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Debatte über Verzicht in der KlimakriseSparen fürs Klima

Gastkommentar von Bernward Gesang

Verzicht auf den Energieverbrauch muss nicht immer weh tun. Nur mit Verschwendung aufzuhören, wäre schon ein wesentlicher Schritt.

Noch verschwendet: Beleuchtung in der Stuttgarter Innenstadt Foto: Christoph Schmidt/dpa

D ie weltpolitische Lage ist wirklich deprimierend. So deprimierend, dass manche Menschen gar keine Nachrichten mehr hören wollen. Dabei entgeht uns, dass bei allen Widrigkeiten nun in die Klimakrise Bewegung kommt. Europa verhandelt über ein ehrgeiziges Klimaschutzpaket, Deutschland hat zwei ehrgeizige Klimaschutzpakete verabschiedet.

Die USA haben immerhin ein großes Klimapaket beschlossen, Australiens Regierung scheint den Ernst der Lage zu erkennen und auch Kolumbien und nach den nächsten Wahlen nimmt vielleicht auch wieder Brasilien den richtigen Kurs auf. Nun könnte man sagen, das reicht alles nicht. Das ist richtig. Aber es ist viel mehr in Bewegung als in den letzten Jahren.

Zudem haben wir jetzt die Chance, Energiesparen als zusätzlichen Hebel für den Klimaschutz zu entdecken und so die Lücke, die die internationalen Bemühungen offenlassen, zu verkleinern. Der unglückselige Krieg in der Ukraine und das Bestreben, Gas aus Russland einzusparen, hilft uns dabei. Es sollte endlich in die Debatte dringen, dass all die Sparmaßnahmen von öffentlicher verordneter und privater freiwilliger Hand auch einen Klimaeffekt haben.

Längst hätte man sie unabhängig von der Gaskrise vorantreiben sollen! Von diesen Gedanken kommt man schnell zu der Forderung, dass diese und noch mehr Maßnahmen dauerhaft unsere Klimapolitik flankieren sollen. Wir brauchen nachts keine beleuchteten öffentlichen Gebäude, während die Straßen völlig menschenleer sind. Bei uns hat sich Wohlstandsspeck eingeschlichen, der neutral betrachtet schlicht Verschwendung ist.

Kostengünstige Sparpotentiale finden

So ist es sehr wohl zumutbar, im Winter einen Pulli mehr anzuziehen, anstatt die Heizung aufzudrehen. Auch die Industrie hat Möglichkeiten, Energie und damit Kosten zu sparen. Schätzungen zufolge ließen sich mindestens 20 Prozent insbesondere bei Druckluft, Pumpen, Ventilatoren und Abwärmenutzung einsparen, wenn allen die richtigen Informationen bekannt wären, die etwa das Umweltbundesamt zusammenstellt.

Und wenn kurzfristige Investitionen für langfristige Gewinnpotenziale genügend gefördert würden. Dass diese Potenziale immer noch brachliegen, ist angesichts der Klimakrise genau so ein Skandal wie die Tatsache, dass es erst eine Gaskrise brauchte, um Einsparungen überhaupt zu diskutieren. Diese Lücken sind nun schleunigst und verbindlich – nicht erst irgendwann und freiwillig – zu schließen. Insofern liegt sogar in der vertrackten Situation eine Chance für die Zukunft.

Es geht nicht um das Sparen, das weh tut, sondern es geht um sparen, das uns kaum etwas kostet oder sich sogar rechnet. Wir sollten uns bemühen, weitere kostengünstige Sparpotenziale ausfindig zu machen und zu verselbstständigen. Völlig unverständlich, warum in der Coronakrise die Wirtschaft plötzlich stillstehen konnte und in der Gaskrise plötzlich von Russland unabhängig werden kann, aber uns die Wälder abbrennen und die Ernten vertrocknen. Warum ist das für das Klima nicht drin?

