Demokratieförderung: „Linker woker Quatsch“
CDU und AfD setzen politische Bildung und Demokratieförderung unter Druck. In Berlin eskaliert der Streit um die Landeszentrale für politische Bildung.
D er Tonfall war ungewöhnlich für eine Senatorin. Wer die „Steuerzahler:innen in Berlin fragt“, erfahre, dass diese „den Wunsch und den Drang nach einem Ende dieses Wildwuchses haben“, sagte die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) in der Fragestunde des Berliner Abgeordnetenhauses am 12. September. Günther-Wünsch sprach nicht von ungepflegten Grünanlagen, sondern von den Angeboten der ihr unterstellten Landeszentrale für politische Bildung.
Wie werde der „Bedarf für ein Angebot wie den Workshop ‚Siebdruck und (kritische) Männlichkeit‘ ermittelt?“, fragte sie. „Wie hoch ist die Nachfrage für ‚Antirassistisches Training für weiße Frauen‘?“ Es war eine selten unverhohlene öffentliche Kritik an der Arbeit einer Behörde in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich. „Muss das Angebot ausgeweitet werden, oder kann es in Teilen zurückgefahren werden?“, schloss die mit dem Bürgermeister Kai Wegner liierte Senatorin und ließ kaum Zweifel daran, welche Antwort sie auf diese Frage zu geben gedenkt.
Die Mittel der Landeszentrale sind seit 2014 von 1,2 auf 4 Millionen Euro im Jahr, die Mittel für das Landesprogramm für Demokratie von 2,4 auf 10 Millionen Euro angewachsen.
Die Berliner Zeitung machte im Mai eine große Geschichte über die CDU-Kritik an der Landeszentrale und warf die Frage auf, ob sie „Mitspielerin im ohnehin schon riesigen Universum des identitätspolitischen Aktivismus“ sein solle. Im August wurde bekannt, dass Günther-Wünsch eine „Stabsstelle politische Bildung und Demokratieförderung“ einrichten will. Jahresprogramm, Materialien und die Förderung einzelner Träger – inklusive der Landeszentrale – sollen künftig mit dieser Stabsstelle abgestimmt werden.
Online-Petition gegen CDU-Vorstoß
Rechtlich ist die Landeszentrale zwar seit jeher der Bildungsverwaltung – also aktuell Günther-Wünsch – unterstellt. Sie kann ihr Programm aber unabhängig erstellen. Das soll nach der Vorstellung der Union nun anders werden. Der Historiker Wolfgang Benz warnte vor „ideologischer Kontrolle wie in Sowjetzeiten“. Eine Online-Petition dagegen unterzeichneten rund 20.000 Menschen.
Die Vorwürfe seien „schlichtweg falsch und unwahr“, kanzelte Günther-Wünsch die Petition ab. Die Abstimmung mit der Stabsstelle diene einer „kohärenten und effektiven Projektförderung“. Die Behauptung, die Unabhängigkeit der Landeszentrale werde beschnitten, sei ihr „wirklich schleierhaft“.
Die sich ohnehin aus der Fachaufsicht ergebenden Rechte der Bildungsverwaltung so hinzustellen, zeige, was „wir in zunehmendem Maße unter dem Deckmantel von vermeintlich politischer Unabhängigkeit […] an Kampagnen […] im Zuwendungsbereich erleben.“
Die Landeszentrale muss unabhängig bleiben
Die Auseinandersetzung ziehe sich seit über einem Jahr hin, sagt Maja Lasić, die für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt und für die Landeszentrale zuständig ist. Es gebe eine „hocheskalative Debatte rund um die Unabhängigkeit der Landeszentrale“. Für Lasić gehören auch die Versuche dazu, den Umgang der Verwaltung mit den freien Trägern politischer Bildung neu zu regeln: „Die politische Motivation ist die gleiche.“
Es gehe der CDU dabei um „politisches Signaling ins konservative Spektrum“. Die dabei verbreitete Erzählung laute, dass die Landeszentrale 30 Jahre in den Händen der SPD war und dabei Bündnisse mit linken Partnern eingegangen sei. Die Folge sei angeblich eine „starke Fokussierung auf die Identitätspolitk“. Statt Bildung für alle anzubieten, gebe es „linken woken Quatsch“, das sei die Unterstellung. In Berlin sei diese Diskussion massiv hochgekocht worden und habe ihren bisherigen Höhepunkt mit Günther-Wünschs Auftritt im Abgeordnetenhaus Mitte September gehabt.
