Demos pro und contra Corona-Impfen: Es gilt das Vermummungsgebot

In der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Preetz treffen Geg­ne­r*in­nen und Be­für­wor­te­r*in­nen von Corona-Maßnahmen aufeinander.

Frauen halten ein Schild mit geimpften und ungeimpften Strichmännchen hoch mit der Aufschrift "Respekt"

Frommer Wunsch: Respekt füreinander trotz gravierender Meinungsverschiedenheiten Foto: Bernd Wüstneck/dpa

PREETZ taz | Die Männer, die mit Bierflaschen in der Hand vor dem Rewe am Preetzer Markt stehen, schauen interessiert zu, was sich da auf der anderen Seite des Platzes tut. Für so eine kleine Stadt – rund 16.000 Ein­woh­ne­r*in­nen – ist der Markt weitläufig und langgestreckt. Kopfsteinpflaster und weiße Fassaden prägen das Bild. Im Sommer sitzen Tou­ris­t*in­nen vor dem Eiscafé oder schlendern um den Brunnenstein.

An diesem Januarabend ist das Wasser abgestellt, und anstelle von Mü­ßig­gän­ge­r*in­nen versammeln sich Menschen, die „nicht dagegen, sondern dafür“ sind, ruft Steffen Gnutzmann. Er hat zu einer Demonstration pro Impfen aufgerufen. Es ist das zweite Mal, dass sich in Preetz, rund 15 Kilometer südlich von Kiel, Impf­be­für­wor­te­r*in­nen versammeln.

Aber auch die Geg­ne­r*in­nen sind da: Während die Kundgebung noch läuft, zieht am Rand des Marktes eine lange Reihe von Menschen vorbei – ohne Masken, ohne Abstände, dafür mit bunten Kinderlaternen und Lichterketten, die sich viele wie Schals umgewickelt haben. Zwischen beiden Gruppen steht die Polizei. Es ist der Abend, an dem der Landtag in Kiel die epidemische Lage ausruft und weitere Maßnahmen beschließt, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu stoppen.

Ein Mann aus den Reihen der Pro-Impfen-Demo stellt sich am Rand des Gegen-Zuges auf. „Nein, ihr seid nicht unfrei!“, ruft er. „Niemand schränkt eure Rechte ein!“ Es gibt kaum Antworten – merkbar achten die Impf­geg­ne­r*in­nen darauf, als ruhige, organisierte Gruppe aufzutreten.

„Impfen statt Schimpfen“

Nur als die Pro-Impf-Gruppe einen Sprechchor startet und „Impfen statt Schimpfen“-Rufe über den Platz hallen, schreien einige der Geg­ne­r*in­nen zurück: „Haltet die Fresse!“ Nein, überzeugen ließen die sich nicht, meint der Mann. „Die sind beratungsresistent.“ Aber hier aufzutreten, müsse sein: „Flagge zeigen, denen das Feld nicht überlassen, so das Übliche halt.“

Das sehen viele derer so, die sich auf dem Markt versammelt haben. „Preetz hat nur darauf gewartet, dass jemand etwas unternimmt“, sagt Tina Fenge. Sie gehört zu dem Team um Gnutzmann, das die Demos organisiert. Beim ersten Mal, am 3. Januar, folgten rund 200 Personen dem Aufruf. Ihnen gegenüber standen rund doppelt so viele Impfgegner*innen, die sich, wie in anderen Städten, zu einem „Spaziergang“ verabredet hatten.

Vor der Wiederholung gab Gnutzmann sich hoffnungsvoll. Das Ziel sei, „das Team der Impfgegner nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ in den Schatten zu stellen“, schrieb er. Doch das misslingt an diesem Abend: Wieder laufen weniger als 200 auf der Seite der Be­für­wor­te­r*in­nen von Corona-Schutzmaßnahmen mit, aber etwa 300 „Spaziergänger*innen“.