Die beschriebenen Sparmaßnahmen gilt es langfristig zu denken. Dementgegen sollten politische Maßnahmen zur Energieversorgung derzeit stets daraufhin beobachtet werden, dass sie fossile Energien nur kurzfristig anvisieren. Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz im Senegal Gasfelder erschließen will, ist das Irrsinn, denn dieses Gas kommt erst in einigen Jahren, wenn wir es eigentlich nicht mehr brauchen sollten.

Langfristig nur auf Erneuerbare setzen

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Regierung einen heimlichen Rollback veranstaltet, was sich auch durch langfristige Planung für Flüssiggas-Terminals abzeichnet. Wenn man von langfristigen Lieferverträgen der EnBW für 20 Jahre zusätzliche Gaslieferungen liest, erkennt man, dass die Gaskrise und die allseits zu spürende Angst schnell für den großen Reibach missbraucht werden können.

Weil alles wahnsinnig schnell gehen muss, wird vieles durchgewinkt, was Unsinn ist. Es bedarf für Energiesicherheit keiner Absicherung der Erneuerbaren durch Grundlast, die rund um die Uhr verfügbar und etwa wie Atomkraft kaum spontan regulierbar ist. 100 Prozent erneuerbare Energien sind auf Dauer möglich mit den bekannten erneuerbaren Technologien, Speichern und intelligent verschalteten Netzen.

Es wäre zu einfach, den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen, dass alles internationale Bestreben der Politik nicht ausreicht, um die Krise zu bewältigen. Es nutzt ja nichts. Wir stehen vor der Wahl, energisch Klimapolitik zu betreiben, oder zu sagen, das kommt alles viel zu spät, wir lassen es gleich. Das beinhaltet allerdings die Möglichkeit, dass wir die Flinte zu früh ins Korn werfen und an einem Punkt aufgeben, an dem nicht zu wissen ist, ob der Zug bereits abgefahren ist oder nicht.

Das ist angesichts der vergleichsweise geringen Kosten für den Klimaschutz und der drohenden katastrophalen Folgen seines Scheiterns völlig unverantwortlich! Spenden für funktionierende Klimaschutzprojekte im globalen Süden würden zugegebenermaßen eine deutlich größere Reduktion von Klimagasen zur Folge haben als die diskutierten privaten freiwilligen Sparmaßnahmen, wie etwa kürzer zu duschen. Sie sind dennoch gerechtfertigt, weil sie kaum Kosten verursachen.

Kostspielige private Sparmaßnahmen sind nicht notwendig. Als Verbraucher auch nur ein Jahr auf Fleisch zu verzichten, verhindert 450 Kilogramm CO2-Emissionen. Laut Fleischpreis-Index ließen sich durch den Verzicht 651,22 Euro einsparen. Dieser Betrag ließe sich wiederum in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern investieren, um weitere 28.300 Kilogramm CO2-Emissionen einzusparen.

Derartige Spenden fördern allerdings nicht die Energieautarkie, und sie sollten nicht als Lösung betrachtet werden von Menschen, die nur spenden, ohne auch auf eigenen Verzicht zu setzen. Beides ist nötig. Klimaschutz passiert jetzt oder nie. Durch uns oder keinen!

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10 Kommentare

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  • CO₂ entsteht bei jeder Form menschlicher Wirtschaftstätigkeit und es verbleibt Jahrhunderte in der Atmosphäre. Diese zweifelsfrei richtige Tatsache wird nach wie vor und auch in dem Gastkommentar ausgeblendet, wenn Investitionen in parallele Infrastrukturen (nicht nur) zur Energiegewinnung oder zur Energieeinsparung (Dämmung, Duschköpfe, Wärmepumpen etc.) gefordert werden. Das freigesetzte CO₂ bleibt ein Vielfaches der „Lebenszeit“ dieser Investitionsgüter in der Atmosphäre. Es entsteht ebenso bei der Herstellung von Konsumgütern wie Smartphones oder Unterhosen. Und wer kommt schon mit einer Unterhose durchs Leben?