Auf Antrag Lasićs hat daraufhin das Kuratorium der Landeszentrale deren „öffentliche Infragestellung“ kritisiert. „Jegliche einseitige parteiliche Einflussnahme verbietet sich angesichts des fundamental wichtigen Auftrags“, heißt es in der Resolution. Das „öffentliche Bild“ der Landeszentrale dürfe „nicht weiter beschädigt“ werden.
Was in Berlin geschehe, sei Teil einer größeren Entwicklung, glaubt Lasić, die seit 15 Jahren in der Bildungspolitik tätig ist. Auch wenn es in Berlin bisher keine konkreten Streichungen bei der Landeszentrale gegeben habe, mache sie wütend, dass die Konservativen eine „unabhängige Institution in Misskredit ziehen. Die CDU provoziert das bewusst.“
3000 Euro für Siebdruckworkshop
Lasić sieht dies als Teil eines „Kulturkampfs an verschiedenen Fronten“. Dazu zählten auch die Angriffe auf den Minderheitenschutz – unter anderem bei der politischen Bildung. In den zehn Jahren der R2G-Koalition habe es im Bereich Antidiskriminierung „starke Investitionen“ gegeben. „Es gibt eine relevante Größe von Menschen, denen das zu bunt ist, und zu denen spricht die CDU.“
Die Berliner Landeszentrale selbst will sich nicht öffentlich äußern. Zu hören ist, dass der von Günther-Wünsch benannte Siebdruckworkshop 20-mal stattgefunden – und jeweils nur 150 Euro gekostet habe. Viel effizienter geht es vermutlich kaum.
Die Anwürfe gegen die Berliner Landeszentrale sind kein Einzelfall. Anfang Oktober schrieb der Bundesausschuss für politische Bildung (bap) – ein Zusammenschluss freier Bildungsträger – einen alarmierenden Brief. Man beobachte „zunehmende Versuche der Politik, die Zentralen der politischen Bildung stärker an die Regierung“ zu binden, heißt es darin. Überall zeige sich die „Tendenz zur Verstaatlichung der politischen Bildung“, sagte Wilfried Klein, bis vor Kurzem bap-Vorsitzender. Das sei „mit dem Selbstverständnis einer offenen, von einer kritischen Öffentlichkeit getragenen Zivilgesellschaft nicht vereinbar“.
In NRW habe die schwarz-grüne Landesregierung 2023 die Landeszentrale „zerschlagen, wichtige Aufgabenbereiche direkt an die Ministeriumsleitung gebunden“ und dem Rest der Landeszentrale die Mittel gekürzt. Erst nach erheblichen Protesten seien die Einschnitte „teilweise abgemildert“ worden. In Thüringen laufe der „löbliche Versuch, der Landeszentrale per Gesetzesgrundlage eine dauerhafte Existenz und Überparteilichkeit zu sichern, am Ende darauf hinaus, dass die Landeszentrale ihr Programm von der Parlamentsmehrheit billigen lassen muss“. Und auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung drohe die Verstärkung der ohnehin schon durch Eingriffe des Ministeriums geprägten „Fachaufsicht“, so Klein.
„Die Vielfalt ist ein Schatz“
Er sei „auch nicht mit allem einverstanden“, was es an politischen Bildungsangeboten gebe. „Aber das muss man aushalten, denn die Vielfalt ist ein Schatz.“ Wenn die Politik dies „engführen will, weil einem bestimmte Sachen nicht passen, wird es gefährlich“, sagt er. Eine politische Bildung, die einen Beitrag zur Stärkung der demokratischen, widerstandsfähigen Gesellschaft leisten soll, müsse kritisch sein. Das brauche Zentralen der politischen Bildung, „die unabhängig und im besten Wortsinne staatsfern sind. Im Augenblick beobachten wir das genaue Gegenteil.“
Viele, die in dem Bereich arbeiten, verorten die Wurzeln dieser Entwicklung bereits im Jahr 2011. Die damalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder hatte die sogenannte Extremismusklausel eingeführt. Dabei handelte es sich um eine schriftliche Erklärung, die Antragsteller für Mittel aus drei millionenschweren Bundesprogrammen zur Demokratieförderung abgeben mussten.
Sie mussten sich darin zur „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ bekennen – und unter anderem geloben, in Verfassungsschutzberichten zu prüfen, ob „Partner“ oder „Referenten etc.“ womöglich dort gelistet sind. Es dürfe „keinesfalls der Anschein erweckt werden, dass eine(r) Unterstützung extremistischer Strukturen […] Vorschub geleistet wird“. „Wer damit schon ein Problem hat, der demaskiert sich selbst“, sagte die Ministerin Schröder damals.
