Debatte um Grundrechte in Berlin: Rot-Rot-Grün demonstriert gegen Senat
Der Rechtsausschuss stimmt für ein uneingeschränktes Versammlungsrecht. Die Koalition kritisiert in der Debatte den eigenen Senat scharf.
Auf der Tagesordnung stand vor allem deren gänzliche Wiederherstellung sowie die Freiheit der Religionsausübung. Bei Ersterer gilt derzeit, dass Versammlungen nur bis zu einer Obergrenze von 50 Menschen erlaubt sind; ab 25. Mai dürfen es 100 sein. Demonstrationen sind verboten.
Diese Grenze sei „völlig willkürlich“, sagte der Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg (Linke). Faktisch sei angesichts der Auflagen das Grundrecht in erheblicher Weise eingeschränkt, erklärte Sven Kohlmeier (SPD). Beide verwiesen als Beispiel auf die Versammlungen am Samstag, sowohl von Anhängern von Verschwörungsideologien als auch von deren Gegnern.
Dabei sei es am Alexanderplatz und rund um dem Rosa-Luxemburg-Platz zu absurden Szenen gekommen, so Kohlmeier. Während in den Schlangen vor den Geschäften oft kein Abstand eingehalten wurde, habe die Polizei unmittelbar daneben deswegen Teilnehmer von Protesten ausgeschlossen und teilweise abgeführt. „Das Grundrecht auf Konsum hatte mehr Gewicht als das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit“, kritisierte Schlüsselburg. Und Kohlmeier betonte in Richtung Innensenator: „Demokratie lebt von Meinungsfreiheit und vom Versammlungsrecht.“
Sebastian Schlüsselburg, Linke
Nur mit Hygienekonzept
Rot-Rot-Grün im Ausschuss forderte deswegen die Aufhebung aller Einschränkungen auf Versammlungsfreiheit in den Coronaverordnungen; die Anmelder eines Protests müssten allerdings ein Hygienekonzept vorlegen und dafür sorgen, dass Abstandsregeln eingehalten werden. Auch die Ausübung der Religion müsse wieder uneingeschränkt möglich sein, unter Beachtung der Abstandsregeln, heißt es in dem Antrag. Er wurde einstimmig von allen Fraktionen angenommen.
Er hoffe, dass der Senat am Dienstag diese Entscheidung als „politisches Votum“ erkennt, sagte Kohlmeier und fügte hinzu: „Die Zeit der Exekutive ist vorbei, der Parlament ist der Gesetzgeber.“
Ob der Senat das auch so wahrnimmt? Innenstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) sprach im Ausschuss von einem „Zielkonflikt“ zwischen Grundrechten und Pandemiebekämpfung. Es sei schwierig, große Versammlungen zu kontrollieren, die sich nicht einem Hygienekonzept unterwerfen wollten.
Vielleicht war Gaebler sauer, weil auch er aus der eigenen Partei hart angegangen worden war. „Es ist eine Sauerei, wie der Senat mit dem Parlament umgeht“, hatte Kohlmeier erklärt. Der Grund: Schon vergangenen Mittwoch hatte der Ausschuss über die Versammlungsfreiheit diskutieren wollen. Doch aus formalen Gründen wurde er daran gehindert: Der Senat hatte die Verordnung zu spät übermittelt. Gaebler, zerknirscht: „Den Weg, den die Verfassung vorgibt, werden wir in Zukunft auch sicherstellen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste