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Debatte um Deutschlands VerlässlichkeitStirnrunzeln über Taurus-Leak

Nach den Veröffentlichungen ist Schadensbegrenzung angesagt. Die diplomatischen Kanäle laufen auf Hochtouren – mit ungewissem Ausgang.

Nase zu und durch: Scholz bei seinem Pressetermin in Sindelfingen Foto: Wolfgang Rattay/reuters

Berlin taz | Es sind rund 30 Minuten, die es in sich haben und eine mittlere diplomatische Krise ausgelöst haben. Führende deutsche Offiziere diskutieren via Online-Call über eine mögliche Lieferung der Marschflugkörper Taurus an die Ukraine. Die panzerbrechende Kriegsgeräte haben eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern, brauchen eine spezielle Programmierung, ihre Nutzung bedarf Ausbildung und Expertise. Die russischen Nachrichtendienste fangen den Call ab und reichen ihn an Russia Today weiter.

Die Veröffentlichung ist vor allem deshalb brisant, da sich Kanzler Olaf Scholz nur wenige Tage zuvor vehement gegen eine Taurus-Lieferung gestellt hat. Mit der Begründung, dass russisches Territorium getroffen werden könnte. Genau diesen Ball nimmt nach den sogenannten Taurus Leaks nun die russische Regierung auf und sorgt für Empörung in der Bundesregierung.

„Die Aufnahme … besagt, dass innerhalb der Bundeswehr Pläne für Angriffe auf russisches Territorium inhaltlich und konkret diskutiert werden“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Ein Sprecher der Bundesregierung sprach dagegen von einer „absurden, infamen russischen Propaganda“. Die Führung in Moskau versuche den Westen und Deutschland mit der Veröffentlichung des Mitschnitts zu spalten. Kanzler Scholz machte erneut deutlich, dass er keine Möglichkeit zur Lieferung der Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 Kilometern sieht.

In besagtem Mitschnitt betonen die Bundeswehr-Spitzen, dass weder Scholz noch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) eine positive Entscheidung getroffen hätten. Sie kommen auch zum Schluss, dass es kaum möglich sein wird, Taurus kurzfristig zu liefern, ohne dass deutsche Soldaten an der Zielauswahl beteiligt wären. Bei einer langen Ausbildung – die Rede ist dabei von acht Monaten – könnte die Ukraine selbst in der Lage sein, den Marschflugkörper Taurus zu bedienen. Allerdings auf Grundlage deutscher Daten.

Scholz bleibt beim Nein

Scholz bekräftigte am Montag bei einem Besuch in Sindelfingen in einer Diskussion mit Schülern, dass er keine Möglichkeit für eine Lieferung sieht. „Es kann nicht sein, dass man ein Waffensystem liefert, das sehr weit reicht und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensystem stattfinden kann“, sagte er. „Und wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das für mich ausgeschlossen.“ Der Kanzler kritisierte zudem erneut, dass in der deutschen Debatte nur über ein Waffensystem gesprochen werde, aber nicht darüber, dass Deutschland weit mehr Militärhilfe als jedes andere europäische Land leiste.

Am Montag dementierte das Auswärtige Amt, dass der deutsche Botschafter in Moskau vorgeladen worden sei. Das Gespräch im russischen Außenministerium sei länger geplant gewesen, hieß es. Der russische Ex-Präsident und Vizevorsitzende des nationalen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedjew, drohte Deutschland erneut – wie auch schon am Wochenende. In Berlin hieß es, dass man sich angesichts wiederholter Drohungen aus Moskau davon nicht beeindrucken lasse.

Doch wie hoch ist nun der außenpolitische Schaden? Vertreter der Bundesregierung halten sich bedeckt und wiegeln ab. Doch die Krisendiplomatie läuft auf Hochtouren. Außenministerin Annalena Baerbock fliegt am Dienstag nach Paris, um den französischen Außenminister Stéphane Séjourné zu treffen. Am Donnerstag wird ihr britischer Amtskollege David Cameron in Berlin erwartet. Anders als Scholz gilt Baerbock als Befürworterin einer Taurus-Lieferung an die Ukraine. (mit dpa, rtr)

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14 Kommentare

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  • Jetzt wissen wir, dass es eine Lücke gibt, die zu schließen ist. Das ist doch positiv. Medwedews Gekläffe ist irrelevant. Dass einem überfallenen Staat mit jedem Recht jede Hilfe geleistet werden kann, wissen auch die Kläffer. Dass Militärs alle Optionen erörtern, wissen die Kläffer auch. Es geht bei der gespielten Aufregung wohl vor allem um die weitere Aufwiegelung und Hasserziehung der eigenen Bevölkerung.

  • Der wirkliche Skandal ist doch, dass Scholz in seinem Kommentaren zum Geschrächs-Leak unterstellt, dass amerikanisches u. britisches Personal (Nato-Personal) in der Ukraine aktiv an der Zielprogrammierung von Waffen beteilige. Er tut dies, um sein inzwischen unglaubwürdig geworden Taurus-Narrativ zu retten. Moskau weiß um die Bredouille, in der sich Scholz befindet, und nutzt sie eiskalt aus.



