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Debatte um die HaushaltskriseSpielraum trotz Schuldenbremse

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Weg mit der Schuldenbremse? Das ist unrealistisch. Man sollte das Karlsruher Urteil zum Haushalt genau lesen: Zusatzkredite sind weiterhin möglich.

Das Verfassungsgericht gibt der Ampel Möglichkeiten: Vorsitzende Doris König bei der Verkündung Foto: Uli Deck / dpa

D ie Forderung, die Schuldenbremse abzuschaffen oder umzugestalten, bringt zur Lösung der aktuellen Haushaltskrise nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nichts und lenkt nur ab. Eine Verfassungsänderung benötigt eine Zweidrittelmehrheit, die ist bis auf Weiteres nicht zu sehen. Punkt. Entscheidend ist, dass die Ampel sich darauf verständigt, die Möglichkeiten zu nutzen, die das Urteil dem Bundestag belässt. Beschlüsse zur Anwendung der Notlagenklausel sind mit einfacher Mehrheit des Bundestags möglich. Diese einfache Mehrheit hat die Koalition, hier ist sie handlungsfähig.

Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich nicht verboten, mehrjährige Konjunkturprogramme als Reaktion auf unabsehbare Notlagen mit Zusatzkrediten jenseits der Schuldenbremse zu finanzieren. Das Gericht hat dafür aber „jährlich wiederholte Feststellungen der Notlagensituation“ gefordert. Das heißt: Die Schulden dürfen nicht einmalig 2021 verbucht werden, wenn das Geld erst 2024, 2025 und 2026 ausgegeben wird.

Beim „Veranlassungszusammenhang“ zwischen Notlage und Geldausgeben hat das Gericht dem Bundestag sogar einen „Beurteilungsspielraum“ gegeben, und die Karlsruher Rich­te­r:in­nen haben ihre eigene „Kontrolldichte“ zurückgenommen. Allerdings muss die Begründung des Bundestags umso präziser sein, je länger die Ausgaben zeitlich vom auslösenden Ereignis entfernt sind. Nicht nur die Corona-Pandemie ist eine derart fortwirkende Großkrise. Auch der Ukrainekrieg, der einen weitgehenden Umbau der Energieversorgung erforderte, rechtfertigt juristisch die „jährlich wiederholte“ Durchbrechung der Schuldenbremse.

Es dürfte Finanzminister Christian Lindner leicht fallen, solche jährlichen Beschlüsse des Bundestags zu akzeptieren, wenn er sich daran erinnert, dass die FDP den Ausgaben ja bereits zugestimmt hat. Nach dem Karlsruher Urteil soll ja nicht mehr ausgegeben werden als geplant, die Ausgaben müssen nur präziser begründet und korrekt verbucht werden. Das sollte doch machbar sein.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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8 Kommentare

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  • Ich sehe den absoluten Notstand in der Frage, wie wir endlich einmal die FDP mit ihren permanenten populistischen Nebelkerzen loswerden können. Schuldenbremsen der FDP hindern die Feuerwehr daran , im Katastrophenfall tätig zu werden und das nur, weil Kubicki, Lindner & Co ihrer Klientel, der das in ihrem Überfluß egal zu sein scheint, gerecht werden wollen. Für mich ist das nicht im Sinne unserer Verfassung.

  • Ja, wir haben Spielraum weiter Schulden machen zu dürfen. Doch ist es bei jetzt schon über 2000 Milliarden Euro Staatsverschuldung nicht mal langsam Zeit das dysfunktionale Schuldgeldsystem (Negativ Money) zu überdenken?

    Möglicherweise wäre ein "Positiv Money System" der Demokratie, dem Staat als solches und allen Menschen die darin leben viel dienlicher.

    Siehe auch Positive Money org:

    positivemoney.org/

  • Danke für' s genaue Nachlesen, das lässt immerhin hoffen!

  • Die Ampel könnte auch erstmal ein bisschen sparen. Auch wenn es nur symbolisch wäre: braucht Habeck einen Hoffotografen für 400.000 pro Jahr? Braucht Baerbock eine Visagistin für 137.000 jähtlich? Muss das Aussenministerium dreimal soviel für Bewirtung ausgeben wie 2019? Diese Details erwecken den Eindruck als ob die Ampel lieber Geld rauswirft als sinnvoll investiert...

    • @Gerald Müller:

      Auch bei den Energiewendeprojekten sind Einsparungen möglich.

      Hochspannungsleitungen zu verkabeln ist Irrsinn und ein deutscher Sonderweg.

      Grüner Wasserstoff sollte aus sonnigen Ländern kommen, möglichst per Pipeline.

      Ein Ausbau der Bahnstrecke Bielefeld - Hannover überwiegend entlang der bestehenden kostet einen Bruchteil der Tunnelstrecke durchs Gebirge in Bau und Unterhalt.

  • Na endlich, ein realistischer Ansatz. Spinnen wir das mal weiter:



    Wie begruenden wir jedes Jahr Schulden fuers Klima? Nennen wir es "Verfassungsnotfall", der geheilt werden muss wenn die Klimaziele nicht erreicht werden.

  • Die FDP hier umfallen zu sehen, in ihrem Kernthema... ich kann das nicht. Das wäre so als wenn die Grünen zugeben würden, dass Umweltschutz wichtiger wäre als Klimaschutz, weil Klimaschutz eh völlig ineffizient ist.

    Ab dem 8. Dezember wird es offensichtlich werden, dass die Regierung ausgedient hat. Wobei mir echt unklar ist, wie man wegen den paar Personen, die dann Ihre Pension sicher haben (und vorher nicht hatten), so lange die Farce durchzieht.

    • @Mangahn:

      Brauchen wir so einen Clown wie den Typen, den verzweifelte Argentinier gerade gewählt haben oder geht es etwas professioneller ? Ich bezweifle ob Spahn, Lindner und Merz 'uns' helfen können....