piwik no script img

Debatte um den 17. JuniEs fehlt uns ein Feiertag

Jonas Waack
Kommentar von Jonas Waack

Immer wieder fordern Politiker*innen, den 17. Juni zum Feiertag zu machen. Besser wäre es, die Mutigen von 1989 zu ehren.

Montagsdemo im Jahr 1989 in Leipzig Foto: Wolfgang Maria Weber/imago

J ahrzehntelang war in Westdeutschland der 17. Juni ein Feiertag: der Tag der deutschen Einheit. Erstmals 1954 gedachte die Bundesrepublik des Aufstands Hunderttausender in der DDR, die ein Jahr zuvor gegen noch längere Arbeitszeiten und später für freie Wahlen auf die Straße gegangen waren, bis die SED-Regierung zusammen mit sowjetischen Truppen die Proteste niederschlug.

Seit der Wiedervereinigung ist der 3. Oktober der Tag der Deutschen Einheit. Seitdem werden immer wieder Stimmen laut, den 17. Juni wieder zum Feiertag zu machen, zum Beispiel des Brandenburger CDU-Vorsitzenden Jan Redmann, des Bestseller-Ossi-Verstehers Dirk Oschmann und der Bundestagsfraktion der AfD. Doch bevor der niedergeschlagene Aufstand zum Feiertag gemacht wird, sollte viel dringender der erstaunlichen Leistung der friedlichen Revolution gedacht werden.

Der 3. Oktober kann das nicht: Die Wiedervereinigung in diesem Tempo ist das zweifelhafte Verdienst von Helmut Kohl. Hier feiern wir die Elite der alten BRD dafür, wie fein sie Deutschland wieder ganz gemacht hat. Der 17. Juni wiederum würde feiern, wie die Ostdeutschen den Kampf um ihre demokratischen Rechte verloren haben. Hier lässt sich eine schöne Geschichte über das Martyrium der armen, unterdrückten Ostdeutschen erzählen.

Was fehlt, ist ein Feiertag zu Ehren der Mutigen, die in den 1980ern die Grundlage für die friedliche Revolution legten und als Erste montags auf die Straße gingen. Viele von ihnen waren gegen die überstürzte Wiedervereinigung und fühlten sich immer unwohler, als die demokratischen „Wir sind das Volk“-Rufe zum nationalistischen „Wir sind ein Volk“ mutierten.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Der 20. September bietet sich an, an dem 1983 das erste Friedensgebet stattfand, oder der 9. Oktober, an dem 1989 erstmals montags Zehntausende demonstrierten. Damit würde nicht wie am 3. Oktober der Politiker oder am 17. Juni einer ostdeutschen Niederlage gedacht werden, sondern eines der größten demokratischen Sternstunden der deutschen Geschichte: des friedlichen, von der ostdeutschen Zivilgesellschaft erwirkten Sturzes der SED-Diktatur.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jonas Waack
Klima-Redakteur
Jahrgang 1999, zuständig für Klima-Themen im Ressort Wirtschaft und Umwelt. Stadtkind aus Mecklenburg, möchte auch sonst Widersprüche vereinbaren. Bittet um Warnung per Mail, falls er zu sehr wie ein Hippie klingt.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Wenn Ditschl etwas nicht braucht, dann einen weiteren Feiertag, für oder gegen was auch immer.



    Im Gegensatz dazu würde ich die ganze Feiertags-Wirrnis einmal ordentlich durchforsten, zuvörderst die unsäglichen Donnerstag-Feiertage abschaffen sowie andere Feiertage wie den Nationalfeiertag immer auf einen Montag legen. Denn da hat der Autor recht: Wann sich wer feiern lässt, ist eigentlich gleich.



    Stattdessen bekommen alle Menschen drei zusätzlich Urlaubstage gesetzlich zugestanden. Damit würde auch endlich der Brückentage-Wahnsinn ein Ende finden.

  • Ausgezeichneter Kommentar. Mir geht das konservative "Gedöns" der deutschen Presse auf die Nerven. Dieses Engagement der DDRler,innen muss als demokratisches Bespiel gefeiert werden. Und die Lehre wie solche Buergerbewegungen gekonnt vom "freien Westen" geschluckt werden.

  • Es war immer ein guter Schuss Heuchelei bei den Feierlichkeiten zum 17. Juni dabei. Und eine ordentliche Prise an politischer Propaganda.



    Das gehört zur historischen Wahrheit dazu.

    Ähnlich wirkt es bei den Bemühungen um den Feiertag zur Erinnerung an den Herbst 89.

    Ich stimme dem Kommentar vollständig zu - besonders der Stelle:



    "Viele von ihnen waren gegen die überstürzte Wiedervereinigung und fühlten sich immer unwohler, als die demokratischen „Wir sind das Volk“-Rufe zum nationalistischen „Wir sind ein Volk“ mutierten."

    Ich kann mich dieses Unwohlseins auch bei mir und meinen Freunden noch deutlich erinnern.



    Und genau das macht einen allgemeinen Feiertag schwer vorstellbar:



    Genau diese "Wir sind ein Volk"-Rufer werden diesen Tag als erste für sich reklamieren. Hier würde sich bei einer Befragung sicher eine unheimliche Schnittmenge zur AfD-Wählerschaft feststellen lassen.

    Viele der Protestler der ersten Stunde, die ein anderes, ein besseres Deutschland wollten, sind mittlerweile verstummt und haben resigniert.



    Ich glaube nicht, dass diesen Menschen ein Feiertag so übermäßig wichtig ist.