Debatte um den Reformationstag: Die soll meine Schaufel nicht haben!
Sachsens Ministerpräsident warnt andere Bundesländer vor der Einführung eines weiteren Feiertags. Das erinnert an Sandkastengerrangel – und lässt Fragen offen.
Kinder haben einen Instinkt: Sie merken, dass am anderen Ende des Spielplatzes, da hinten, an der Rutsche, dem Klettergerüst und den drei Schaukeln vorbei, in der allerletzten Ecke, ein anderes Kind sich die grüne Schaufel gegriffen hat, die nicht ihm, sondern mir gehört. Ob dieser Ungerechtigkeit bleibt einem natürlich nicht anderes übrig, als vor Verzweiflung zu schreien, hinzurennen und dem diebischen anderen Kind ein, zwei auf die Mütze zu geben.
Zum Glück nimmt mensch aber ein paar Entwicklungsstufen, und irgendwann ist es ihm oder ihr hoffentlich egal, wer gerade mit welcher Schaufel spielt. Der Neid verfliegt einfach.
Michael Kretschmer scheint diese Entwicklungsstufen übersprungen zu haben. Anders ist kaum zu erklären, warum es ihn, den Ministerpräsidenten von Sachsen, stört, dass die BürgerInnen in der anderen Ecke Deutschlands auch am Reformationstag freihaben wollen – genau wie seine Sachsen.
Kretschmer warnte Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen davor, den Reformationstag als gesetzlichen Feiertag einzuführen, denn „gesetzliche Feiertage verteuern die Arbeit in Deutschland“. Es grenze an „Übermut“, wenn angesichts der wachsenden internationalen Konkurrenz deutschen Unternehmen neue Belastungen aufgeladen würden, sagte Kretschmer der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Zur Einordnung: Die vier Nordländer haben jeweils neun gesetzliche Feiertage, Sachsen hat elf. Unter anderem ebenjenen Reformationstag. Warum aber will Kretschmer diesen Tag nicht mit anderen teilen? Und warum schadet ein freier Tag im Norden der deutschen Wirtschaft, ein freier Tag in Sachsen aber nicht? Zählt Kretschmer Sachsen schon nicht mehr zu Deutschland? Oder muss sich die sächsische Wirtschaft nicht der internationalen Konkurrenz stellen? Und warum hält Sachsen ob der schlimmen Bedrohung durch die internationale Konkurrenz exklusiv am Buß- und Bettag fest?
So viele Fragen, die wir Michael Kretschmer stellen wollen, aber, Moment, da drüben hat doch gerade jemand unsere Schaufel …
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“