    Das Gespräch der Generäle liefert dagegen kaum Überraschendes. Es wird festgestellt, dass ein Ausbildung am neuen Waffensystem erfolgen muss. Daran ist wahrlich nichts überraschend. Schließlich wurden Ukariner an allen möglichen (weitreichenden) Waffen ausgebildet - incl Kampfflugzeuge, die natürlcih auch russisches Gebiet erreichen können. Nirgendwo wird gesagt, dass eine BW-Personal in der Ukraine quasi das Ziele an den Marschflugkörper einstellen und diese quasi entsichern müsse. Ausbildung heißt bedienen zu lernen -mehr nicht. Für das Basistraining reichen offenbar kurze 2 Wochen. Man kann dann auf gehärtete Munitiondepots schießen, die den vorhandenen Waffen Probleme bereiten. (Genau hierfür eignet sich Taurus) Für das Fernzielen auf die grazilen Pfeiler der Krim Brücke muß länger trainiert werden. 16 Wochen ist die Schätzung der Generäle. Hier geht nur um Reichweite von Taurus. Taurus fliegt nur weiter als Storm Shodow und kann die Brücke überhaupt erreichen.



    Wichtig ist aber auch: Man erkennt auch bei diesem Beitrag, dass durch das Weglassen von Teilinfomation plötzlich ein merklicher Bias entsteht und die ursprüngliche Nachricht ihren Charakter verändert.

  • Der Umgang des Bundeskanzlers ist verantwortungsbewusst.



    Da können Taurus BefürworterInnen noch so oft behaupteten, dass ein potentieller Einsatz keine Kriegsbeteiligung darstelle, Moskau sieht das offenbar anders. Und das ist, was zählt.



    Wir können uns letztlich nicht hinter der Meinung des ein oder anderen "Experten" verstecken.



    Die deutsche Gesellschaft scheint nach mehr Waffen zu schreien, zum Krieg ist sie jedoch nicht bereit.



    Wer soll den auch führen, in einem Land, dessen Eltern einen potenziellen Wehrdienst ihrer Kinder als



    " Zwangsarbeit" betrachten?



    Es ist richtig, die Ukraine bei Ihrer Verteidigung zu unterstützen. Sie beim Angriff auf Moskau zu unterstützen, wäre ein gefährlicher Irrweg.



    Was wir brauchen, ist ein Ende des Blutvergießens, ein dritter Weltkrieg ist keine Lösung.

  • 150 Taurus sind derzeit einsatzbereit, von ca. 500.



    die werden nicht kriegsentscheidend sein.

    aber schön dass der Fokus auf ihnen liegt

  • Das Gezeter der russischen Regierung zeigt nur, dass sie die Taurus wirklich fürchten. Daher jetzt unbedingt liefern!

  • Die Grünen werden radikal militant und sind für Kriegswaffenlieferungen, die den nächsten Atomkrieg auslösen können? Klingt hier zumindest so (Baerbock und Hofreiter).

    Dass ich das mal erleben darf. Von Friedensökos zu Kriegstreibern, Respekt.

    Kein Wunder dass Deutschland in der EU das Land mit der größten Unterstützung für die Waffenindustrie ist.

    Man kann mit den russischen Invasoren auch anders umgehen! In einem Krieg verlieren alle!

    • @realnessuno:

      Da wäre ich auf Vorschläge, wie man mit den russischen Invasoren anders umgehen kann, sehr gespannt!

    • @realnessuno:

      Selbstschutz und die Selbstverteidigung der Ukraine sind eindeutig Selbstverteidigung.

      Was Russland macht seit 500 Jahren, dass ist sehr eindeutig, monströse, blutrünstige Kriegstreiberei

    • @realnessuno:

      Es herrscht bereits Krieg. Wenn Russland diesen Krieg gewinnt DANN verlieren wir alle.



      Wie kann man denn der russischen Aggression sonst begegnen?

    • @realnessuno:

      Nebenbei hat man bei den Grünen den Tierschutz auch noch beiseite gelegt haben - siehe das "Tierschutzgesetz in der Landwirtschaft" von Herrn Özdemir - bleibt die Frage, was dann übrig bleibt.

  • Dass die Russen unter Putin einen hybriden Krieg gegen den Westen führen ist ja nun keine Neuigkeit. Insofern ist es auch naheliegend, dass spioniert und abgehört wird wo es nur geht. Dass das nun wiedermal bekannt geworden ist, bedeutet doch nur, dass wir eben technisch nicht auf dem neusten Stand sind, wegen jahrelanger Spar- und "Friedens"politik, und deshalb dringendst die Bundeswehr modernisieren müssen. Das kostet sehr viel Geld, wird aus dem jetzigen und auch allen kommenden Haushalten nicht zu finanzieren sein, weshalb die Schuldenbremse, wenn nicht fallen, so doch reformiert werden muß, was ja einige politische Kräfte abstreiten und lieber die Schwächsten der Gesellschaft in Armut und Elend stürtzen wollen, als die Schuldenbremse zu reformieren. Putin freut das alles sehr und die Ukraine muß es ausbaden, bis wir dann dran sind. Ob Taurus ein game-changer sein würde ist fraglich. Fakt ist aber, dass die Mängel und Engpässe in der militärischen Unterstützung auf unser aller Konto geht, auch das der EU-Mitglieder. Im Grunde müßten wir einer Art Kriegswirtschaft zustimmen, wovor wir aber Angst haben. Die Russen machen das ohne wenn und aber und das wird uns noch auf die Füße fallen!

    • @shitstormcowboy:

      Ein eingewählter User, den niemand bemerkt angeblich? Ich glaube dafür gibt es kein "Sicherheitssystem", das ist bestenfalls Dummheit pur. Da können wir noch weiter 100, oder 1000 Milliarden da rein stopfen.

    • @shitstormcowboy:

      "Ob Taurus ein game-changer sein würde ist fraglich." Eben doch. Das zeigt schon das Gezeter der Russen. Die blanke Angst.

    • @shitstormcowboy:

      Es scheint auch wieder geboten, zu alten Steuersätzen zurückzukehren, die im Kalten Krieg normal waren.

      Ansonsten muss ich Ihnen wohl leider zustimmen. Es sind düstere Zeiten.