Sabine Achour, lehrt an der FU Berlin Politikdidaktik
Doch viele kritisierten die Klausel unter dem Dach der Initiative „Aktionstag gegen Bekenntniszwang“: Die Klausel behindere Projekte gegen Rechtsextremismus und kriminalisiere viele dieser Projekte als linksextremistisch. 2014 wurde die Klausel abgeschafft. Stattdessen wird heute meist im Zuwendungsbescheid geregelt, dass keine Steuergelder an extremistische Organisationen oder Personen gehen dürfen.
Björn Höcke will Zivilgesellschaft „trockenlegen“
Eine „Zäsur“ war Schröders Vorstoß, sagt heute der ehemalige Vorsitzende des bap, Wilfried Klein. „Dass ich nicht will, dass Verfassungsfeinde alimentiert werden, ist gar keine Frage. Die Frage ist, wie definiert man das?“ Ein „Generalverdacht in Richtung der Träger“ sei damals aufgekommen, der bis heute nachwirke – unter anderem in den Aktivitäten der AfD, die die „Trägerlandschaft scannt“.
Ein langjähriger ehemaliger Referent einer ostdeutschen Landeszentrale beschreibt die Partei vor allem als desinteressiert an fachlichen Fragen. Die Vertreter der Partei seien nur selten zu den Sitzungen des Kuratoriums erschienen, in denen ihnen per Parteiproporz Sitze zustanden. Er könne sich „an keine Sitzung erinnern, wo die was Inhaltliches gesagt haben. Das war denen zu unwichtig.“ Mittlerweile allerdings könne die AfD „vor Kraft kaum laufen und das erfordert eine gewisse Robustheit in der Auseinandersetzungsfähigkeit, die viele in der politischen Bildung nicht haben.“
Im Visier der AfD Thüringen seien weniger die Landeszentralen gewesen als vor allem die Demokratieförderprogramme, die von den Ländern im Kontext der Bundesprogramme aufgelegt würden – etwa „Demokratie leben“, die mobilen Beratungsstellen für die Opfer von Rechtsextremismus oder die Lokalen Partnerschaften für Demokratie. „Die sind das große Feindbild“, sagt der Referent.
Schon 2020 hatte etwa der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke angekündigt, „diese sogenannte Zivilgesellschaft, die sich aus Steuergeldern finanziert und sich daraus nährt“, bei einer Regierungsübernahme „trockenzulegen“. Der Staat dürfe „nicht als Ideologieproduzent auftreten“, sagte Höcke.
Mittel zur Demokratieförderung stark erhöht
Das Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft hat 1.268 Kleine Anfragen der AfD-Abgeordneten während der 6. Wahlperiode des Thüringer Landtages von 2014 bis 2019 ausgewertet. Es sei „belegbar, dass die Thüringer AfD versucht hat […], aus dem Parlament heraus einen autoritären Gegenangriff auf die Zivilgesellschaft und Demokratie in Thüringen durchzuführen“, heißt es in dem Bericht.
Häufig habe dies Projekte betroffen, die vom Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit finanziert wurden. Die AfD habe dabei „abwegige Vorwürfe (z. B. Verdächtigung der Nähe zum,Linksextremismus')“ artikuliert und teils „antiliberale, Grundrechte einschränkende bis demokratiefeindliche Forderungen (z. B. dass zugunsten der AfD in die Meinungs-, Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit anderer eingegriffen werden solle)“ aufgestellt. Letzteres offenbare die „instrumentell-strategische Einstellung“ der AfD gegenüber den Grundrechten.
Verstärkt hat diese Dynamik vermutlich auch der Umstand, dass mit Blick auf die Zunahme demokratiefeindlicher Einstellungen die Mittel für Demokratieförderung stark erhöht worden sind. 2015 startete etwa das Programm „Demokratie leben“ mit einem Jahresbudget von 40,5 Millionen Euro. Heute kann es über 182 Millionen Euro pro Jahr für etwa 700 Projekte ausgeben. Der Etat der Bundeszentrale für politische Bildung liegt im laufenden Jahr bei 96 Millionen Euro.
Dass durch das Projekt „Demokratie leben“ und das Demokratiefördergesetz so viel Geld in die politische Bildung fließe, sei „toll“, sagt Sabine Achour. Sie lehrt an der Berliner FU Politikdidaktik und ist Vorsitzende des Berliner Landesverbands der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung. Problematisch sei indes, wie der Staat die Ausgaben begreife.