Die Be­für­wor­te­r*in­nen erklären das damit, dass die Geg­ne­r*in­nen aus einem weiten Umkreis zusammenkommen: „In den Straßen stehen lauter Autos mit Kieler Kennzeichen“, berichtet ein Demonstrant.

Während die „Spaziergänger*innen“ auf den Marktplatz strömen, warnt ein Polizist: „Behalten Sie bis zum Ende Ihre Masken auf.“ Dabei trägt niemand aus der Gruppe eine Maske

Nach einer kurzen Rede, in der Gnutzmann an die Toten durch Corona-Infektionen erinnert, zieht der Zug los. Mit dabei sind Aktive der „Fridays for Future“, vom „Bündnis gegen rechts“ und der „Omas gegen rechts“, eine junge Frau verteilt „pro Asyl“-Aufkleber. Die Stimmung ist ruhig, zu ruhig für Gnutzmann, der mehrfach dazu auffordert, die Botschaften, die man habe, auch zu verbreiten: „Wir sind kein Schweigemarsch!“ Eine kräftige Stimme meldet sich schließlich mit „Impfen ist – Solidarität!“

Vom Markt biegt der Zug in eine Straße, einige Autos müssen anhalten. Dann geht es in einen Fußweg parallel zum Markt, vorbei an einem Pflegeheim. Hinter den hohen Fenstern sitzen die Be­woh­ne­r*in­nen vor ihren Fernsehern, ohne auf die Demonstration zu achten.

Nach wenigen Minuten ist der Zug zurück auf dem Markt, und wieder zieht – am unteren Ende des Platzes – die Gegendemonstration vorbei. Die Pro-Impfen-Gruppe stimmt „Impfen ist – Solidarität!“an, jemand schreit zurück: „Fick dich!“ Nun gerät Bewegung in die Polizeiwagen: Sie rollen über den Markt, bilden eine dichte Doppel-Reihe vor der Gruppe der Impfbefürworter*innen, Be­am­t*in­nen in Westen stellen sich vor die Wagen.

Im nächsten Moment biegt der Zug der Maßnahmen-Gegner*innen auf den Markt ein. Ein paar Jugendliche gehen vorbei, sie schauen kopfschüttelnd von einer Gruppe zur nächsten. Ein Bärtiger mit karierter Jacke aus Gruppe der Biertrinker vor dem Rewe zeigt auf die Gegner*innen: „Ey, da sind unsere Leute.“ Die übrigen sind unentschlossen: „Ich bin doch geimpft“, sagt einer.

So ein bisschen rechts

Während die „Spaziergänger­*innen“ auf den Marktplatz strömen, warnt ein Polizist mit einem Megafon: „Behalten Sie bis zum Ende der Veranstaltung Ihre Masken auf.“ Dabei trägt niemand aus der Gruppe eine Maske, und der Megafon-Hinweis wird ignoriert, ohne dass die Polizei einschreitet. Stattdessen stimmen die 300 Maßnahmen-Gegner*innen Lieder an: „Die Gedanken sind frei“, schallt es über den Platz. Die Antwort ist ein Sprechchor: „Impfen ist Sicherheit“.

Nach einigen Minuten ist es vorbei: Beide Lager stehen etwas unentschlossen auf dem Platz, in der Mitte der breite Riegel aus Polizeiwagen. Langsam bröckeln hüben wie drüben Grüppchen ab. Der Bärtige mit der karierten Jacke verwickelt einen der „Spaziergänger“ in ein Gespräch: „Ey, ich bin ja auch so ein bisschen rechts …“ Der Angesprochene guckt gequält, weiß aber sichtlich nicht, wie er aus der Lage herauskommt.

Gnutzmann und seine Leute wollen auch in den kommenden Wochen weiter an jedem Montag demonstrieren und „Flagge zeigen“. Vielleicht, so hofft Gnutzmann, sei der eine oder die andere doch zu überzeugen.

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