Stern und anderen Lifestymagazinen vor einer leeren Whiskeyflasche sitzen, die sie sich nie werden leisten können und ihr "Irisches Abenteuer bei den Poteenbrennern" in den PC hacken?

    Wie steht es um die von der "Welt" bestellten Hetzartikel über saufende und rauchende Hartz IV - Schmarotzer, die statt bei der Tafel in der Tanke um die Ecke die dem Volk gehörenden Steuergroschen verbraten?

    Eine Presse, die so etwas zum Überleben braucht, weil sie nicht begreifen kann, dass der Leser für so einen Schmarrn kein Geld ausgeben will, muss eben in Kauf nehmen selbst zum Betrogenen zu werden.

    Selbstkritik ist keine Stärke von Journalisten, aber sie könnte der Erklärung für den Niedergang der Zeitungen dienen.

  • Journalisten sind auch nur Menschen, aber muss man ihnen deshalb gleich immer alles glauben?