    Investitionen haben immer das primäre Ziel, dass sich das investierte Kapital vermehrt. Entweder kurzfristig oder langfristig. Niemand investiert sein Geld, damit es weniger wird. Was mit dem leistungslos gewonnen Geld geschieht, wofür es ausgegeben oder reinvestiert wird, setzt wiederum CO₂ frei. Das ist alles nicht neu. Aber es ist ein Zusammenhang, den wir lieber verdrängen, als über grundsätzliche Veränderungen unserer Wirtschafts- und Lebensweise nachzudenken. Unsere Ökonomie ist nicht genossenschaftlich oder gemeinnützig ausgerichtet!



    Verantwortlich für den Klimawandel ist unser Wirtschaftssystem, das mit der Industrialisierung begonnen hat und heute mit aller politischen Macht und mit Bezugnahme auf (selbsterzeugte) ökonomische „Sachzwänge“ verteidigt wird. Mit künftigem Erdgas aus dem Senegal, Wasserstoff aus Kanada, Marokko, LNG aus Australien, …, Befristung von Energiesparverordnungen und Verteidigung der „freien Fahrt für freie Bürger“.



    Zu Spenden: Gespendet wird Geld, wenn man es sich leisten kann, man dafür auf nichts verzichten muss, fürs gute Gewissen, für einen subjektiv guten Zweck oder von Unternehmen aus Marketinggründen. Ich will das nicht schlecht reden. Aber aus edlen/uneigennützigen Motiven spenden nur die Ärmsten, die sich ihre kleine Spende vom Mund ab sparen, um Katastrophenopfern hier und anderswo zu helfen.

    • @Drabiniok Dieter:

      'Investitionen haben immer das primäre Ziel, dass sich das investierte Kapital vermehrt. Entweder kurzfristig oder langfristig. Niemand investiert sein Geld, damit es weniger wird. Was mit dem leistungslos gewonnen Geld geschieht, wofür es ausgegeben oder reinvestiert wird, setzt wiederum CO₂ frei.'



      Das ist zu kurz und prähistorischen gedacht. Immer mehr Menschen investieren ihr Geld damit es nicht mehr wird, sondern das damit eine Lebendwertsteigerung erfolgt. Nicht der schnöde Geldzugewinn, wie im Aktiengeschäft und im Cumex Geschehen sonder der Wertzugewinn durch erwirkte Einsparung von CO2 und Kosten ist der wirtschaftliche und ökologische Gewinn für den Investor. So wird das Geld nicht weniger, sondern die Kosten werden weniger und der CO2 Ausstoss geht zurück. Die Kosteneinsparung von 650 Euro durch gleichzeitige CO2 Einsparung von 450 kg sollte anschließend in weitere Einsparkonzepte investiert werden, die wiederum eine Kostenreduktion und CO2 Einsparung bewirken und nicht nur eine CO2 Einsparung allein bewirken.



      Das praktizierte ich seit Jahren und habe damit keinen Geldverlust sondern Kostenverlust bei gleichzeitiger CO2 Einsparung. Warum die 650 Euro nicht in eine Balkon-PV- Anlage investieren. Die spart bis zu 20% Strom und reduziert nach einem Jahr Betrieb täglich CO2.

  • Es ist eine Krise in der Krise, dass eben die Gewählten unglaubwürdig geworden sind und durch ihr Zögern bei den Taten es immer noch nicht hinbekommen, den Umbau zu den Erneuerbaren zu einer Gemeinschaftsaufgabe werden zu lassen. Warum wird in den Kommunen nicht quartiersweise die Photovoltaik vorangebracht in Stromerzeugergenossenschaften und von Handwerkern, die nicht von jedem Hausbesitzer selbst bestellt werden müssen, sondern gleich für den ganzen Stadtteil zuständig sind. Warum tun sich die Betroffenen nicht zusammen und bringen die Kommunen auf Trab für ein gemeinsames Vorgehen Haus für Haus, Straße für Straße und gleichzeitg Heizkraftwerke, vorwiegend aus Erdwärme angetrieben zu planen und zu errichten und kommunale Energieversorger dafür mit einzuspannen. Statt dessen überläßt 'die Politik' es jedem Einzelnen und straft Mieter und Vermieter mit viel zu hoten Energiekosten ab. Ein GIGANTISCHES, AUCH KOMMUNALES VERSAGEN !!!