Sie könne nachvollziehen, dass die Politik bestimmten Phänomenen entgegentreten wolle, mein Achour. „Man kann den Menschen in der politischen Bildung aber nicht gegenübertreten, wenn man sie vor allem als potenzielle Gefährder:innen begreift und sie damit in eine demokratiefeindliche Ecke stellt“, so Achour. „Da gibt es dann für die Muslime den Anti-Salafismus-Workshop und für den Mann aus Brandenburg ein Projekt, damit der nicht Nazi wird“. In einem solchen Verständnis stecke schon die Wurzel für weitergehende Versuche, die politische Bildung staatlicherseits zu instrumentalisieren.
Schulen haben Angst vor Markierung durch AfD
Diese seien heute „sehr viel stärker und ideologischer“ geworden. In NRW, Thüringen oder Berlin sei von konservativer und rechtskonservativer Seite sehr klar gemacht worden, dass man die Angebote der politischen Bildung als „Identitätspolitik“ oder „Islamversteherei“ sehe. „Die professionelle Arbeit der Träger wird infrage gestellt und für gesamtgesellschaftliche Probleme wie Antisemitismus verantwortlich gemacht.“
Ein „Angriff auf die Unabhängigkeit der politischen Bildung in der Demokratie“ sei das, zumal der Vorwurf auch in der Sache unberechtigt sei: „Es ist nicht so, dass es nur identitätspolitische Angebote gäbe.“ Im Berliner Abgeordnetenhaus habe sich denn auch nur die AfD hinter die Attacken der Union gestellt. Begründet würden die Anwürfe auch mit der Befürchtung, es könne Geld an Islamisten fließen. Der Palästinakonflikt spiele dem „in die Hände“, sagt Achour. „Die Rechten tun dabei so, als ob sie sich besonders gegen Antisemitismus starkmachen.“
Die AfD verfolge eine ganz ähnliche Agenda etwa an Schulen. Im Programm der Partei heißt es, an deutschen Schulen werde „oft nicht die Bildung einer eigenen Meinung gefördert, sondern die unkritische Übernahme ideologischer Vorgaben“. Das Klassenzimmer dürfe „kein Ort der politischen Indoktrination sein“. Die AfD wolle so in der Schulpolitik ebenso wie mit Blick auf die politische Bildung den Beutelsbacher Konsens „so instrumentalisieren, dass sie als Opfer erscheinen“.
Der Beutelsbacher Konsens legt die Grundsätze für die politische Bildung fest, er enthält unter anderem das sogenannte Überwältigungs- oder Indoktrinationsverbot. Demzufolge dürfen Lehrkräfte Schüler*innen nicht ihre Meinung aufzwingen, sondern sollen sie in die Lage versetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Die AfD interpretiere das so, dass sie selbst überall zu Wort kommen dürfe. „Das lässt sich daraus aber nicht herauslesen“, so Achour.
Gleichwohl schieße sich die Partei auf Bildungsträger ein, die sich gegen sie stellen. Achour erinnert an die Angriffe der Brandenburger AfD gegen die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein, die von dem sozialistischen Jugendverband Die Falken betrieben wird. Nach Anfragen, mit wem die Stätte zusammenarbeite, forderte die AfD 2020, Zahlungen zum „Schutz von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor linksextremistischen Inhalten“ zu stoppen und zu prüfen, ob bereits gezahlte Förderung zurückgefordert werden könne.
Zu den häufigsten Themen, die die AfD als „Indoktrination“ angreife, zähle „Identitätspolitik“ oder „das absolute Triggerthema Antifeminismus“, sagt Achour. Selbst wenn an Schulen, wie etwa am Berliner Fichtenberg-Gymnasium, Demos unter einem Motto wie „Nie wieder 1933“, das sich gar nicht explizit gegen die AfD gerichtet habe, organisiert würden, seien parlamentarische Anfragen die Folge. „Die AfD agiert da ganz gezielt, weil sie weiß, wenn sie Schulen und Lehrkräfte einschüchtern, laden die etwa bestimmte Stiftungen oder Träger nicht mehr ein.“ Achour berichtet von einem Treffen mit Vertretern aller politischen Stiftungen außer der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, die schon 2018 beklagt hätten, von „Schulen nicht mehr eingeladen zu werden, weil sie Angst haben, von der AfD markiert zu werden“.
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