  • Bernward Gesang schreibt: "Es bedarf für Energiesicherheit keiner Absicherung der Erneuerbaren durch Grundlast, die rund um die Uhr verfügbar und etwa wie Atomkraft kaum spontan regulierbar ist. 100 Prozent erneuerbare Energien sind auf Dauer möglich mit den bekannten erneuerbaren Technologien, Speichern und intelligent verschalteten Netzen."

    Nach dem Motto "Follow the science!" sollte die taz lieber Fachleute zu Wort kommen lassen als einen Professor für Philosophie und Wirtschaftsethik. Die würden allerdings sehr wahrscheinlich etwas anderes sagen. Speicher lassen sich nicht einfach herbeiphilosophieren. Und das Netz ist nicht der Speicher, auch nicht, wenn es, was immer das heißen soll, "intelligent verschaltet" ist. Die sattsam bekannten Sprechblasen von Geisteswissenschaftlern ändern an der Energiekrise gar nichts.

    • @Budzylein:

      Selbst Sie könnten 100% regenerativ ohne Atomkraft versorgt werden und zwar nicht erst in 10 Jahren, sonder ab Februar 2023, wenn Sie nur wollten. Sie müssten nur für Ihren eigenen Verbrauch sich ihre eigene Versorgung leisten wollen und sich nicht auf andere verlassen - denn da werden sie verlassen.



      Was Sie als Sprechblasen bezeichnen ist für mich schon lange Realität. Ich hab es nur getan und nicht auf andere gewartet. Das kann jeder. Jeder in seiner Möglichkeit und ab sofort. Nur der Wille dafür ist nötig.

    • @Budzylein:

      Der DIW hat bereits 2021 die 100% Versorgung Primärenergie durch Erneuerbare berechnet. Kann in 10-15 Jahren erreicht werden.



      Natürlich setzt das umfangreiche Investitionen in Erzeugung, Speicher und Netzausbau voraus. Herbeiphilosophieren, wie Sie schreiben, nein das tut hier niemand; eher Lösungen wegphilosophieren per Kurzstatement, gell!

    • @Budzylein:

      So ist es.



      Auch wenn die letzten zwei Aussagen „Klimaschutz passiert jetzt oder nie. Durch uns oder keinen!“ richtig sind. Mit der üblichen Einschränkung, wer ist eigentlich „uns“?

      • @fly:

        Na, das ist recht einfach zu beantworten und ergibt sich ja aus dem Kontext, “uns“ sind wir alle, also jeder einzelne,

      • @fly:

        Diejenigen, die keinen Bock haben, nachher zur Kasse gebeten zu werden. Und zwar SO RICHTIG. Bis zur buchstäblich letzten Unterhose.

        Necessitas non habet leges, und ein größerer Notstand als eine Klimakatastrophe ist für diesen Planeten kaum möglich. Jedes menschliche Gesetz wird sich über kurz oder lang der nackten Thermodynamik unterordnen müssen, um nicht Unrecht zu sein.

        • @Ajuga:

          Es gäbe noch das Artensterben. Ausgestorbene Arten sind auch nach Ausgang einer Klimakatastrophe noch weg vom Fenster.

          Deshalb ist es auch krass, wie anthropozentrisch der Klimawandel gehandelt wird.

          Aber mehr als eine Katastrophe können die Menschen offensichtlich nicht beherrschen.